Hamburg. Der Moderatorinnen-Wechsel in der ARD hat den Politik-Talk am Sonntagabend in wenigen Wochen überraschend verändert. Eine TV-Kritik.

Normalerweise gibt man Menschen, die beruflich etwas Neues machen, 100 Tage Zeit, bevor man ihre Arbeit bewertet: Das gilt für die Chefs von Unternehmen genauso wie für Politiker und Moderatorinnen im Fernsehen. Bei Caren Miosga ist das nicht nötig. Der langjährigen „Tagesthemen“-Journalistin ist schon jetzt gelungen, was man kaum für möglich gehalten hätte: Sie hat den eingefahrenen Politik-Talk am Sonntagabend, der zuweilen an „Koalitionsverhandlungen“ erinnerte (Klimaaktivistin Luisa Neubauer), neu erfunden.

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Caren Miosga hat dem TV das gegeben, was ihm gefehlt hat: Das ausführliche Einzelgespräch mit Spitzenpolitikerinnen und -politikern, in dem Moderatorin wie Gast und vor allem Publikum die Zeit haben, sich auf Gedankengänge einzulassen. Die Kombination aus einer langen Eins-zu-Eins-Situation in der ersten Hälfte der Sendung und der Ergänzung durch zwei Experten im zweiten Teil ist erfrischend. Endlich sind die ermüdenden Schlagabtausche von Vertretern unterschiedlicher Parteien vorbei, endlich versucht man nicht mehr verkrampft, den Talk irgendwie paritätisch zu besetzen, um dann in eine Diskussion zu torkeln, in der der eine erwartbar dies sagt und der andere das.

Politik-Talk: Miosga treibt das Konzept von Markus Lanz auf die Spitze

Den Fokus auf einen Politiker zu lenken, ohne ihn verkrampft ins Kreuzverzhör zu nehmen, ist viel interessanter und aufschlussreicher. Früher hatte mehr oder weniger nur der Kanzler das Recht, von Moderatorinnen wie Anne Will oder Maybrit Illner einzeln befragt zu werden; bei Caren Miosga ist das jetzt die Regel für alle. Spannend wird die Sendung nicht nur durch die direkte Konfrontation der Moderatorin mit dem einen Spitzengast, sondern auch, weil der Politiker sich nicht auf Kosten anderer anwesender Politiker profilieren oder mit einem Hinweis auf die Versäumnisse anderer Parteien von sich (und eigenen Fehlern) ablenken ab.

Wie das gehen kann, hat Markus Lanz im ZDF vorgemacht, dessen Sendungen oft auch als Talkshow getarnte Einzelgespräche mit dem einen politischen Gast sind, den er eingeladen hat (dass zwei Politiker bei ihm sind, ist äußerst selten). Aber die konzentrierte Atmosphäre eines Zweier-Gesprächs bekommt Lanz nicht so gut hin wie Caren Miosga, weil die ganze Zeit andere Gesprächsteilnehmer in seinem Studio sitzen und zwischendurch auch das Wort ergreifen. Das schließt Miosgas Konzept von Anfang an aus, und das ist nur ein Grund, warum man der ARD zum personellen Wechsel am Sonntagabend gratulieren muss.

Politik-Talk: Miosga unterbricht ihre Gäste, ohne das es nervt

Caren Miosga präsentiert sich als eine Fragestellerin, die einerseits eine freundliche Gesprächsatmosphäre schafft, andererseits aber (kaum) Antworten durchgehen lässt, die nichts mit der Frage zu tun haben, die sie gestellt hat. Und die dabei ein gutes Gefühl dafür entwickelt hat, wie oft man den Gast unterbrechen darf, ohne dass es anfängt penetrant zu werden beziehungsweise zu wirken. Es kommt hinzu, dass sie anders als zum Schluss ihre Vorgängerin Anne Will in jeder Sendung den Eindruck vermittelt, dass sie sich wirklich für das interessiert, worüber sie mit den Politikern spricht.

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Die Ergebnisse des neuen Talks sind dabei erstaunlich, weil man etwa Politiker wie den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz (sympathisch!) oder Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (ruhig und ernsthaft!) anders erlebt, als man sie bisher aus Talkshows kannte. Dass selbst Politikerinnen wie Annalena Baerbock, die man sonst kaum in solchen Formaten sehen kann, sich an diesem Sonntag für Caren Miosga Zeit nahm, erfreut wiederum die Zuschauer, die sich über die ewig gleichen Gesichter in den Politik-Talks beklagen. Fazit: Der Sonntagabend lohnt sich wieder!