Hamburg. Im Albert-Schweitzer-Gymnasium wurde die neue Serie „Schwarze Früchte“ gedreht. Das Abendblatt war am Set dabei
Die hektische Wuselei und das positive Adrenalin am Set sind so allgegenwärtig, dass es auch an stille Beobachtende übergeht, die eigentlich nur etwas desorientiert am Rand stehen und kindlich-fasziniert umherstarren. Hier werden Möbel verrückt, dort die Lichttechnik eingestellt, da ruft die Produktionsleiterin nach irgendwas. Und man selbst steht immer und überall im Weg herum.
Am Freitagnachmittag verwandelte sich die Mensa des Albert-Schweitzer-Gymnasiums in Ohlsdorf zur Filmkulisse: Die Serie „Schwarze Früchte“ wird in Hamburg gedreht, eine Koproduktion der ARD Degeto mit den Produktionsfirmen Studio Zentral und Jünglinge Film. Am Set der Drama-Komödie arbeiten zum großen Teil Menschen aus der Schwarzen und queeren Community.
ARD-Serie „Schwarze Früchte“: Die Stimmung am Set sei sehr besonders
„Teilweise schauen wir jetzt schon nostalgisch auf die Erfahrungen am Set zurück – und das ist schon echt ungewöhnlich bei so stressigen Filmproduktionen“, gesteht David Uzochukwu. Der 24-Jährige bildet zusammen mit Elisha Smith-Leverock das zuständige Regie-Duo. Seit August laufen die Dreharbeiten bereits – und jetzt ist Endspurt angesagt, denn von den insgesamt 48 Drehtagen bleiben nur noch wenige übrig: Nächste Woche Freitag ist Abpfiff, dann geht das Material in den Schnitt.
„Die Stimmung hier ist megaschön. Ich falle nicht mehr so auf wie sonst, als oft einzige PoC (People of Color): We are all in this together“, findet auch Melodie Simina, sie spielt eine der Hauptrollen namens Karla. „Es ist einfach an der Zeit, dass PoC ihre Geschichten erzählen können und nicht immer in Schubladen gesteckt werden. Ich denke ernsthaft: Das wird revolutionär. Und ich hoffe, das bringt einen neuen Standard ins deutsche Fernsehen.“
„Schwarze Früchte“ zeigt die Lebensrealitäten Schwarzer und queerer Menschen
Doch um was geht es eigentlich in der Serie, die im Frühjahr 2024 ausgestrahlt werden soll? Lalo hat gerade seinen Vater verloren, bricht sein Studium ab, versucht seinen Schmerz durch eine Ablenkungsspirale zu lindern. Karla ist erfolgreich in der Finanzwelt unterwegs, arbeitet viel, fühlt sich in diesem Leistungs-Hamsterrad immer öfter einsam. Das klingt zunächst nach einem eher konventionellen Plot, der allen heteronormativen Standards entspricht.
Doch „Schwarze Früchte“ biegt in eine andere Richtung ab: Lalo und Karla sind beste Freunde, durch Lalos Verlust werden die Leben der Mittzwanziger durcheinandergebracht. Beide hinterfragen ihre Lebenskonstruktionen. Familie, Dating, Job, persönliche Selbstverwirklichung, mentale Gesundheit: All diese Themen werden in der Serie behandelt.
Die Zielgruppe der Serie soll sich mit den Charakteren identifizieren können
„Es ist gleichermaßen ein Drama, aber auch eine Comedy – häufig wird man sich nicht sicher sein, ob man lachen, weinen oder wütend sein soll“, beschreibt Lamin Leroy Gibba die Serie. Der 29-Jährige ist sowohl Schauspieler des Hauptcharakters Lalo als auch Drehbuchautor und ausführender Produzent. Die erste Staffel soll aus acht Folgen à jeweils 30 bis 35 Minuten bestehen.
Die Episoden werden alle auf einmal in der ARD-Mediathek landen – also kein nerviges Warten, nachdem man einmal angefixt wurde. „Perfekt für die Binge-Nacht“, verspricht Uzochukwu, also das exzessive Hintereinanderwegschauen. Die Serie soll sowohl Menschen ansprechen, die sich aufgrund der Perspektive mit den Charakteren identifizieren können– also People of Color als auch queere Personen. Doch auch (weiße) Menschen, die Lust haben, Einblicke in anderen Perspektiven zu erhalten, sind die Zielgruppe.
PoC und queere Menschen erleben am Set oft Diskriminierung
Um Schwarze Filmschaffende und Filmschaffende of Color mit unterschiedlichen Perspektiven zu finden, denen teilweise noch wenige Zugänge zur Filmbranche ermöglicht wurden, hat sich Gibba auch auf unkonventionellen Wegen auf die Suche gemacht, beispielsweise durch Anschreiben auf Instagram. Laut Filmemacher Faraz Shariat gibt es hierfür zwei wesentliche Gründe: Zum einen seien fehlende Zugänge für People of Color ein Problem – durch die strukturelle Benachteiligung sei es schwierig, sich in der Kulturlandschaft ausprobieren zu können.
Zum anderen seien es auch die schlechten Erfahrungen am Set, die einige Schwarze oder queere Menschen machen – und die sie anschließend demotivieren und frustrieren. „Ein Dreh-Setting ist sehr belastend, hier besteht Zeitdruck. Da gibt’s so viel Potenzial für schwierige Situationen und Diskriminierungen,“ erklärt Shariat.
Serie „Schwarze Früchte“ will nicht nur auf einen „Diversitäts-Trend“ aufspringen
Über ihre persönlichen Diskriminierungs-Erfahrungen wollen die drei nicht sprechen: „Individuelle Erfahrungen lenken oft von dem eigentlichen Problem ab: Nämlich, dass es Strukturen gibt in Systemen, in Gremien, in Redaktionen. Dahin muss man, glaube ich, gucken“, sagt Shariat.
Es reiche nicht, auf einen allgemeinen „Diversitäts-Trend“ aufzuspringen und auch mal nicht-weiße Menschen vor der Kamera zu zeigen. Strukturen müssten nachhaltig verändert werden, damit die Lebensrealitäten von PoC im deutschen Fernsehen authentisch abgebildet werden können, so Shariat. Und dafür brauche es Schwarze und queere Menschen nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Autoren, Producerinnen, in der Regie.
ARD-Serie „Schwarze Früchte“: Hamburg sei der perfekte Standort – und nicht etwa Berlin
Warum die Serie unbedingt in Hamburg gedreht werden sollte? Gibba selbst kommt aus Hamburg, er ist auf St. Pauli aufgewachsen. „Ich habe Hamburg noch nicht in vielen Filmprojekten gesehen – nicht so wie ich die Stadt sehe, welches Potenzial ich in ihr sehe“, erklärt er. Die Hansestadt vermittle einfach ein anderes Gefühl als zum Beispiel die Hauptstadt Berlin.
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„Die Schwarze Community hat hier auch eine stärkere Präsenz als in Berlin“, fügt Uzochukwu hinzu. Gedreht hat die Crew übrigens an diversen Standorten in der Hansestadt – auf dem Heiligengeistfeld, in Volksdorf, in der Schanze, in Altona... „Hamburg kommt gut weg in der Serie“, lacht Uzochukwu.