Hamburg. Mehr Polizisten, dauerhaftes Waffenverbot: Die künftigen Kontrollzonen am Hamburger Hauptbahnhof betreffen ganz neue Bereiche.
Mit der Kriminalität am Hauptbahnhof Hamburg und der Statistik ist das so eine Sache. Selbst Polizeipräsident Ralf Martin Meyer muss genau hinschauen. Er sagt – und das tut er anhand realer Fälle: Streiten sich zwei Obdachlose um die Besitzverhältnisse an einer Matratze und nimmt der eine dem anderen die Unterlage weg, mag das ein Diebstahl sein. Sogar ein veritabler Raub mit Körperverletzung kann dieses Delikt werden, wenn der eine den anderen heftig ins Gesicht schlägt, also Gewalt im Spiel ist. Und bei Menschen, die aufgrund fehlender Aufenthaltspapiere aufgegriffen werden und eine wenn auch geringe Menge Drogen bei sich tragen, fließen mitunter mehrere Vergehen in die Statistik ein.
Was Polizeipräsident Meyer umtreibt, ist zum Thema für ganz Hamburg geworden. Die Situation um den Hauptbahnhof mit rund 550.000 Reisenden und Besuchern jeden Tag soll deutlich verbessert werden. Die weitreichenden neuen Sicherheitsmaßnahmen mit dauerhafter Waffenverbotszone (ab 1. Oktober) und erweiterter Videoüberwachung auch am Hachmannplatz sowie erheblich mehr Kontrollen und mehr Polizisten stellte die neue „Allianz“ am Donnerstag vor. Zu ihr gehören Landes- und Bundespolizei sowie die Sicherheitsleute der Deutschen Bahn und der Hochbahn.
Hauptbahnhof Hamburg: „Quattro-Streife“ und „Super Recognizer“
Sie gehen seit April bereits auf „Quattro-Streife“ und kontrollieren auch zukünftig gemeinsam den Bahnhof, alle Tunnel dorthin, den Heidi-Kabel-Platz, den Hachmannplatz, den ZOB und den August-Bebel-Park mit der Drogenhilfe Drob Inn. Bis dorthin erstreckt sich die neue Waffenverbotszone. Darin sind untersagt: Schusswaffen und vergleichbare Gegenstände, Messer mit einer Klinge von mehr als vier Zentimetern Länge, Schlagringe und sogenannte Totschläger. Taschenmesser und Pfeffersprays gehören ebenso dazu, wenn sie griffbereit getragen werden. Die Kontrollen können zu jeder Zeit stattfinden. „Wir werden unberechenbarer“, sagte der Präsident der Bundespolizeidirektion Hannover, Michael Schuol. Zudem wurde bereits das Polizeikommissariat 11 um 30 Polizisten verstärkt, das PK 14 in der City um weitere Beamte.
Innensenator Andy Grote (SPD) erklärte, auf dem Hachmannplatz würden acht Masten für voraussichtlich 15 Kameras errichtet. Das sei rechtlich abgesichert. „Ob man sagen kann, der Hauptbahnhof ist der gefährlichste Bahnhof Deutschlands – da würde ich mal ein Fragezeichen hinter machen“, sagte Grote. Auf der „Rangliste“ für das Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, liege Hamburg gemessen an den hohen Fahrgastzahlen „sicher nicht auf den oberen Rängen“.
60 Prozent der Taten am Hauptbahnhof „Kontrolldelikte"
Polizeipräsident Meyer sagte, mehr Kontrollen bedeuteten auch mehr angezeigte Straftaten. Die Zahlen würden weiterwachsen und dann zurückgehen. Die Sonderauswertung der Statistik seit April (Beginn der „Quattro-Streifen“) belege, dass es bei Raub und Körperverletzung leichte Rückgänge gebe. 60 Prozent der Taten seien „Kontrolldelikte“, hätten also mit der Polizeipräsenz zu tun. Die Bundespolizei und die Deutsche Bahn kündigten weitere Maßnahmen an wie den Einsatz von sogenannten „Super Recognizern“, Sicherheitsleuten, die sich besonders gut Gesichter von Verdächtigen oder Tätern einprägen. Reisende sollen künftig über eine Hilferufe-App sofort Einsatzkräfte alarmieren können.
Grote sagte: „Wir haben den Anspruch, dass alle, die den Bahnhof benutzen, ohne Angst und mit einem sicheren Gefühl hier entlanggehen können.“ Er räumte ein, dass sich die Situation im Auslaufen der Corona-Pandemie verschlechtert habe.
Seit April sind laut Behördenstatistik im Rahmen gemeinsamer Streifen fast 3500 Personen überprüft und 243 Strafanzeigen ausgestellt worden. In rund 1000 Fällen wurde das Hausrecht durchgesetzt.
Hamburger Hauptbahnhof: Alkoholverbot diskutiert und verworfen
Hinter den Kulissen wurde nach Informationen des Abendblattes auch ein Konsumverbot für Alkohol diskutiert. Dazu konnte man sich jedoch nicht durchringen. Dabei, so hatte Bundespolizei-Chef Schuol gesagt, stehe jede vierte Straftat im Bereich des Hauptbahnhofes in Verbindung mit Alkohol. Er sagte auch: Die neuen Maßnahmen wirkten für die dunkle Seite des Hauptbahnhofes erhellend: „Wir machen in gewisser Weise das Licht an.“
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Thomas Jungfer, der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, sagte. „Man war wieder auf dem Weg dorthin, wo man schon 2001 einmal war.“ Damals waren der Hauptbahnhof und sein Umfeld aus dem Ruder gelaufen und ein Hotspot der offenen Drogenszene in Europa. „Das, was man jetzt macht, ist wie eine Notbremse. Das Waffenverbot muss man auch durchsetzen. Wie aufwendig das ist, hat man bei den Schwerpunkteinsätzen gesehen, die einen hohen Personaleinsatz nach sich zogen.“ Ein Alkoholverbot bringe dasselbe Problem, „auch wenn die Kontrolle einfacher wäre, weil Verstöße sichtbarer sind“.
CDU-Fraktionschef Thering: „Der Innensenator gibt unserem Druck nach“
Die politische Opposition reagierte gespalten auf die neuen Maßnahmen. CDU-Fraktionschef Dennis Thering sieht sich bestätigt: Seit Monaten mache man auf die Situation aufmerksam. Die „späte Einsicht“ von Rot-Grün sei immerhin ein Anfang. „Die Einrichtung einer dauerhaften Waffenverbotszone wurde von uns seit Langem gefordert, und auch hier gibt der Innensenator dem Druck nach und lenkt jetzt endlich ein.“
Der Linken-Innenpolitiker Deniz Celik sagte, die Kriminalität dürfe nicht ignoriert werden. „Dazu gehört aber zu allererst eine Analyse der Ursachen, nämlich die zunehmende soziale Verelendung von obdachlosen und drogengebrauchenden Menschen im Bahnhofsumfeld.“ Die Maßnahmen der Vierer-Allianz verschlechterten deren „prekäre Lebensverhältnisse“ zusätzlich.
Hauptbahnhof Hamburg: Kommt ein zweites Drob Inn?
Die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein warf dem Senat vor, die Kriminalität und Verelendung lange ignoriert zu haben. „Was ist mit aufsuchender Sozialarbeit? Glaubt Rot-Grün, dass eine Polizei-Allianz allein ausreicht, um die Lage rund um den Hauptbahnhof wieder zu normalisieren?“
Polizeipräsident Meyer machte darauf aufmerksam, dass die Beschaffungskriminalität hier einen großen Anteil an der Statistik habe. Er erwähnte auch die Problematik um die Süchtigen, die Crack rauchen. Die Droge basiert auf dem in großen Mengen verfügbaren Kokain und wirkt sehr schnell. Um den Betroffenen zu helfen und möglicherweise Beratung und Drogenersatz anzubieten, wurde bereits ein zweites Drob Inn diskutiert. Unter den Amtsleitern der beteiligten Behörden gibt es dazu noch keine Entscheidung.