Hamburg. Und spielt das überhaupt eine Rolle? Über bemerkenswerte Äußerungen von Politikern wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale.

Es war kurz vor der Bundestagswahl, als CSU-Chef Markus Söder sagte: „Nur wenn die Union an der eins ist, besteht die Chance zu regieren.“ Und sein Parteifreund Alexander Dobrindt erklärte: „Für eine Regierung unter Führung einer zweitplatzierten Union fehlt mir gerade die Fantasie.“

Es war gut eine Stunde nach Schließung der Wahllokale, als CDU-Chef und Kanzlerkandidat Armin Laschet sagte: „Wir werden alles daransetzen, eine Bundesregierung unter der Führung der Union zu bilden. Denn Deutschland braucht jetzt eine Zukunftskoalition.“ Die CDU/CSU hatte gerade ihr schlechtestes Ergebnis in der Geschichte der Bundestagswahlen erzielt.

Bundestagswahl: Lindner bietet Gespräch an

Noch einmal 60 Minuten später, in der sogenannten Berliner Runde von ARD und ZDF, inzwischen liegt die CDU/CSU in allen Umfragen hinter der SPD. Söder sagt: „Wir müssen dieses Land erneuern. Und ich glaube, dass wir diesen Anspruch am besten mit Armin Laschet dokumentieren können.“

5,2 Prozent der Zweitstimmen holte die CSU von Parteichef Markus Söder. Das Ergebnis wird zu dem der CDU addiert.
5,2 Prozent der Zweitstimmen holte die CSU von Parteichef Markus Söder. Das Ergebnis wird zu dem der CDU addiert. © dpa | Sebastian Gollnow

In derselben Sendung bietet der FDP-Vorsitzende Christian Lindner der grünen Spitzenkandidatin Annalena Baer­bock an, erst einmal gemeinsam über die nächste Bundesregierung zu sprechen, bevor man das mit CDU/CSU und SPD tut. Baerbock stimmt zu.

14,8 Prozent Zweitstimmen fuhren die Grünen von Spitzen- und ­Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ein.
14,8 Prozent Zweitstimmen fuhren die Grünen von Spitzen- und ­Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ein. © dpa | Sebastian Gollnow

Abstand zwischen SPD und Union immer größer

Noch etwas später: Bei „Maybrit Illner“ im ZDF sitzt Norbert Röttgen, der sich gegen Laschet für den CDU-Vorsitz beworben hatte. Die Forschungsgruppe Wahlen hat gerade bekannt gegeben, dass der Abstand zwischen SPD und Union immer größer wird. Röttgen sagt: „Wir konzentrieren uns jetzt auf die Gespräche mit den Grünen und den Liberalen. Wir sind fokussiert, dass wir dort eine gute Übereinstimmung hinbekommen.“

In derselben Sendung hat Robin Alexander, der stellvertretende Chefredakteur der „Welt“, das Schlusswort. Er sagt: „Ich würde die Hoffnung nicht aufgeben … Der Wahlkampf wurde von so vielen Seiten vermasselt, dass die Sondierungsverhandlungen nicht vermasselt werden. Und dann wird es Jamaika.“

Bundestagswahl wird in die Geschichte eingehen

18,9 Prozent – so viele Zweitstimmen kassierte die CDU von Armin Laschet am Sonntag bei der Bundestagswahl.
18,9 Prozent – so viele Zweitstimmen kassierte die CDU von Armin Laschet am Sonntag bei der Bundestagswahl. © dpa | Sebastian Gollnow

War da was? Ach ja, eine Bundestagswahl, die aus vielen Gründen in die Geschichte des Landes eingehen wird und deren Ergebnisse so gar nicht zu den oben genannten Zitaten passen. Nicht nur, weil die CDU/CSU, die zuvor 16 Jahre die Regierung anführte, zum ersten Mal unter 30 Prozent blieb. Sondern auch, weil überhaupt erst das dritte Mal nach 1972 und 1998 die Union hinter der SPD lag. Und das, obwohl die Ausgangsbedingungen für die Sozialdemokraten miserabel waren: Bei der Wahl 2017 hatten sie zur CDU/CSU einen Abstand von gut zwölf Prozentpunkten, 2013 waren es rund 16 Punkte.

Und in Umfragen noch im Juli dieses Jahres hatten die Meinungsforscher die Stimmen der beiden Volksparteien im Verhältnis von 2:1 gesehen, 30 Prozent hier, 15 Prozent dort. Dass die SPD das in so kurzer Zeit nicht nur aufholt, sondern am Ende ganz vorn landet, ist mindestens so ein Wunder wie, dass es Armin Laschet mit seiner CDU nicht einmal in dem Land, das er als Ministerpräsident regiert, auf Platz eins schafft: In Nordrhein-Westfalen kommt die SPD auf 29,1 Prozent der Zweitstimmen, die Union nur auf 26,0.

Scholz bevorzugte Zusammenarbeit mit den Grünen

Sieht so ein Wählervotum für eine von Armin Laschet geführte „Zukunftskoalition“ aus? Die Frage scheint schon am Sonntag weder die CDU noch die CSU zu interessieren. Wäre die Union, wie gehofft und geplant, bei der Bundestagswahl stärkste Kraft geworden, hätten sie daraus natürlich einen Führungsanspruch abgeleitet.

Für die SPD gilt das, wiewohl Wahlsieger, anscheinend nicht, im Gegenteil: Söder behauptet in der „Berliner Runde“, dass die von Kanzlerkandidat Scholz favorisierte Koalition von SPD, Grünen und Linken krachend gescheitert sei, obwohl Scholz gar nicht dieses Bündnis, sondern eine Zusammenarbeit mit den Grünen bevorzugt hatte.

89 Prozent wollen die FDP nicht sehen

11,5 Prozent der Zweitstimmen entfielen auf die FDP von Parteichef und ­Spitzenkandidat Christian Lindner.
11,5 Prozent der Zweitstimmen entfielen auf die FDP von Parteichef und ­Spitzenkandidat Christian Lindner. © dpa | Sebastian Gollnow

Christian Lindner sagt, dass 75 Prozent der Wählerinnen und Wähler sich nicht für die Partei des zukünftigen Kanzlers entschieden hätten, vergisst aber zu erwähnen, dass rund 89 Prozent seine FDP nicht in einer Regierung sehen wollen. Liberale und Grüne freuen sich, dass die Große Koalition abgewählt worden sei, übersehen aber ein Detail: SPD und CDU/CSU kommen gemeinsam auf 49,8 Prozent der Stimmen, das würde reichen, um weiterzuregieren, und wäre nur etwas weniger als vor vier Jahren. Abgewählt ist nicht die Große Koalition, abgewählt ist deren Führung durch ein Mitglied der Union.

Der Wählerwille mag nicht überwältigend klar sein, eindeutig ist er schon: Die großen Gewinner sind die Grünen, die ihren Stimmenanteil um 66 Prozent verbessern, und die SPD, die ein Plus von 25 Prozent verzeichnet. Eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP käme in diesem Jahr auf 52 Prozent, vor vier Jahren wären es nur 40,1 Prozent gewesen.

Wählerauftrag ist offensichtlich

Ein Jamaika-Bündnis hätte damals, wenn es nicht an Christian Lindner gescheitert wäre, 52,5 Prozent erhalten, heute wären es 50,4. Eine Ampel wäre ein Bündnis der Sieger, denn auch die FDP hat ein Stimmenplus von sieben Prozent, Jamaika würde den größten Verlierer zum Regierungschef machen. Soll heißen: Der Wählerauftrag ist so schwer gar nicht aus den Zahlen herauszulesen, insbesondere dann nicht, wenn man die in Umfragen ermittelte Präferenz für den Kanzler einfließen lässt: Dort liegt Scholz mit großem Abstand vor Laschet, so wie vor vier Jahren Angela Merkel vor Martin Schulz gelegen hat …

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Kann man, darf man diese Fakten als Partei, selbst wenn man unbedingt an der Macht bleiben will, ignorieren? Die Frage wird am Sonntag nicht bei der ARD gestellt, die mit ihren Prognosen und ersten Hochrechnungen am Ende nicht nur danebenlag, sondern der Führung der CDU/CSU damit signalisierte, dass es vielleicht am Ende doch noch irgendwie und ganz knapp für Platz eins reichen könnte – sondern auf „Bild“-TV. Dort versteht Paul Ronzheimer, der stellvertretende Chefredakteur, die Welt nach der Wahl nicht mehr.

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Er sagt: „Ich finde die Debatten, die da gerade aus der Union kommen, reichlich absurd. Ernsthaft zu erzählen, man habe einen Auftrag zu regieren, nachdem man acht Prozentpunkte verloren hat, nachdem man historische Unbeliebtheitswerte hat, nachdem man wirklich alles falsch gemacht hat, was man in einem Wahlkampf falsch machen kann … Die Dreistigkeit zu haben, davon zu sprechen, man könne einfach so weitermachen, es ist ja gar nichts passiert, dann machen wir halt Jamaika … Das finde ich absurd, und ich kann das nicht so richtig glauben, dass niemand in der Union aufsteht und sagt: Moment mal, hallo Armin, aufwachen!“

Anderswo in der Union frohlockt man, dass sich nun Grüne und die FDP erst einmal einschließen wollen, um nicht mehr, wie im Wahlkampf, über die vielen inhaltlichen Gegensätze zu sprechen, sondern um Gemeinsamkeiten zu finden. So hätten damals auch die Gespräche in Schleswig-Holstein angefangen, mit Robert Habeck auf der einen und Wolfgang Kubicki auf der anderen Seite, die schließlich zu einer Jamaika-Koalition unter dem CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther geführt hätten. Das stimmt, aber Günther hatte vor vier Jahren die Landtagswahl auch gewonnen – übrigens völlig überraschend …