Hamburg. Viel teurer und viel später als geplant - der Stadt scheinen diverse Digitalisierungsprojekte zu entgleiten. Die Hintergründe.
Die Kosten für Hamburger Digitalisierungsvorhaben laufen immer stärker aus dem Ruder – und viele Projekte werden deutlich später fertig als geplant. Das zeigt eine umfassende Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Sandro Kappe, die dem Abendblatt vorliegt. Besonders extrem ist die Kostensteigerung demnach bei einem Großvorhaben von Innensenator Andy Grote (SPD): der Erneuerung der Leitstellen der Hamburger Feuerwehr und Polizei.
Statt der ursprünglich veranschlagten rund 40,5 Millionen Euro wird deren Modernisierung nun fast 186 Millionen Euro kosten – also mehr als viermal so viel wie beim Projektstart vom Senat veranschlagt. An dieser und anderen massiven Kostensteigerungen haben auch die 2015 beschlossenen und 2019 überarbeiteten Vorschriften zur „transparenten und kostenstabilen Umsetzung von IT-Projekten“ nichts geändert.
Kosten für Projekte in Hamburg höher als gedacht
Auch im Verantwortungsbereich von Kultursenator Carsten Brosda (SPD) gibt es einige massive Kostensteigerungen. Ein neues Digitalsystem für die Museen (Museen BASIS Migration) wird rund vier Millionen teurer als geplant – und bei der „eCulture Cloud“, die einen „digitalen Zugang zur Kultur“ ermöglichen soll, gibt der Senat Kostensteigerungen von fast 3,6 Millionen Euro an.
Das neue „Schulpersonalmanagement plus“ von Schulsenator Ties Rabe (SPD) wird ausweislich der Senatsantwort zwölf Millionen Euro teurer als veranschlagt. Im Bereich des grünen Umweltsenator Jens Kerstan kostet ein neues System zur Sachbearbeitung rund 1,5 Millionen Euro mehr als geplant – und der Aufbau des „Erhaltungsmanagementsystems Grünanlagen“ schlägt mit fast 2,4 Millionen Euro mehr zu Buche als zu Projektbeginn angegeben.
Mehrkosten von fast fünf Millionen Euro
Bei der Kasse Hamburg steigen die Ausgaben für ein neues zentrales Planungssystem um 5,9 Millionen Euro, auch ein weiteres Teilprojekt des Vorhabens „Digitale Verwaltung und Digitaler Haushalt“ hat dort Mehrkosten von fast fünf Millionen Euro verursacht. Satte 26,8 Millionen zusätzlich wird die Umstellung des in der Senatskanzlei angesiedelten Systems für Bauaufsicht/Bauanträge (Cupola) kosten: Statt 7,9 Millionen werden laut Senatsantwort dafür nun 34,7 Millionen Euro an Steuergeld aufgewendet.
Sehr viel höhere Ausgaben fallen auch für das Personalmanagementsystem der Verwaltung an – nämlich 94,3 Millionen statt 62,8 Millionen Euro. Das geplante „Bewerbungsmanagementsystem“ kostet statt 3,7 Millionen nun sieben Millionen Euro.
„Digital First“ verursacht weniger Kosten als gedacht
Immerhin gibt es auch Projekte, die günstiger als geplant ausfallen. In der seit 2020 von Anjes Tjarks (Grüne) geführten Verkehrsbehörde wird die automatisierte Verkehrsmengenerfassung günstiger – um mehr als 1,8 Millionen Euro. Und im Programm „Digital First“ der Senatskanzlei zur Digitalisierung aller Verwaltungsleistungen werden laut Senatsantwort 25,4 Millionen Euro weniger Kosten verursachen als gedacht – dafür hängt es mittlerweile fünf Jahre hinter dem ursprünglichen Zeitplan zurück.
Auch bei vielen anderen Vorhaben gibt es massive Verspätungen. So hat sich das Projekt ZDM, das den „Kernprozess“ der Feuerwehr von Notruf über Einsatz bis zur Rechnungsstellung effizienter machen soll, um mehr als drei Jahre verzögert.
Modernisierung der Polizei läuft schleppend
Die Modernisierung der Leitstellen von Feuerwehr und Polizei ist nicht nur extrem viel teurer geworden, sie hängt auch um drei Jahre im Zeitplan zurück. Ein neues System der Schulbehörde für Studienkolleg und Schulinformationszentrum ist schon fast fünfeinhalb Jahre verspätet. Und die Modernisierung der Sachbearbeitung in der Umweltbehörde verzögert sich nach neuster Schätzung um vier Jahre.
Insgesamt zeigt die vorgelegte Liste, dass es dem Senat nicht gelingt, Kosten- und Zeiträume von IT- und Digitalprojekten verlässlich zu planen. Dazu passt es, dass auch der für Transparenz und Kostenkontrolle für Anfang 2021 angekündigte Bericht zum Stand der IT-Projekte bisher nicht vorgelegt wurde.
Kostenabweichungen „weit über 200 Millionen Euro“
„Im Bereich Digitalisierung der Verwaltung betont der Senat immer wieder, dass er im Bundesvergleich gut dastehe. In Wahrheit ist er Einäugiger unter Blinden“, sagt Sandro Kappe, CDU-Fachsprecher für den öffentlichen Dienst. „Projekte verzögern sich, werden auch dadurch teurer, weil man die Komplexität unterschätzt hat, Personal fehlt oder Rechenzentrums-Ressourcen bei Dataport nicht ausreichen.“
Insgesamt summierten sich die Kostenabweichungen auf „weit über 200 Millionen Euro“, so Kappe. „Das dies nach den erschütternden Erfahrungen bei den Projekten KoPers und PROZOS erneut möglich ist, zeigt, dass die Reißleinen nicht rechtzeitig gezogen wurden und nicht ausreichen. Der Senat muss endlich aus seinen desaströsen IT-Pleiten lernen.“
Senat gibt Pandemie die Schuld für Verzögerungen
Der Senat selbst will eine wesentliche Ursache für Projekt-Verspätungen bereits ausgemacht haben. „Neben gestiegener fachlicher Komplexität und gelegentlich auftretenden technisch-organisatorischen Hindernissen sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie Hauptursache für Verzögerungen bei IT-Projekten“, sagte Jörg Schmoll vom Amt für IT und Digitalisierung.
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„Die Einschränkungen bei den Lieferketten für Hardware haben direkte und indirekte Auswirkungen, beispielsweise auf Lieferzeiten und die Zeitpläne der Projekte.“ Immerhin liefen 25 der 83 großen Projekte „trotz der beschriebenen Schwierigkeiten“ pünktlich und im geplanten Budget. Das sei „unter den gegebenen Bedingungen ein Erfolg“, so Schmoll.
Probleme bei Modernisierung der Polizei
Die extreme Kostensteigerung bei der Modernisierung der Leitstellen von Feuerwehr und Polizei erklärt die Innenbehörde damit, dass das Einsatzleitsystem der Berliner Feuerwehr nicht wie geplant übernommen werden konnte – aufgrund rechtlicher Auseinandersetzungen.
„Die Kostenabweichung ergibt sich aus den gegenüber den ursprünglichen Planungen erheblich höheren Marktpreisen für neue Kommunikations- und Einsatzleitsysteme und deren Implementierung“, so Behördensprecher Daniel Schaefer. „Allerdings handelt es sich bei den zum jetzigen Zeitpunkt veranschlagten Kosten noch um eine höchstprognostische Zahl, die zunächst einmal deutlich höher angesetzt wurde.“