Hamburg. Bürgermeister und Senat stehen im ständigen Austausch mit Experten. Auch Karl Lauterbach spielt eine wichtige Rolle.
Dass die Corona-Pandemie lange für selbstverständlich gehaltene Strukturen und Abläufe durcheinandergewirbelt und die Prioritäten kräftig verschoben hat – auch in der Politik –, gehört zu den Allgemeinplätzen dieser Zeit. Dabei ist auch manche liebevoll gepflegte Tradition, von der es in der alten Stadtrepublik bei aller gern zur Schau gestellten Modernität einige gibt, auf der Strecke geblieben. Zum Beispiel die Sache mit dem Hammer.
Es gehört zu den unverrückbaren Eintragungen im politischen Terminkalender des Rathauses, dass sich der Senat an jedem Dienstag, der nicht auf einen Feiertag fällt, zu seiner regulären Sitzung in der Ratsstube trifft. Und zu den ehernen, aber ungeschriebenen Gesetzen dieser Treffen zählt, dass der Erste Bürgermeister am Ende der Tagesordnung die Sitzung mit einem kräftigen Hammerschlag beendet. Seit Dezember 2020 versammeln sich die Senatorinnen und Senatoren aber pandemiebedingt nicht mehr im Rathaus.
Tschentscher im Homeoffice: Kein Hammerschlag im Rathaus
Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) begrüßt die Kabinettsmitglieder, die in ihren Behörden sitzen oder von Zuhause aus zugeschaltet sind, online von seinem Büro aus. Und der Hammerschlag? Entfällt. Der ist im digitalen Format schlicht nicht vorgesehen, übrigens auch aus Gründen des Infektionsschutzes. Aber die zeremoniell-altertümliche Geste passt außerdem wohl so richtig weder in die nüchterne Atmosphäre des Bürgermeisterbüros noch in die digitale Welt.
Viel wichtiger als ein symbolischer Hammerschlag sind natürlich die gravierenden Veränderungen, zu denen die Pandemie in den politischen Abläufen und der Entscheidungsfindung geführt hat. Tschentscher ist als Mediziner bei dem überragenden Thema der vergangenen Monate gewissermaßen sein eigener Experte. Aber wie zuvor wohl bei keinem anderen Thema großer Relevanz hat die wissenschaftliche Expertise Einzug in die Beratungen des Senats gehalten.
Enger Austausch mit Wissenschaftlern und Ärzten
Mindestens einmal im Monat tauscht sich Tschentscher mit einer Gruppe von Virologen, Infektiologen, Epidemiologen sowie weiteren Fachmedizinern intensiv aus. An diesen interdisziplinären Gesprächen nehmen regelmäßig unter anderen Prof. Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe am Bernhard-Nocht-Institut und Experte für PCR-Diagnostik, Prof. Stefan Kluge, Intensivmediziner am UKE, die Infektiologin Prof. Marylyn Addo, Expertin für Impfstoffentwicklung ebenfalls vom UKE, sowie Ärztekammer-Präsident Dr. Pedram Emami teil.
Aber Tschentscher bezieht auch Fachleute jenseits der Landesgrenzen mit ein. Dazu zählen zum Beispiel der Epidemiologe Prof. Gérard Krause und die Virologin Prof. Melanie Brinkmann, beide vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Bei der jüngsten Gesprächsrunde in der vergangenen Woche ging es unter anderem um die Einschätzung der neuen Delta-Variante des Virus.
Dauergast in Talkshows: Prof. Karl Lauterbach
Außerdem hält sich Tschentscher mit der Lektüre wissenschaftlicher Aufsätze auf dem Laufenden, insbesondere wenn er es für die Einschätzung der Pandemielage sowie der Beurteilung von Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus für erforderlich hält. In diesem Zusammenhang spielt ein Mann eine Rolle, der vom politischen Temperament her kaum unterschiedlicher sein könnte als Tschentscher: der SPD-Bundestagsabgeordnete Prof. Karl Lauterbach.
Der von manchen Beobachtern, aber auch Parteifreunden wechselweise als „Nervensäge“ oder auch „Kassandra“ titulierte Dauergast in Talkshows ist Mediziner wie Tschentscher und als solcher von unzweifelhafter Reputation. Zwischen den beiden gibt es eine starke Rückkoppelung zu aktuellen Einschätzungen der Pandemielage.
Medizin Sache von Tschentscher und Leonhard
Da der Bürgermeister seine Präsenz in Talkshows während der Pandemie erhöht hat, ist seine bundesweite Wahrnehmung gestiegen. So kommt es vor, dass sich Wissenschaftler an ihn wenden in der Hoffnung, dass er als Mediziner ein Problem oder einen Lösungsvorschlag in die Beratungen der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einbringen kann.
Im Wesentlichen sind die fachlich-medizinischen Erörterungen im Senat Sache von Tschentscher und Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD). Mitte März hat es jedoch auch einmal ein Fachgespräch aller Senatorinnen und Senatoren unter anderem mit den Professoren Addo, Brinkmann, Krause, Kluge und Schmidt-Chanasit sowie Ärztekammer-Präsident Emami gegeben. Vorbild war eine entsprechende Runde der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten und renommierten Wissenschaftlern.
Tschentscher rief mehrmals im Hamburger Impfzentrum an
Zu den ungewöhnlichsten Einrichtungen der politischen Beratung in Zeiten der Pandemie zählt ein digitaler Jour fixe, zu dem Tschentscher dreimal pro Woche Fachleute aus den pandemierelevanten Behörden, Ämtern und weiteren Institutionen einlädt. Hier erfährt der Bürgermeister – zusammen mit der Gesundheitssenatorin – von den Praktikern aus dem Hygiene-Institut, den Gesundheitsämtern, der Gesundheitshilfe, den Bezirken oder dem Impfzentrum aus erster Hand, wo es Probleme vor Ort gibt und was dringend entschieden werden muss.
Gelegentlich ruft Tschentscher auch selbst bei der einen oder anderen Dienststelle an, um sich nach einem ihm wichtigen Detail zu erkundigen. Mehrfach hat sich Tschentscher auch im Impfzentrum in den Messehallen über die Erfahrungen von Ärzten und Mitarbeitern erkundigt. Ausführlich hat er sich etwa zeigen lassen, was bei der Impfung beachtet werden muss. Es ist eher unüblich, dass ein Ministerpräsident so tief und direkt in den vom Dienstweg-Verständnis geprägten Verwaltungsapparat eintaucht.
Senat und Bürgerschaft: Entscheidungszentrum in Pandemie
Wenn Senat und Bürgerschaft das Entscheidungszentrum in der Pandemie sind, dann ist der Corona-Stab in der Sozial- und Gesundheitsbehörde das Organisationszentrum. Unter Leitung von Gesundheitsstaatsrätin Melanie Schlotzhauer (SPD) versuchen sieben Fachleute vorwiegend aus der Behörde, die Wechselfälle der Pandemie zu managen. Dabei geht es auch darum, zahlreiche Akteure außerhalb der Behördenstrukturen zur Bewältigung der Krise einzubeziehen.
Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick
- Corona in Hamburg – die aktuelle Lage
- Die Corona-Lage für ganz Deutschland im Newsblog
- Interaktive Corona-Karte – von China bis Hamburg
- Überblick zum Fortschritt der Impfungen in Deutschland
- Interaktiver Klinik-Monitor: Wo noch Intensivbetten frei sind
- Abonnieren Sie hier kostenlos den täglichen Corona-Newsletter
- So wird in Deutschland gegen Corona geimpft
Da anders als bei Naturkatastrophen wie Sturmfluten oder bei einem Großunfall in einem Atomkraftwerk bei der Corona-Pandemie nicht der Katastrophenfall ausgerufen wurde, tagt auch nicht der Katastrophenstab der Innenbehörde. Es gibt keine zentrale Leitstelle mit einer Vielzahl von Monitoren und großen Leinwänden, die die Dramatik der Ereignisse rund um die Uhr dokumentieren.
Sitzungen in Hamburger Senat vorerst digital
Die Aufgaben des Corona-Stabes sind gleichwohl sehr herausfordernd, auch wenn es sich eher um klassische Verwaltungsarbeit handelt. Ein Beispiel: Nachdem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Anfang März für die Länder überraschend angekündigt hatte, dass für alle Bürger kostenlose Corona-Tests zur Verfügung gestellt werden sollten, musste innerhalb sehr kurzer Zeit eine Infrastruktur in Form von Testzentren bereitgestellt werden.
Zurück zum Senat, der seine Sitzungen vorerst weiter in digitaler Form abhalten wird. Das wird mindestens so lange der Fall sein, bis alle Senatoren und Staatsräte geimpft sind. Einige haben als Mitglieder des Verfassungsorgans Bundesrat ein Impfangebot bereits wahrgenommen, andere sind zum Beispiel wegen einer Vorerkrankung oder aufgrund des Alters selbst aktiv geworden. Denkbar ist auch der Weg über die Arztpraxen bei dem Impfstoff von Astrazeneca, der dort keiner Priorisierung unterliegt.
Hamburgs Senatoren werden vermutlich Ende Juni geimpft
Hamburg hat sich entschieden, Senat und Bürgerschaft als Verfassungsorgane erst dann in die Impfstrategie einzubeziehen, wenn alle anderen Gruppen der Prioritätsgruppe drei ein Angebot erhalten haben. Angesichts des knappen Impfstoffs war es Senat und Bürgerschaft wichtig, dass zunächst alle Menschen mit besonders hohem und hohem Risiko für eine schwere Corona-Erkrankung das Vakzin erhalten. Nach jetzigem Stand wird es einen Impftermin für den Senat frühestens Ende Juni im Impfzentrum geben. Dort werden dann auch Tschentscher und Melanie Leonhard ihre Ärmel aufkrempeln.
So werden die Senatorinnen und Senatoren wohl erst nach den Sommerferien zu ihren Sitzungen in die Ratsstube zurückkehren. Und dann wird am Ende auch wieder der Hammerschlag ertönen.