Hamburg. Doch der Bürgermeister verbreitet in seiner Regierungserklärung auch einen Hauch Optimismus. Opposition fordert mehr Mitsprache.
Zum vierten Mal seit Beginn der Corona-Pandemie hat Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Mittwoch eine Regierungserklärung vor der Bürgerschaft abgegeben.
Das an sich ist schon äußerst ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher war, dass Tschentscher die anschließende mehrstündige Debatte schon nach kurzer Zeit verlassen musste, um in die Telefonkonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten zu eilen, die parallel bereits lief.
Tschentscher: "Die zweite Welle trifft Europa mit großer Wucht"
Zuvor hatte sich der Bürgermeister in dramatischen Worten direkt an die Hamburger gewandt: „Wir sind jetzt in der Corona-Pandemie in einer kritischen Phase. Die sogenannte zweite Welle trifft Europa mit großer Wucht“, sagte Tschentscher und verwies darauf, dass Frankreich, Spanien und Tschechien den Notstand ausgerufen hätten, Madrid abgeriegelt sei und die Partnerstadt Prag auf dem Messegelände ein Feldlazarett errichte.
„Es gibt keinen Grund mehr, daran zu zweifeln, dass uns auch in Deutschland diese Entwicklung droht, wenn wir nicht alle durch unser persönliches Verhalten mithelfen, genau dieses zu verhindern“, sagte der Bürgermeister.
Geradezu flehentlich bat Tschentscher: „Glauben Sie nicht denjenigen, die die Gefahr leugnen und die Sache damit noch schlimmer machen.“ Alle Bürger müssten sich jetzt konsequent an die Regeln halten: „Abstand halten, Hygiene beachten, Maske tragen und persönliche Kontakte mit anderen so weit wie möglich verringern“, so der Bürgermeister.
Scharfe Kritik an Vorgängen im "Club 25"
Scharf kritisierte Tschentscher die Vorgänge im „Club 25“ auf der Reeperbahn: „Wer in einem Keller hinter verschlossenen Türen eine Party mit fast 100 Leuten veranstaltet – ohne Maske, ohne Abstand –, der unterläuft die gesamte Corona-Strategie und bringt uns in größte Schwierigkeiten. Das ist unverantwortlich.“
Zu den Beschlüssen, die später von Bund und Ländern gefasst wurden, konnte sich Tschentscher naturgemäß noch nicht äußern. Aber er stellte klar: „Es wird darum gehen, die aktuell viel zu hohe Infektionsdynamik durch einen zeitlich begrenzten, aber harten Einschnitt abzubremsen.“
Der Senat werde sich aber dafür einsetzen, Spielplätze, Kitas und Schulen geöffnet zu halten. Einen Hauch Optimismus verbreitete der Bürgermeister, indem er Prof. Marylyn Addo, die Leiterin der Infektiologie am UKE, zitierte: „Wir haben die erste Welle gut bewältigt und werden das, was jetzt kommt, auch gut bewältigen.“
Ab dem 2. bis voraussichtlich Ende November gilt in Hamburg:
- Kontaktbeschränkungen auf maximal 10 Personen aus zwei Haushalten.
- Verzicht auf private vermeidbare Reisen.
- Schließung der kulturellen Einrichtungen.
- Schließung der Gastronomie.
- Schließung von Kosmetik- und Tattoostudios.
Für die CDU-Fraktion sprach deren stellvertretende Vorsitzende Anke Frieling, weil Fraktionschef Dennis Thering sich wegen eines Corona-Falls eines CDU-Abgeordneten vorsorglich in Quarantäne befindet. Zuletzt habe es im bundesweiten Kampf gegen die Pandemie leider nicht mehr funktioniert, sich auf gemeinsame Grundregeln zu einigen, sagte Frieling und wünschte Tschentscher „viel Glück“ für das Gespräch mit der Bundeskanzlerin.
Es sei ärgerlich, dass zuletzt vor allem junge Menschen für den Anstieg des Infektionsgeschehens verantwortlich gemacht wurden. „Ich kenne viele junge Menschen, die sich an die Regeln halten, und ältere Semester, die das nicht tun“, sagte Frieling. „Es ist ein Fehler, die Generationen gegeneinander auszuspielen.“
CDU kritisiert fehlende Konzepte für Hybridunterricht
Bei den Pandemie-Regelungen für die Schulen habe der rot-grüne Senat bisher ein „schlechtes Bild“ abgegeben, so die CDU-Abgeordnete. Noch immer gebe es keinen Corona-Stufenplan für den Fall eines zunehmenden Infektionsgeschehens in Hamburgs Schulen; Vorgaben für Hybridunterricht habe Bildungssenator Ties Rabe (SPD) nicht geliefert. Schüler, Eltern und Lehrende fühlten sich allein gelassen, sagte Frieling.
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In vielen Bundesländern gelte die Maskenpflicht im Unterricht ab Klasse 5. „Auch hier setzt Hamburg wieder nur auf eine verspätete und halbherzige Regelung. Wir können nur hoffen, dass sich das nicht irgendwann rächen wird.“
Ksenija Bekeris, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, wies Frielings Darstellung zurück. Die „Schreckensszenarien“, welche die Opposition an die Wand gemalt habe, hätten sich nicht bewahrheitet. „Schulen und Kitas haben sich bisher nicht als Treiber des Infektionsgeschehens herausgestellt.“ Es stimme nicht, dass es kein Konzept für Hybridunterricht gebe: „Ich habe die Vorschriften vorliegen“, sagte Bekeris, die als Berufsschullehrerin arbeitet.
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Die Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg erklärte, die Corona-Krise werde „nicht schnell enden“. Es sei Zeit für öffentliche Debatten „über das Für und Wider von Maßnahmen“. Der wichtigste Ort dafür sei die Bürgerschaft. Die rot-grünen Regierungsfraktionen strebten einen „Ausbau der parlamentarischen Beteiligung“ an, etwa bei Beschlüssen zu weiteren Beschränkungen.
Linke kritisiert einsame Entscheidungen des Senats
Vertreter von Linkspartei, AfD und FDP hatten genau das zuvor vehement eingefordert. Cansu Özdemir, Fraktionschefin der Linken, kritisierte „einsame Entscheidungen“ des Senats als „unnötig und undemokratisch“: Der Senat dürfe nicht länger über die Köpfe der Bürger hinweg entscheiden: „Er muss endlich anfangen, die Expertise aus der Gesellschaft zu nutzen.“ Özdemir erneuerte den Vorschlag eines „Corona-Rates“, dem auch Vertreter betroffener Branchen und Experten angehören sollten.
Die Vorgaben des Senats für die Schulen nannte sie „ignorant und arrogant“. Der Senat müsse endlich den RKI-Empfehlungen folgen und Unterricht in getrennten Gruppen stattfinden lassen. Mit Blick auf mögliche neue Beschränkungen für die Gastronomie warnte Özdemir davor, es werde einer ganzen Branche „die Existenzgrundlage entzogen“.
FDP-Abgeordnete kritisiert Beherbergungsverbot
AfD-Fraktionschef Alexander Wolf sagte, man müsse Corona zwar ernst nehmen. Gleichwohl beklagte er aber die stärksten Einschränkungen von Grundrechten seit Gründung der Bundesrepublik, den ständigen „Alarmismus“ der Politik und das „Diktat der Virologen“. Bund und Länder rief er auf, neue Maßnahmen gut abzuwägen. Die Schließung von Restaurants sei aus seiner Sicht zum Beispiel nicht verhältnismäßig: „Das ist Unrecht.“
Auch die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein kritisierte das Beherbergungsverbot und weitere Einschränkungen für die Gastronomie: Dafür gebe es „keine Evidenz“. Ohnehin dürften solche Einschränkungen nicht ohne Parlamentsbeschlüsse umgesetzt werden: „Das ist angesichts der einschneidenden Grundrechtseinschränkungen inakzeptabel und schmälert die ohnehin bröckelnde Akzeptanz der Maßnahmen in der Bevölkerung.“