Hamburg. In einem Protestbrief ist von Überforderung, Verunsicherungen und falschen Maßnahmen die Rede. Behörde weist Vorwürfe zurück.
Während die ersten Viert- und Sechstklässler nach der wochenlangen Pause am heutigen Montag wieder in ihre Schulen zurückkehren, ist auf dem Schreibtisch von Schulsenator Ties Rabe (SPD) brisante Post gelandet. Die Vereinigung der Gymnasialschulleiter (VLHGS) warnt in einem Protestbrief eindringlich vor der Überforderung der Kollegien und kritisiert die behördlichen Anordnungen im Zuge der Corona-Krise.
„Die teilweise widersprüchlichen, kurzfristigen und gleichzeitig akribisch gestalteten politischen und behördlichen Steuerungsimpulse überfordern gegenwärtig alle schulischen Akteure“, schreiben die Schulleiter. Die Lage sei deswegen so besorgniserregend, weil die Lehrerinnen und Lehrer die Herausforderungen des Fernunterrichts vielfach hoch motiviert angingen.
„Wir befürchten, dass diese hohe Motivation aufgrund einer tiefgreifenden Verunsicherung durch praxisferne und überfordernde Rahmensetzungen für den Präsenzunterricht sinken könnte. Bei allen behördlichen Maßnahmen ist zu bedenken, dass die Kollegien am Rande ihrer Kräfte arbeiten“, heißt es weiter.
Fernunterricht sinnvoll weiterentwickeln
Die Schulleiter gehen davon aus, dass der Fernunterricht wegen der Corona-Pandemie langfristig fester Bestandteil des schulischen Alltags bleiben wird. Der klassische Präsenzunterricht in der Schule sei daher eher als Ergänzung des Fernunterrichts anzusehen, der sinnvoll weiterentwickelt werden müsse.
Bei der schrittweisen Rückkehr zum Präsenzunterricht fordern die Gymnasialschulleiter mehr Flexibilität für die einzelne Schule statt starrer und kleinteiliger Vorgaben durch die Behörde. „Konkret bedeutet dies zum Beispiel, dass den Schulen keine detaillierten behördlichen Vorgaben für die Art und den Umfang des Präsenzunterrichts gemacht werden (etwa drei Stunden je Kernfach in der Mittelstufe)“, schreiben die Schulleiter.
Schüler mit viel Förderbedarf in die Schule holen – statt ganzer Jahrgänge
Die Pädagogen üben auch Kritik daran, dass die Schüler flächendeckend jahrgangsweise in die Schulen zurückkehren und schlagen eine andere Schwerpunktsetzung vor. „Der Präsenzunterricht sollte vorrangig für die Schüler ermöglicht werden, die aufgrund ihrer individuellen, familiären bzw. sozialen Situation beim Fernlernen benachteiligt sind und schulische Präsenzphasen für die Gestaltung ihrer Lernprozesse dringend benötigen“, heißt es in der Erklärung.
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Hinzu komme, dass die Schüler der Jahrgangsstufen fünf, sieben, acht und neun „ohne aktuelle Perspektive vom Präsenzunterricht an den Gymnasien“ ausgeschlossen werden. „Wir befürchten, dass damit die gegenwärtige soziale Spaltung in unserer Stadt absehbar vertieft wird und die Schulen der pädagogischen und sozialen Verantwortung für die Hamburger Schüler nicht gerecht werden können“, schreiben die Schulleiter.
Schulöffnungen: "Geschwindigkeit kein guter Ratgeber"
Schließlich dürfe auch der Umfang des Präsenzunterrichts „nicht zentral behördlich und politisch über die verordnete Beschulung einzelner Jahrgangsstufen“ vorgegeben werden, sondern müsse „an den zur Verfügung stehenden räumlichen und personellen Möglichkeiten der jeweiligen Einzelschule“ ausgerichtet werden.
„Bei der Öffnung der Schulen ist wegen des Gesundheitsschutzes Geschwindigkeit trotz aller sozialen und wirtschaftlichen Erfordernisse kein guter Ratgeber“, heißt es in der Erklärung. „Die anstehenden Monate werden uns alle weiter intensiv fordern; wir sollten daher nicht den Fehler machen, an dieser Stelle die Warnsignale der Überlastung zu übersehen und deshalb unbedingt Zeitdruck aus allen Vorhaben nehmen und mehr Flexibilität vor Ort ermöglichen“, schreiben die Gymnasialschulleiter.
Schulbehörde weist Kritik zurück
Die Schulbehörde wies die Kritik des Schulleiterverbands als „überzogen und nicht nachvollziehbar“ zurück. „Die Behauptungen entsprechen in Vielem nicht dem, was uns Schulleitungen in vielfachen regelmäßigen Schaltkonferenzen mitteilen“, sagte Behördensprecher Peter Albrecht. Der größte Teil der Kritik beschäftige sich zudem mit Vorgaben, die von der Ministerpräsidentenkonferenz und der Bundeskanzlerin sowie von der Kultusministerkonferenz getroffen wurden. So gilt bundesweit, die Schulen für die Schüler jahrgangsweise wieder zu öffnen und mit den Abschluss- und Übergangsklassen zu beginnen. Schulsenator Ties Rabe (SPD) hatte im aktuellen Abendblatt-Interview betont, dass sich Hamburg an die verabredeten Maßnahmen halten und keinen Sonderweg beschreiten werde.
Albrecht wies darauf hin, dass die Behörde in sehr regelmäßigem direktem Austausch mit Schulleiterverbänden und Schulleiter-Sprechergruppen aller Schulformen stehe, in wöchentlichem Wechsel mit Rabe oder Landesschulrat Torsten Altenburg-Hack. „Dort werden zahlreiche Einzelfragen offen diskutiert und gemeinsam Lösungen gesucht – und meist gefunden“, sagte Albrecht. Das Verhältnis sei gut. „Die Schulleiter haben ihre vielfältigen Aufgaben gut im Griff, und die Schulen sind unter den derzeit schwierigen Bedingungen der sukzessiven Öffnung auf einem guten Weg“, sagte der Sprecher.