Hamburg. Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) verteidigt ihr Krisenmanagement und die Vorbereitungen der Krankenhäuser auf Erkrankte.

Weil Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) in diesen Tagen natürlich extrem beansprucht ist, wurde dieses Interview auf schriftlichem Wege geführt. Nachfragen bei ausweichenden oder fehlenden Antworten waren daher nicht möglich.

Hamburger Abendblatt: Wie viele Beatmungsgeräte und ECMO-Maschinen gibt es in Hamburg, wie stark sind sie derzeit ausgelastet und wie viele neue Geräte sollen in welchem Zeitraum angeschafft werden und woher sollen sie wann kommen?

Cornelia Prüfer-Storcks: Die Hamburger Krankenhäuser bereiten sich zur Zeit auf die Versorgung von vielen Covid-19-Kranken vor, indem sie planbare Behandlungen verschieben, Krankenhausbetten reservieren und Intensivbetten aufbauen. In HH gibt es ca. 640 Intensivbetten mit Beatmung, zusätzlich 100 für Kinder. Insgesamt gibt es 12.500 Krankenhausbetten. Wenn der Bund zusätzliche Beatmungsgeräte beschafft, wie besprochen, können wir die Intensivbettenzahl sehr stark erweitern – Bund und Länder gehen von Verdopplung der Kapazitäten aus. Die Hamburger Krankenhäuser erwerben neben der Beschaffung durch den Bund wo eben möglich selbst zusätzliche Beatmungsgeräte, deren Finanzierung ihnen ich zugesagt habe.

Gibt es genug Personal für die geplante Verdopplung der Intensivbetten auf 1300 und woher soll das zusätzliche Personal dafür kommen?

Cornelia Prüfer-Storcks: Wir wissen aus Gesprächen mit Kliniken, dass derzeit Pflegekräfte, die bisher nicht intensivmedizinisch gearbeitet haben, verstärkt im Umgang mit Beatmungsplätzen geschult werden.

Kliniken, niedergelassene Ärzte, aber auch die KVHH klagen über fehlenden Masken, Schutzkleidung und Desinfektionsmittel. Wie ist der Stand der Versorgung und wie und aus welchen Quellen soll diese bei steigenden Infektionszahlen gesichert werden?

Cornelia Prüfer-Storcks: Schutzausrüstung ist derzeit überall ein Engpass. Die Länder, der Bund und die EU bemühen sich intensiv, Schutzausrüstung in ausreichendem Umfang bereitzustellen. Auch Hamburg kauft überall verfügbare Ausrüstungen. Die Kassenärztlichen Vereinigung Hamburgs hat uns informiert, dass der Bund seine Zusage eingehalten und Schutzausrüstung geliefert hat. Damit scheinen im ambulanten Bereich die Engpässe bei der Ausstattung mit Schutzausrüstung im Moment überwunden. Bereits vor ca. zwei Wochen hat das BMG Apotheken die Herstellung von Desinfektionsmitteln mit Industriealkohol erlaubt. Die Firma Beiersdorf wird größere Mengen produzieren.

Ist eine Versorgung von Covid-Patienten außerhalb von Kliniken angedacht (etwa in der Messe oder an anderen Orten)? Falls ja: Wo?

Für wie viele Covid-Patienten sind die Kliniken derzeit ausgelegt? Mit wie vielen Patienten könnten die Intensivstationen maximal fertig werden?

Gibt es bei der Behandlung von Covid-Patienten eine Kooperation mit dem Umland und wie ist diese ggfs. ausgestaltet?

Cornelia Prüfer-Storcks: Hamburg hat Versorgungsreserven, die wir kurzfristig in mehreren Stufen realisieren können. Die Erbringung planbarer Behandlungen ist bereits von den Krankenhäusern heruntergefahren worden, das kann täglich weiter geschehen. Dadurch werden Versorgungskapazitäten für mögliche Covid-19-Patienten frei, zusätzliche sollen durch mehr Beatmungsplätze, Freiziehen von Abteilungen bis hin zu einzelnen Krankenhäusern und zusätzliche Betten bedarfsgerecht geschaffen werden.

Die Gesundheitsbehörde wird nun, wie mit der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft vereinbart, die Verschiebung planbarer Leistungen für die Krankenhäuser rechtssicher ausgestalten. Der Versorgungsauftrag der einzelnen Häuser wird so modifiziert, dass sie Behandlungen verschieben dürfen, wenn dies medizinisch vertretbar ist. Dabei ist in jedem Einzelfall von den verantwortlichen Ärztinnen und Ärzten zu entscheiden und dabei zu berücksichtigen, dass der heute noch verschiebbare Fall nicht mitten in der Corona-Krise zum Notfall werden soll.

Die Krankenhäuser sollen durch leerstehende Betten keinen finanziellen Nachteil haben. Deshalb haben die Länder gestern in einer Konferenz mit dem Bundesgesundheitsminister deutliche Verbesserungen an dem geplanten Gesetz des Bundes zur finanziellen Absicherung der Krankenhäuser in der Corona-Krise bewirkt. Die Krankenhäuser sollen nun deutlich mehr Geld für die Reservierung von Betten und Behandlungskapazitäten sowie zum Aufbau von Intensivbetten erhalten.

Auch die erforderliche Schutzkleidung wird finanziert. Das geht einher mit einem Abbau von Bürokratie und Prüfaufwand. Ebenso wird die Finanzierung für die ambulante Versorgung deutlich verbessert. Ich bin froh, dass wir damit einen Corona-Schutzschirm für Einrichtungen der medizinischen Versorgung spannen können, die in der Krise extrem gefordert sind. Ich hoffe, dass das Gesetz in dieser Form kommende Woche verabschiedet wird.

In Hamburger Kliniken werden laut Linken-Bundestagsabgeordneten De Masi jetzt schon Werkstudenten und geringfügig Beschäftigte für die Notaufnahme gesucht. Ist das richtig? Werden auch pensionierte Ärzte rekrutiert?

Cornelia Prüfer-Storcks: Medizinstudenten werden schon in den Gesundheitsämtern eingesetzt und sollen auch das UKE verstärken. Ärztinnen und Ärzte im Ruhestand werden durch den öffentlichen Gesundheitsdienst, die Ärztekammer, Krankenhäuser und KV derzeit zur Hilfe angefragt. Um die Corona-Krise gut zu bewältigen wird jeder und jede mit Erfahrung in Medizin und Pflege gebraucht. Deshalb hat die Gesundheitsbehörde einen Aufruf gestartet: Freiwillige mit beruflichem Hintergrund aus medizinischen oder pflegerischen Bereichen, die ihre Hilfe anbieten wollen, können sich per E-Mail an personal.corona@bgv.hamburg.de wenden.

Angesprochen sind zum Beispiel freiwillige Helferinnen und Helfer mit medizinischen Kenntnissen oder Pflegeerfahrung, wie zum Beispiel medizinisches Personal in der Ausbildung, ehemalige Zivildienstleistende aus dem Gesundheitsbereich, Medizinstudierende oder Hamburgerinnen und Hamburger, die Erfahrungen im privaten Bereich in der Pflege gemacht haben.

Sehr viele Hamburger fragen, warum so wenig getestet werde. Warum werden nicht alle, oder zumindest alle symptomatischen Hamburger getestet, um so die Ausbreitung weiter einzudämmen, wie es in asiatischen Ländern geholfen hat? Liegt das an mangelnden Kapazitäten? Das Argument, man könne das diagnostische Fenster verpassen und die Menschen in falscher Sicherheit wiegen, scheint u.a. in Süd-Korea niemanden zu überzeugen.

Wird die Gesamtzahl der Testungen dokumentiert, um den Anteil der positiven Ergebnisse festzustellen? Falls nein: Warum nicht?

Cornelia Prüfer-Storcks: Wir orientieren uns in Hamburg nicht an Südkorea, sondern an den Empfehlungen unserer eigenen Wissenschaftler beim Robert-Koch-Institut. Die Testung aller symptomatischen Hamburger wäre eine völlig unsinnige Maßnahme, die Personal und Material verschwenden würde, das wir dringend auf das medizinisch Notwendige und Sinnvolle konzentrieren müssen. Negative Testergebnisse zum falschen Zeitpunkt sind nicht aussagekräftig. Da sind wir uns mit den Vertretern des Hamburger Gesundheitswesens völlig einig. Im Übrigen bauen wir die Testkapazitäten gerade aus.

Ist nach heutiger Kenntnis nach durchgemachter Infektion mit einer Immunität zu rechnen?

Gibt es bereits Tests, die eine durchgemachte Infektion belegen können und werden diese schon genutzt (so dass immune Personen etwa für besondere Aufgaben eingesetzt werden könnten)?

Ist nach bisherigen Kenntnissen mit Folgeschäden bei überstandenen Covid-Infektionen zu rechnen?

Der Bürgermeister hat Infektionen als wichtig bezeichnet, da unser Immunsystem das beste Mittel gegen das Virus sei. Das hört sich nach dem Ziel einer so genannten "Herdenimmunität" oder "Durchseuchung" an, wonach sich rund 70 Prozent infizieren müssen, um das Virus zu stoppen. Eine britische Studie hat kürzlich berechnet, dass allein in Großbritannien durch eine Infektion eines Großteils der Bevölkerung Hunderttausende Menschen sterben würden. Hielten Sie eine Strategie, die auch auf Immunisierung durch Infektion setzt, angesichts solcher Erkenntnisse für richtig?

(Medizinische Fachfragen werden durch die Behörde nicht beantwortet. Bitte um Verständnis. Sie können sich ggf. an die Expertinnen und Experten vom UKE wenden.)

In den Gesundheitsämtern arbeiten teilweise sehr wenige Menschen, etwa in Eimsbüttel nur drei. Reicht das in der aktuellen Lage und wie soll die Zahl ggfs. erhöht werden?

Cornelia Prüfer-Storcks: Das eingesetzte Personal in den Gesundheitsämtern wird lageabhängig aufgestockt.

Warum hat es bis vor wenigen Tagen keinerlei Kontrollen von Flugreisenden aus Risikogebieten wie Iran, Madrid etc. gegeben und warum hat man etwa tägliche Flüge aus Teheran in Hamburg landen und die Menschen ohne Befragung oder Quarantäne ihrer Wege gehen lassen?

Cornelia Prüfer-Storcks: Wir haben eine 14-tägige Quarantäne für Passagiere aus Teheran angekündigt. Daraufhin hat Iran Air seine Flüge seit dem 2.3. ausgesetzt. Die Bundesregierung hat inzwischen neue Regelungen zur Einreise erlassen. Darüber hinaus handeln wir strikt auch am Hamburger Flughafen nach den Empfehlungen des RKI und des Krisenstabs der Bundesregierung. Bei verschiedenen Epidemien hat sich gezeigt, dass die medizinische Kontrolle bei Einreisenden (Einreisescreening) zu keinem wesentlichen Vorsprung bei der Erfassung potenziell erkrankter Personen führt. Viel wichtiger sind die Informationen über die Erkrankung und sicherzustellen, dass bereits erkrankte Personen nicht in die Maschine steigen. Auch die Maßnahmen des Social Distancing: Abstand halten etc. und Selbstmonitoring sind nachhaltiger als ein Einreisescreening.

Die in Asien eingesetzten „Fieberbögen" (Geräte die automatisch beim Durchschreiten die Temperatur messen) sind fehleranfällig, zudem unterdrücken verschiedene Medikamente die tatsächliche Körpertemperatur. Wenn ernsthafte Verdachtsfälle auftreten, wird auch am Hamburger Flughafen aktiv und schnell gehandelt.

Warum hat Hamburg es zugelassen, dass die Ferienrückkehrer aus Risikogebieten am letzten Ferien-Wochenende teilweise noch Wiedersehen in den Clubs und Kneipen feiern konnten, während in Berlin die Polizei schon die Schließungen von Clubs durchsetzte? Der Aufforderung zu freiwillige Quarantäne wurde offenbar nicht immer gefolgt.

Beobachter aus China, Italien, aber auch viele hier lebende Menschen sind bisweilen entsetzt ob des laxen Umgangs von Deutschland und Hamburg mit dieser lebensbedrohlichen Pandemie: Warum hinkt Hamburg bei den Maßnahmen gegen die Corona-Ausbreitung oft hinter anderen Städten und Bundesländern her und Deutschland hinter anderen Staaten in Europa und Asien? Ist der Hamburger Senat überzeugt davon, mehr über diese Pandemie und das Virus zu wissen als die Regierungen in Asien und dem Rest Europas?

Cornelia Prüfer-Storcks: Es ist schlicht nicht zutreffend, dass Hamburg Maßnahmen zu spät erlassen hätte. Der Hamburger Senat und die Gesundheitsbehörde haben zu jeder Zeit lagegerecht die notwendigen Maßnahmen ergriffen. Die Empfehlungen der Bundesregierung und die Vereinbarungen der Ministerpräsidentenkonferenz hat Hamburg sehr zügig umgesetzt, teilweise im Vorgriff. Die Bundesregierung hat weitgehende Einschränkungen des öffentlichen Lebens am vergangenen Montag empfohlen, Hamburg hatte einen Großteil dessen bereits am Sonntag beschlossen. Jedes Land muss seine Lage selbst bewerten und entscheiden. Die Einstellung des Lehrbetriebs an Schulen erfolgte rechtzeitig vor Ferienende und konnte daher gar nicht zu spät sein, denn bereits geschlossene Schulen kann man nicht früher schließen.

Warum werden Busse, Flughäfen, Bahnen und Bahnhöfe nicht wie in asiatischen Ländern regelmäßig großflächig desinfiziert? Soll das künftig passieren?

Cornelia Prüfer-Storcks: Weil unsere Wissenschaftler uns das nicht empfehlen.

Ist eine Ausgangssperre nötig? Wie lange werden die Einschränkungen des öffentlichen Lebens aus heutiger Sicht erforderlich sein?

Cornelia Prüfer-Storcks: Alle Allgemeinverfügungen sind zeitlich befristet. Vor Ablauf muss lageabhängig neu entschieden werden.

Der Virologe Prof. Drosten hält es mittlerweile für möglicherweise sinnvoll, dass alle Menschen außerhalb ihrer Wohnungen Masken tragen könnten, um die Ansteckungen zu verringern (so würden vor allem Infizierte weniger ansteckend). So handhaben es ja auch die Chinesen mit der Maskenpflicht für alle, wo die Zahl der Ansteckungen zumindest nach offiziellen Angaben fast auf null gebracht wurde. Was halten Sie von dieser Möglichkeit? Warum wurde das bisher stets als unisinnig abgetan, obwohl es in Asien erfolgreich ist?

Medizinische Fachfragen sollten die Experten beantworten. Bund und Länder stimmen sich eng mit den führenden medizinischen Expertinnen und Experten sowie dem RKI über die zu treffenden und möglichen Maßnahmen ab. Viele Empfehlungen der Expertinnen und Experten sind bereits umgesetzt.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat gesagt, man habe das Virus in Europa unterschätzt. Teilen Sie diese Ansicht?

Cornelia Prüfer-Storcks: Für die Freie und Hansestadt Hamburg trifft die Aussage nicht zu. Hamburg hat bereits Im Januar eine Task-Force einberufen, um Maßnahmen zu planen.

Schulsenator Rabe hat Kinder und Jugendliche in einem Video aufgefordert, in die Schulbetreuung zu kommen, falls sie sich langweilten. Halten sie diese Aufforderung für sinnvoll?

Cornelia Prüfer-Storcks: Dazu hat er sich längst selbst geäußert und seine Worte erläutert.

Sie haben als eine der dienstältesten Hamburger Senatorinnen vor der Krise erklärt, sich aus dem Senat zurückziehen zu wollen. Nun sind Sie federführend mit einer der größten Krisen seit 1945 befasst. Wollen Sie in dieser schweren Zeit weitermachen oder planen Sie eine Übergabe an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin – zumal diese Krise ja absehbar noch viele Monate dauern dürfte?

Cornelia Prüfer-Storcks: Ich konzentriere mich in dieser schwierigen Zeit mit ganzer Kraft auf meine täglichen Aufgaben. An Weiteres denke ich noch nicht einmal.