Hamburg. Die indirekte Kooperation von FDP und CDU mit der AfD in Thüringen dürfte laut Experten auch die Hamburg-Wahl stark beeinflussen.

Am Donnerstagabend, anderthalb Tage nach dem historischen Dammbruch von Thüringen, versuchte sich Anna von Treuenfels noch einmal in Klarheit. Es sei ein „Schock“ für sie gewesen, dass sich FDP-Mann Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten habe wählen lassen, sagte sie beim Abendblatt-Wahlduell im Hotel Grand Elysée. „Ich hätte die Wahl nicht angenommen. Ich war in meinem liberalen Grundverständnis erschüttert“, so die FDP-Spitzenkandidatin.

Einige FDP-Politiker begrüßten das Ergebnis zunächst

Das Grundverständnis fällt bei manchen ihrer Parteifreunde aber offenbar anders aus. So hatte FDP-Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki die Wahl Kemmerichs am Mittwoch begrüßt – obwohl dieser nur mit Stimmen einer AfD ins Amt gekommen war, die mit Björn Höcke von einem Mann geführt wird, den man wegen seiner extrem rechten Aussagen ungestraft einen Faschisten nennen darf.

FDP-Bundeschef Christian Lindner vermied am Mittwoch zunächst eine klare Haltung zur mittelbaren Kooperation seiner Partei mit Höcke. Und der Hamburger FDP-Promi Burkhardt Müller-Sönksen postete bei Facebook die etwas doppeldeutige Nachricht: „Ich bin eine Thüringer. Die Mitte lebt.“

Leute wie Müller-Sönksen machen es der FDP-Spitzenkandidatin schwer

Solche Äußerungen von Leuten wie Müller-Sönksen, der acht Jahre für die Hamburger FDP im Bundestag saß und die Liberalen als Bürgerschaftsfraktionschef 2001 in das Bündnis mit dem Rechtspopulisten Ronald Schill geführt hatte, machen es der Spitzenkandidatin von Treuenfels nicht leichter.

Denn sie zeigen, dass keinesfalls alle Liberalen aus Hamburg distanziert oder indigniert auf Thüringen blickten – im Gegenteil. Müller-Sönksen hatte als Abgeordneter der Bezirksversammlung Eimsbüttel zuletzt auch eine gemeinsame Fraktion mit 2014 für die AfD gewählten, aber später ausgetretenen Abgeordneten gebildet.

Die FDP stimmte in Hamburg Dutzenden AfD-Anträgen zu

Dass die Hamburger FDP der AfD gegenüber keine prinzipielle Verweigerungshaltung einnimmt, zeigt auch ein Blick auf ihr Abstimmungsverhalten in der Bürgerschaft. Die Fraktion hat 43 Anträgen der AfD im Landesparlament zugestimmt.

CDU, SPD, Linke und Grüne dagegen haben nicht einen einzigen AfD-Antrag mit ihren Stimmen unterstützt. Die Liberalen verteidigten ihr von den Grünen statistisch ausgewertetes Abstimmungsverhalten in dieser Woche bei Twitter. „Wenn die Forderungen sinnvoll erscheinen, dann stimmen wir zu“, schrieb die Fraktion dort. „Wenn es sich um AfD-Polemik handelt, sind wir raus. Wir gönnen der AfD ihre Opferrolle nicht und stellen sie inhaltlich, denn dort zeigt sich, wie schwach sie sind.“

Auch CDU-Spitzenkandidat Weinberg hat es nicht leicht

Dazu passt es, dass nach einer ARD-Umfrage vom Freitag nur 25 Prozent der FDP-Wähler eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen wollen. Das ist der mit Abstand niedrigste Wert aller Bundestagsparteien. Bei der Union lehnen 69 Prozent der Wähler eine Kooperation ab.

CDU-Spitzenkandidat Marcus Weinberg hat es dieser Tage dennoch kaum leichter als seine FDP-Kollegin. Zwar nannte er die Thüringer Ereignisse beim Abendblatt-Duell „erbärmlich“ und fügte hinzu: „Wir kommen aus einer liberalen Burg Hamburg, mit Rechtsradikalen machen wir keine gemeinsame Sache. Hier gibt es kein Relativieren.

CDU-Mitglieder verteidigen die Wahl Kemmerichs

Das allerdings sahen nicht alle ganz so apodiktisch. Philipp Heissner etwa, der Bürgerschaftsabgeordnete und Hamburger Vorsitzende der CDU-Nachwuchsorganisation Junge Union (JU), verteidigte am Mittwoch zunächst bei Facebook das Abstimmungsverhalten seiner Thüringer Parteifreunde. Schließlich sei ein Mann der Mitte gewählt worden – statt eines Vertreters der SED-Nachfolgepartei, die für den Unrechtsstaat DDR gestanden habe. Später, nachdem sich auch bereits die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ganz anders geäußert hatte, revidierte der JU-Chef seine Aussagen und kam zu dem Schluss, dass die Thüringer CDU-Abgeordneten sich vielleicht doch besser enthalten hätten.

Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries argumentierte auf einer ähnlichen Linie, wie es Heissner zunächst getan hatte. „Ich bin froh, dass die Abgeordneten der CDU in Thüringen die Wahl eines Ministerpräsidenten der SED-Erben verhindert und mit Thomas Kemmerich einen Kandidaten der bürgerlichen Mitte ins Amt gewählt haben“, postete der Chef der CDU Hamburg-Mitte bei Facebook.

Tweet von CDU-Bürgerschaftskandidatin sorgt für Empörung

Noch deutlicher wurde Katharina Schuwalski, Bürgerschaftskandidatin auf Platz 8 der CDU-Landesliste. „Thüringen wird nicht mehr von SED-Nachfolgern regiert – ein Glück!“, schrieb sie bei Twitter. „Die FDP hatte den Mut, den Mike Mohring nicht hatte. Spannend, wie es weitergehen wird ... in jedem Fall hat sich heute gezeigt, was parlamentarische Demokratie kann!“

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Diese Aussage lässt sich wohl nur so deuten, dass die CDU-Bürgerschaftskandidatin es vorgezogen hätte, wenn sich ihr CDU-Parteifreund Mohring selbst von der Höcke-AfD hätte wählen lassen. Ihr Tweet sorgte nicht nur bei Linken für Empörung und bekam mehr als 450 Antworten. „In jedem Fall hat sich gezeigt, wie man in einer Demokratie aus Machtgründen mit Faschisten paktiert“, schrieb Model, Autorin und Twitter-Berühmtheit Marie von den Benken. Ein anderer Twitter-Nutzer fragte: „Sie würden also auch in Hamburg mit Faschisten paktieren, wenn es Ihren Zielen nützt?! Gut zu wissen.“

Frageportal und Kandidatencheck von abgeordnetenwatch.de

Merkel verurteilt Vorgehen der CDU in Thüringen

Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete die Vorkommnisse in Thüringen und das Vorgehen der CDU-Abgeordneten am Donnerstag als „unverzeihlich“ und als einen Bruch mit den Werten der Union. Merkels klare Worte und Werte im Umgang mit Rechtsradikalen werden angesichts der Geschehnisse und ersten Äußerungen vom Mittwoch aber augenscheinlich nicht von allen ihren Parteifreunden instinktiv geteilt – auch nicht in Hamburg.

Zwar sind manche der Äußerungen vom Mittwoch später korrigiert oder relativiert worden. Schon die Beispiele von Beginn der Debatte an aber zeigen, dass nicht alle in Hamburgs FDP und CDU denselben klaren Kompass wie Merkel nutzen, wenn es um Umgang mit der äußeren Rechten geht.

Wahl in Thüringen schadet CDU und FDP in Hamburg

Bei manchem kommen auch deshalb dieser Tage Erinnerungen an 2001 hoch, als CDU und FDP mit Ronald Schill ausgerechnet in der laut Weinberg „liberalen Burg“ Hamburg einen der ersten Rechtspopulisten Europas hoffähig und zum Zweiten Bürgermeister machten.

„Die Hamburger CDU hat einen Rechtsdrall mit einem schwachen liberalen Flügel“, konstatierte am Freitag der Hamburger Politikwissenschaftler Prof. Elmar Wiesendahl mit Blick auf manche Äußerungen der vergangenen Tage. „Es gibt da keine echte Balance. Die Junge Union war hier sowieso immer weit rechts positioniert.“

Die „Druckwelle aus Thüringen“ werde auch in Hamburg CDU und FDP „schwer lädieren“, prognostiziert der Politikwissenschaftler. „Das, was in Thüringen passiert ist, wird die FDP aus der Bürgerschaft schwemmen – und die CDU weiter minimieren.“

„Das war ein eklatanter Bruch des demokratischen Konsens“

Die Lage werde für die CDU auch dadurch schlimmer, „dass sich Parteichefin Kramp-Karrenbauer nicht durchsetzen kann“, so Wiesendahl. Die Reputation von CDU und FDP sei nachhaltig beschädigt. „Das, was in Thüringen passiert ist, war ein eklatanter Bruch des demokratischen Konsens, diese indirekte Kooperation mit der Höcke-AfD – schlimmer geht es gar nicht. Davon werden sich CDU und FDP nicht mehr erholen bis zur Wahl. Die FDP wird nun dauerhaft ein Kainsmal mit sich herumtragen.“

Dass vor allem die FDP Schaden nehmen wird, vermutet auch Prof. Kai-Uwe Schnapp, Politikwissenschaftler an der Uni Hamburg. „Wenn es gut läuft, wird der Wahlabend für die FDP eine Zitterpartie“, so Schnapp. „Wenn es schlecht läuft, wird es nicht mal eine Zitterpartie.“ Auch der CDU würden die Ereignisse „jedenfalls nicht helfen, ihre Ergebnisse zu verbessern“.

Von Treuenfels zeigt sich kämpferisch

Die FDP leidet unter den Konsequenzen ihres kurzen Flirts mit der Höcke-AfD auch schon vor der Wahl – bei der es für sie jetzt wohl nicht mehr um die angepeilte Zweistelligkeit geht, sondern ums parlamentarische Überleben. Ein Parteisprecher berichtete am Freitag von vielen beschmierten Plakaten – und Parteiaustritten. FDP-Spitzenkandidatin von Treuenfels, die für das Chaos in Thüringen ja nun gar keine Verantwortung trägt, zeigte sich beim Abendblatt-Duell trotz aller Widrigkeiten kämpferisch.

„Eine Krise wünscht man sich nicht, wenn sie aber kommt, muss man sich ganz klar positionieren“, sagte die liberale Frontfrau. „Es geht um eine Grundhaltung. Das war ein Riesenfehler von Herrn Kemmerich. Aber jetzt müssen wir nach vorne schauen.“

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