Hamburg. Gesetzentwurf sieht neue Befugnisse für Verfassungsschutz im Kampf gegen Extremisten vor – mehr als für Bundesamt und Polizei.
Neue Möglichkeiten für die Beamten im Kampf gegen Extremisten: Der Hamburger Verfassungsschutz soll mehr Daten von Minderjährigen speichern und bei der Überwachung zu weitreichenderen Maßnahmen als die Polizei greifen dürfen. So sieht es das neue Hamburgische Verfassungsschutzgesetz vor, dass am Donnerstagabend erneut im Innenausschuss der Bürgerschaft beraten wurde. Mit den Plänen geht der rot-grüne Senat teilweise auch darüber hinaus, was selbst in CDU-geführten Bundesländern geplant ist.
Konkret wird in dem Gesetzentwurf darauf Bezug genommen, dass auch die Kinder von Extremisten aus Sicht der Behörden eine Gefahr bergen können. So habe etwa die sogenannte Sauerland-Gruppe von gewaltbereiten Islamisten ein Kind benutzt, um für ihre Anschlagspläne einen Zünder zu transportieren. „Ein Zwölfjähriger versuchte im Jahre 2016, in Ludwigshafen einen Nagelbombenanschlag zu verüben“, heißt es in dem Entwurf. „In diesen Einzelfällen tritt der Schutz der öffentlichen Sicherheit neben den Minderjährigenschutz.“
Verfassungsschutz darf Kinder ab 12 Jahren beobachten
Der Hamburger Verfassungsschutz soll deshalb künftig in Einzelfällen Kinder ab 12 Jahren beobachten dürfen, statt bislang ab 14 Jahren. Er soll zudem die Erlaubnis bekommen, gewonnene Erkenntnisse über Minderjährige an andere staatliche Stellen weitergeben zu dürfen – insbesondere an die Jugendhilfe. Dies kann unter anderem als Lehre aus den Fall von Omaima A. gesehen werden, die zuletzt in Hamburg lebende Witwe des IS-Terroristen Deniz Cuspert alias „Deso Dogg“: Der Verfassungsschutz wusste, dass ihre Kinder in Syrien intensiven Kontakt zu Anführern der Terrormiliz hatten und nach der extremistischen Ideologie erzogen wurden.
Bis zu ihrer Festnahme in diesem Jahr wusste das Jugendamt jedoch nichts davon – und hatte die Familie, die nach der Rückkehr aus den Kampfgebieten in Neugraben lebte, entsprechend nicht im Blick. Inzwischen sitzt Omaima A. in Karlsruhe wegen der mutmaßlichen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Untersuchungshaft.
Extremismusexperten sind sich einig, dass Kinder in der Gefahr stehen, selbst zu Extremisten heranzuwachsen. Bei einer Expertenanhörung im Innenausschuss der Bürger sagte ein Vertreter des Bundesinnenministeriums, der Umgang mit Kindern sei „politisch besonders heikel“ – dennoch sei in dem Hamburger Entwurf ein „abgewogener Kompromiss“ gelungen. Kritik an den Plänen gibt es dagegen von der Linksfraktion. Auch der Forscher Jan Dirk Roggenkamp sagte bei der Anhörung, ihn überzeuge der Ansatz „nicht so wirklich“ – die Speicherung der Daten von Kindern sei besonders schwerwiegend – „weil die Beobachtung des Verhaltens von Kindern deren Persönlichkeitsentfaltung empfindlich stören kann“ – so Roggenkamp.
Erlaubnis zum Mitlesen verschlüsselter Chats
Auch der zweite wichtige Punkt in dem Gesetzentwurf ist umstritten: Der Verfassungsschutz soll die Möglichkeit bekommen, eine sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung durchzuführen. Das betrifft vor allem die Beobachtung von Chats in Messenger-Diensten, bevor deren eigene Verschlüsselung greift. Dazu wird eine Software eingesetzt, die auf das Handy der mutmaßlichen Extremisten geladen werden muss.
Der Ministerialrat Dietmar Marschollek vom Bundesinnenministerium sagte vor dem Innenausschuss, Hamburg übernehme hier nach dem Gesetzesentwurf „geradezu eine Vorreiterrolle“. Der Hamburger Rechtsanwalt Alexander Kienzle wies dagegen daraufhin, dass es noch „keine voll überprüfte Software“ gebe, die in der Lage sei, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Thema auch einzuhalten.
Seit mehreren Monaten drängt auch das Bundesamt für Verfassungsschutz auf mehr Befugnisse. Es will ebenfalls Daten von jüngeren Menschen speichern und die Quellen-Überwachung vornehmen können. Das SPD-geführte Justizministerium lehnte dies jedoch ab und bereitet einen neuen, offenbar stark abgemilderten Gesetzesentwurf vor.