Hamburg. Fritz Vahrenholt kritisiert die „maßlose Klimadebatte“, findet sie hysterisch und warnt vor überstürzten Reformen.
Der Chemiker Fritz Vahrenholt ist ein Pionier der Umweltbewegung. Sein Buch „Seveso ist überall“ (1978) prägte die Ökodebatte über Jahre, sein Umweltatlas „Die Lage der Nation“ (1982) gilt als Meilenstein. 1984, im Alter von 35 Jahren, wurde Vahrenholt Staatsrat der Umweltbehörde, 1991 Umweltsenator der Hansestadt. 1997 unterlag er Ortwin Runde im Kampf um die Nachfolge von Henning Voscherau und wechselte in die Wirtschaft – ging als Umweltvorstand zu Shell und baute danach das Windkraftunternehmen Repower (später Senvion auf). 2008 war er Gründungsvorstand von Innogy. Heute ist er Aufsichtsratschef der Aurubis AG. Das SPD-Mitglied ist einer der Unterzeichner der Erklärung: „Hört auf die Wissenschaftler: 500 Forscher protestieren gegen das Schüren von Klimaalarm.“ Darin heißt es unter anderem, es sei „grausam und unklug, die Verschwendung von Billionen“ auf der Grundlage der Ergebnisse unreifer Klimamodelle zu befürworten.
Herr Vahrenholt, warum haben Sie diese Erklärung unterzeichnet?
Fritz Vahrenholt Die Klima-Diskussion ist so hysterisch geworden, dass sie die Politik vor sich hertreibt. Wir haben aber keinen Klimanotstand. Wenn die Forderungen von Greta Thunberg umgesetzt werden, werden Wohlstand und Entwicklung weltweit massiv gefährdet. Thunberg wirft den Politikern vor zu töten – aber übersieht die Erfolge der Politik: Die Zahl der Hungernden auf der Welt hat sich halbiert, die Lebenserwartung verdoppelt, die Kindersterblichkeit gezehntelt. Diese Erfolge haben wesentlich mit der Energieversorgung für Strom, Wärme, Transport und Ernährung zu tun.
Wie kamen die Wissenschaftler zusammen?
Der holländische Klimaforscher und Geophysiker Guus Berkhout hat die Initiative gestartet und in verschiedenen Ländern Kritiker der gängigen Klimamodelle angeschrieben, mich auch. Wir haben dann unsererseits Mitstreiter geworben. Interessant: Auf der Liste gibt es rund 150 Italiener, 100 Amerikaner und 70 Holländer, aber nur 14 Deutsche. Hierzulande ist der Mainstream besonders massiv – man wagt nicht mehr, sich abweichend zu äußern.
Der letzte Bericht des Weltklimarats IPCC las sich auch erschütternd …
Wer heute glauben macht, in wenigen Jahren sei das Leben auf der Erde gefährdet, treibt die Menschen in Angst und die Politik in Fehler. Das ist unverantwortlich. Hört auf, den Kindern Angst zu machen – die bekommen ja schon Wahnvorstellungen.
Wie viel Zeit haben wir denn zum Umsteuern?
Wir haben Zeit bis Ende des Jahrhunderts – das sagen alle Unterzeichner unserer Erklärung. Wir leugnen den Klimawandel nicht, natürlich gibt es einen CO2-Effekt. Aber die Erwärmung der letzten 100 Jahre hat auch natürliche Ursachen: Wir kommen aus einer kleinen Eiszeit. Viele Klimamodelle zeigen nachweislich eine zu starke Erwärmung und können die Schwankungen der Vergangenheit nicht reproduzieren, weil sie nur einen Faktor kennen: CO2.
Was macht Sie so zuversichtlich?
Der grünende Effekt des CO2 wird übersehen – oder verschwiegen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass durch das Treibhausgas die Photosynthese befördert wird und die Sahel-Zone beispielsweise grüner wird. In den letzten Jahren hat die Photosynthese auf der Erde um 20 Prozent zugenommen. Die Blätter werden größer, aber auch Früchte und Weizenkörner. Das darf man doch nicht verschweigen. Übrigens: Ohne CO2 würde das Leben auf der Erde buchstäblich ersticken.
Also ist alles gut?
Nein, das sagen wir auch nicht. Aber wir wollen die Hysterie herausnehmen. Es wurde schon einiges erreicht: Der Zuwachs des Treibhausgases kommt seit Längerem nur noch aus den Entwicklungsländern. Europa und die USA sind fallend, während China inzwischen pro Kopf mehr CO2 ausstößt als die Europäer. Nun kommt eine chinesische Studie zu der Erkenntnis, dass eine Kaltzeit droht, die aber durch den Treibhauseffekt gedämpft wird. Warum wird das nicht debattiert? Der vermeintliche Konsens ist kein Konsens.
Na ja, 97 Prozent der Forscher sind sich sicher, dass es einen Klimawandel gibt ...
Ich gehöre auch zu den 97 Prozent. Diese Zahl bezieht sich auf eine wenig differenzierte Umfrage. Nur eine kleine Minderheit hält den Klimawandels zu 100 Prozent für menschengemacht, die breite Mehrheit glaubt an mehrere Ursachen: 97 Prozent der befragten Forscher gaben den Anteil des CO2 an der Erwärmung mit 50 bis 99 Prozent an. Nur ein kleiner Rest schließt den Einfluss des Menschen ganz aus – das sind Dummköpfe. Mich ärgert, dass kein Klimawissenschaftler in Deutschland aufsteht und das erklärt. Hier wird die Jugend verrückt gemacht, mit Horrornachrichten, uns blieben noch zwölf Jahre – und keiner hält nüchtern dagegen und korrigiert es. Wir müssen Emissionen senken, aber nicht ökonomischen Selbstmord begehen.
„Fridays for Future“ würde antworten: Ein mörderischer Klimawandel wäre viel schlimmer.
Das sagen manche Modelle – mit hohen Unsicherheiten. Was ist von Modellen zu halten, die weder die kleine Eiszeit noch die mittelalterliche Wärmeperiode – als es etwa so warm war wie heute – nicht wiedergeben können? Ich erwähnte bereits die Studie des Max-Planck-Instituts, dass die Pflanzen viel mehr CO2 aufnehmen können, als die Modelle angenommen haben. Dieser neu entdeckte Effekt ist so groß wie der Ausstoß von ganz Europa – jedes Jahr! Die Natur und ihre Schwankungen dürfen nicht übersehen werden. Das gibt uns mehr Zeit. Wir müssen uns nicht von den Klippen stürzen. Eine Vollbremsung kann sich die Gesellschaft nicht leisten – sie muss es auch nicht. Bremsen genügt.
Diese These könnte man als Einladung zum „weiter so“ missverstehen.
Das sage ich ja nicht. Aber wir müssen klug umsteuern. Wir haben in fünf Generationen eine kohlenstoffbasierte Energieversorgung aufgebaut. Es könnte zwei Generationen lang dauern, diese weltweit umzustellen. Bis dahin sollten wir uns auch über die Verpressung von CO2 Gedanken machen, Fusionsforschung entwickeln und selbstverständlich erneuerbare Energien wettbewerbsfähig gemacht werden. Die Chinesen versuchen das alles auch. Sie werden einen Teufel tun, auf Kohle zu verzichten – nach dem Pariser Klimaabkommen dürfen sie den CO2-Ausstoß noch um die Menge erhöhen, die Europa emittiert. Das zeigt, wie maßlos unsere Debatte geworden ist. Sie wird am Ende zu Armut führen: Wenn wir bis 2030 aus der Kohle und dem Verbrennungsmotor aussteigen, was wird dann aus diesem Land?
Sind Sie in der Ökodebatte vom Paulus zum Saulus geworden?
Ich habe Zeit meines Lebens erneuerbare Energien und Umweltschutz gemacht – jetzt bin ich im Naturschutz angekommen. Deshalb bin ich für meine Kritiker besonders unbequem. Ich war und bin kein Saulus, sondern mir treu geblieben. Die CDU fordert nun ein Klimaschutzgesetz – das habe ich vor 23 Jahren als Senator auf den Weg gebracht.
Da müssten Sie sich im Lager der Klimawandelleugner aber unwohl fühlen ...
Ich leugne den Wandel nicht. CO2 ist ein Problem. Der Weltklimarat IPCC sagt eine Klimaerwärmung in der Bandbreite von 1,5 bis 4,5 Grad bis 2100 voraus. Ich gehe von 1,5 Grad aus. Wo ist da der Skandal, den einige konstruieren? Wenn man wie Prof. Hans Joachim Schellnhuber sagt, es sind sechs Grad, dann gibt es Beifall, dann gehört man zu den Guten. Das ist doch absurd.
Wer Ihren Namen googelt, bekommt automatisch AfD ergänzt ...
Na, super. Das ist ein beliebtes wie böses Spiel, in eine Schublade gesteckt zu werden. Ich kann nichts dafür, dass die AfD mich zitiert. Schlimm ist, dass man dieses Thema den Populisten überlässt. Wir müssen in der Mitte der Gesellschaft über die richtigen Wege zum Klimaschutz streiten. Aber leider nimmt unsere Diskursfähigkeit immer weiter ab. Das Einzige, was und helfen könnte, wäre eine Abkühlung: Immerhin geht die Temperatur seit 2016 zurück.