Hamburg. Ökopartei votierte 2016 mit SPD im Bundesrat für Unterhaltskürzungen für Geflüchtete in Sammelunterkünften. Nun nicht mehr.

In Koalitionen finden Parteien mit unterschiedlichen Positionen und Zielen zusammen. Weil nicht alles in Koalitionsverträgen vereinbart werden kann und der politische Alltag überdies Überraschungen bereithält, gibt es Mechanismen und Routinen des gemeinsamen Regierens, die dem Zweck dienen, dass das äußere Erscheinungsbild einheitlich ist – im Großen und Ganzen jedenfalls.

Im Rathaus, in dem SPD und Grüne seit 2015 Woche für Woche im Senat zusammensitzen, gibt es ein nicht ganz unwichtiges, aber wenig bekanntes Koordinierungsinstrument: Alle Pressemitteilungen aus den einzelnen Behörden müssen vor der Veröffentlichung eine Schleife über die Senatskanzlei nehmen. Erst wenn diese Schaltzentrale der Macht den Inhalt geprüft hat, wird der Text an die Redaktionen verschickt. Nur böse Zungen würden da von Zensur sprechen ... In der Regel dürfte es vor allem um die sinnvolle Abstimmung der Senatsaktivitäten gehen.

Manchmal ist jedoch alles anders. Am Donnerstag der vergangenen Woche verschickte das Haus von Justizsenator Till Steffen (Grüne) eine Pressemitteilung, die mit dem Koalitionspartner SPD aus gutem Grund nicht abgestimmt war. „Populismus und schlechtes Handwerk“ stand darüber, und Steffens Vorwürfe zielten auf die geplanten Änderungen des sogenannten Migrationspakets, über die der Bundesrat am Tag darauf abstimmen sollte. „Das Migrationspaket, das der Bund diese Woche in den Bundesrat einbringt, ist voller gravierender Mängel und bedarf einer grundlegenden Überarbeitung“, sagte der Justizsenator in einer gemeinsamen Erklärung mit seinen Amtskollegen und Parteifreunden Dirk Behrendt aus Berlin und Dieter Lauinger aus Thüringen.

Justizsenator Steffen (Grüne) wirft Bund „Populismus“ vor

Neben „handwerklichen Unzulänglichkeiten“ erkannten die drei beim „Geordneten-Rückkehr-Gesetz“, das Teil des Migrationspaketes ist und Abschiebungen erleichtern soll, zudem einen Bruch europäischen Rechts. Auch bei den Änderungen des Staatsangehörigkeitsrechts mit dem Ziel einer stärkeren Anpassung der Einwanderer an deutsche Lebensverhältnisse sahen Steffen und seine Mitstreiter „der Willkür Tür und Tor“ geöffnet. „Offenkundig ist sich die Große Koalition nicht dafür zu schade, mit Populismus und schlechtem Handwerk Stimmen am rechten Rand abzufischen“, lautete das plakative Fazit des Justizminister-Trios.

Das war nicht sehr freundlich der SPD gegenüber, die ja auch Teil der Großen Koalition in Berlin ist. Steffens Fazit ist aber auch für den Koalitionspartner der Grünen im Rathaus wenig erbaulich. Die SPD um Bürgermeister Peter Tschentscher hatte schließlich keine Bedenken gegenüber dem Migrationspaket und wollte den zahlreichen Gesetzesänderungen im Bundesrat zustimmen. Und so lautet die zwar harmloseste, aber nicht sehr wahrscheinliche Erklärung dafür, dass Steffens Pressemitteilung diesmal nicht über die Senatskanzlei lief, sondern direkt verschickt wurde, dass die Zeit einfach zu knapp war.

Nun sind Steffens grundsätzliche Positionen in Sachen Asyl- und Einwanderungsrecht bei allen Akteuren ebenso bekannt wie seine gelegentliche Neigung zu innerkoalitionären Schienbeintritten. Letztlich kam es aber bei den von Steffen monierten Punkten nicht auf den Bundesrat an. Die Verabschiedung der Gesetze hätte nur verzögert werden können, wenn eine Mehrheit den Vermittlungsausschuss zwischen Bund und Ländern angerufen hätte. Die Mehrheit kam aber ohnehin nicht zustande.

Hamburg war das Zünglein an der Waage

Ganz anders und ärgerlicher aus SPD-Sicht war die Lage bei einem anderen Fall, der ebenfalls das Migrations­paket betraf. Das Asylbewerberleistungsgesetz, auch auf der Tagesordnung des Bundesrates, war das einzige des Migrationspaketes, das zustimmungspflichtig war. Das heißt: Hier musste es eine Mehrheit in der Länderkammer geben, sonst wäre es durchgefallen.

Die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) hatte Tschentscher bereits am Dienstag vor der Bundesratssitzung mitgeteilt, dass die Grünen den Gesetzesänderungen nicht zustimmen werden. Allenfalls sei man bereit, den Vermittlungsausschuss anzurufen, wozu aber die SPD nicht bereit war. Das bedeutete nach den Regeln des Koalitionsvertrages, dass sich Hamburg in der Länderkammer enthalten musste. Einen Moment lang sah es so aus, als ob der Bund für sein Gesetz deswegen keine Mehrheit bekommen würde. Hamburg war das Zünglein an der Waage. Erst im letzten Moment schwenkten die hessischen Grünen um, die mit der CDU die dortige Landesregierung stellen. Weil auch die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg für die Verschärfungen des Asylrechts stimmte, passierte das Gesetz dann doch den Bundesrat.

Die Grünen hatten also bundesweit in der für sie auch emotional wichtigen Frage des Asyl- und Einwanderungsrechts keine einheitliche Position. Zen­traler Ablehnungsgrund der Kritiker: In Zukunft sollen Asylbewerber, die in Sammelunterkünften leben, etwa zehn Prozent weniger Geld erhalten, weil es durch das gemeinsame Wohnen unter einem Dach angeblich „Einspareffekte“ gebe – ähnlich wie in einem Haushalt von Ehepartnern.

Die Hamburger Grünen sehen wie die Bundesgrünen und andere Landesverbände diese Annahme als „relativ lebensfern und abwegig“ an. Merkwürdig ist nur, dass Fegebank und die hiesigen Grünen genau dieser Unterhaltskürzung Ende 2016 zugestimmt haben. Damals stand das gleiche Gesetz im Bundesrat zur Abstimmung, und das rot-grün regierte Hamburg stimmte zu. Allerdings gab es damals keine Mehrheit, sondern der Gesetzentwurf landete im Vermittlungsausschuss und schmorte dort bis zum Ende der Legislaturperiode.

Nach Wahlerfolgen trauen sich Grüne mehr „grün pur“ zu

Wie passt das zusammen – einmal ja und einmal nein zur selben Sache? Es kommt noch hinzu, dass das aktuelle Gesetz sogar eine langjährige grüne Forderung aufgenommen und die sogenannte BaföG-Lücke geschlossen hat. Damit können Geflüchtete jetzt leichter ein Studium oder eine Ausbildung aufnehmen.

Von grüner Seite im Rathaus wird nun darauf hingewiesen, dass es sich um eine Abwägungsentscheidung gehandelt habe. Es gebe eben positive und negative Festlegungen in dem Gesetz. Aber die Rahmenbedingungen hätten sich inzwischen geändert: Anders als 2016 auf dem Höhepunkt der Zuwanderung von Flüchtlingen sei heute der Handlungsdruck nicht mehr so groß. Damals sei es darum gegangen, den Staat angesichts der Herausforderungen durch die Ankunft von mehr als einer Million Menschen handlungsfähig zu halten. Deswegen seien weitreichendere Kompromisse auch mit der Union nötig gewesen.

Das kann man so sehen. Andererseits sind die finanziellen Kürzungen für Asylbewerber in Sammelunterkünften entweder „lebensfern und abwegig“ oder eben nicht. Man kann die grüne Kehrtwende auch so interpretieren: Die entscheidende Veränderung der Rahmenbedingungen liegt darin, dass die Ökopartei Wahlerfolg nach Wahlerfolg einfährt und ein stabiles Umfragehoch aufweist. Nicht zuletzt in Hamburg. Das verändert die faktischen Kräfteverhältnisse auch hier ein Stück weit.

Hinzu kommt die näher rückende Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020, die die Parteien naheliegenderweise stärker an die eigene Profilierung denken lässt – Koalition hin oder her. Kurzum: Die Grünen trauen sich schlicht mehr „grün pur“ zu. Und Katharina Fegebank übte diesmal den Schulterschluss mit dem grünen Mainstream statt mit dem grünen Ultrarealo Winfried Kretsch- mann, dem Ministerpräsidenten aus Baden-Württemberg. Das war, wie gesehen, nicht immer so.

Übrigens soll auch die SPD-geführte Sozialbehörde auf fachlicher Ebene im zuständigen Fachausschuss des Bundesrats zunächst Bedenken gegen das Asylbewerberleistungsgesetz geäußert haben. Auch die politische Wahrheit ist eben manchmal kompliziert.