Hamburg. Die Initiative „Sozialstart Jetzt“ sagt: Jobcenter und Sozialbehörde rufen Mittel zur Förderung von Langzeitarbeitslosen nicht ab.
Die Initiative „Sozialstart Jetzt“, ein bundesweites Netzwerk von rund 250 sozialen Beschäftigungsträgern, erhebt schwere Vorwürfe gegen das Jobcenter Team Arbeit Hamburg und die Sozialbehörde. Das Jobcenter lasse eigens vom Bund zur Verfügung gestellte Mittel für die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in Arbeit verfallen. Dadurch steige die Zahl der sozialen Beschäftigungsverhältnisse nicht, wie eigentlich politisch vorgesehen, sondern sie sinke sogar. Die auch für Arbeit zuständige Sozialbehörde stütze diesen Kurs „aus ideologischen Gründen“.
Darum geht es: Mit dem seit Jahresbeginn geltenden „Teilhabechancengesetz“ wollte die Bundesregierung bis zu 150.000 Langzeitarbeitslose in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse vermitteln – insgesamt vier Milliarden Euro stehen dafür für vier Jahre bereit. An das Hamburger Jobcenter sind bereits rund 30 Millionen Euro davon geflossen. Von dem Geld sollen bis zu fünf Jahre lang Lohnkostenzuschüsse an die Arbeitgeber gezahlt werden. Da sich das Angebot auch an gewinnorientierte Unternehmen richtet, war die Hoffnung, möglichst viele Menschen in den „ersten“ Arbeitsmarkt integrieren zu können statt sie nur im „zweiten Arbeitsmarkt“ zu beschäftigen.
100 Arbeitsplätze weggefallen
Doch nach fünf Monaten falle die Bilanz ernüchternd aus, so das Netzwerk: Statt für zusätzliche Jobs zu sorgen, seien bundesweit 3000 Menschen arbeitslos geworden, allein in Hamburg seien mehr als 100 Arbeitsplätze in Suppenküchen, Second-Hand-Läden oder Streichelzoos weggefallen. Das Programm sei „gescheitert“, sagte Bernd Schröder, Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Arbeit.
Stand Ende Mai habe es in Hamburg ganze 249 Arbeitsplätze gegeben, die nach den neuen Regeln gefördert wurden, davon aber 237 bei Beschäftigungsträgern – und davon seien wiederum 180 nur aus früheren Arbeitsmaßnahmen „gerettet“ worden, weil die Sozialbehörde sie nun als Quartiersprojekte unterstütze. Mit anderen Worten: In der freien Wirtschaft sind ganze zwölf geförderte Jobs entstanden.
Dabei gebe es in Hamburg rund 4000 Langzeitarbeitslose, auf die das neue Gesetz zugeschnitten sei, so Schröder. Rund 1000 Jobs könnten allein die sozialen Träger schnell schaffen, was rund 22 Millionen Euro im Jahr kosten würde. Doch stattdessen würden am Jahresende wohl 30 Millionen Euro zurück an den Bund fließen. „Unsere Forderung ist, dass die zur Verfügung stehenden Mittel auch eingesetzt werden“, sagte Gudrun Stefaniak vom gemeinnützigen Träger Passage gGmbH.
Langzeitarbeitslose auf den ersten Arbeitsmarkt? "Illusorisch!"
Über die möglichen Beweggründe, die Mittel nicht einzusetzen, können die Träger und Verbände nur spekulieren. Schon unter dem früheren Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) habe es einen „Paradigmenwechsel“ gegeben: weg von sozialen Beschäftigungsträgern, hin zu privaten Arbeitgebern. Da Scheele mittlerweile Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist, sei das offensichtlich deren Linie. Auch Melanie Leonhard (SPD), Scheeles Nachfolgerin in der Sozialbehörde, stehe für diesen Kurs.
Doch die Idee, Langzeitarbeitslose in großen Zahlen in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, sei „illusorisch“, sagte Karen Risse vom Träger einfal GmbH. Diese Menschen seien oft labil, häufiger krank, den Anforderungen moderner Jobs kaum gewachsen und bräuchten daher enge Betreuung – diesen Aufwand scheue die Wirtschaft aber. Ihr Fazit: „Der Großteil der Langzeitarbeitslosen muss in sozialen Beschäftigungsverhältnissen unterkommen.“
Was das Jobcenter Hamburg sagt
Eine Alternative sei, den Arbeitgebern auch die über den Lohn hinausgehenden zusätzlichen „Regiekosten“ für die Beschäftigung Langzeitarbeitsloser zu ersetzen, sagte Petra Lafferentz von der LAG. Aber BA-Chef Scheele wolle das nicht, obwohl Geld dafür da sei.
Das Jobcenter bestätigte die Zahlen des Netzwerks weitgehend, stellte den Sachverhalt aber etwas anders dar. Die 156,7 Millionen Euro für die aktive Arbeitsmarktpolitik – 36,4 Millionen Euro mehr als im Vorjahr – seien „vollständig verplant“. Davon seien 5,75 Millionen vorgesehen, um 600 Jobs nach dem neuen Teilhabechancengesetz zu fördern, so eine Sprecherin. Zusätzlich investiere man in das begleitende Coaching, um Arbeitsverhältnisse zu stabilisieren. Und für den Fall, dass mehr Arbeitgeber mehr Arbeitslose einstellen wollen, werde man „selbstverständlich Wege suchen und finden“.
Die Sozialbehörde bestätigte, dass sie das Jobcenter zwar darin unterstütze, möglichst viele Beschäftigungsverhältnisse auf dem ersten Arbeitsmarktes zu schaffen. Gleichzeitig betonte ein Sprecher, dass man zusätzlich aus eigenen Mitteln etwa sechs Millionen Euro im Jahr in Instrumente des sozialen Arbeitsmarktes investiere: „Diese Mittel kommen ausnahmslos den Trägern für ihre Arbeitsmarktprojekte zugute.“