Hamburg . Die SPD sieht die Verantwortung für das schlechte Abschneiden in der Europa- und Bundespolitik. Es gibt auch andere Stimmen.
In der Stunde der großen Niederlage versuchte es SPD-Landeschefin Melanie Leonhard mit einer Untertreibung. „Die Ergebnisse der Bezirksversammlungswahlen sind aus SPD-Sicht eine Enttäuschung“, sagte Leonhard am Abend, als klar war, dass die SPD in vier der sieben Bezirke ihre Stellung als stärkste Kraft an die Grünen verlieren und landesweit mit deutlichem Abstand hinter den Grünen auf Platz zwei landen würde. „Unser Ziel, stärkste Kraft in allen Bezirken zu bleiben, haben wir nicht erreicht“, sage Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), der immerhin von einem „Rückschlag“ sprach.
Leonhard wie Tschentscher waren sich einig, dass die Ursachen für das schlechte Ergebnis nicht in Hamburg zu suchen seien. „Uns geht es so wie der SPD in allen Metropolen: Die Verluste bei Bundestags- und Europawahlen bilden sich hier auch ab“, sagte Leonhard. „Wir haben im Wahlkampf die Beobachtung gemacht, dass es sehr stark um europäische und Bundesthemen wie den Klimawandel oder die Renten ging“, sagte Tschentscher. „Kommunalpolitik spielte eher eine untergeordnete Rolle“, ergänzte Leonhard.
Hamburgs SPD wurde ins Mark getroffen
Allen routinierten Erklärungen zum Trotz: Gerade das Ergebnis der Bezirkswahlen hat viele Sozialdemokraten ins Mark getroffen. Viele Parteimitglieder dürften im Laufe des Tages mit wachsender Fassungslosigkeit verfolgt haben, wie sicher geglaubte Bastionen verloren gingen. Selbst im Bezirk Hamburg-Mitte, einer Hochburg der SPD, liegen nun die Grünen vorn.
Aber anders als bisweilen früher scheinen die Sozialdemokraten in dieser für sie schwierigen Lage zusammenzuhalten. „Wir müssen jetzt die Ärmel hochkrempeln. Bis zur Bürgerschaftswahl sind es noch 272 Tage. Wir müssen kämpfen“, sagte der Altonaer SPD-Kreischef Mathias Petersen. „Das Bezirksergebnis ist ein Weckruf, dass wir noch eine Schippe drauflegen müssen. Wir haben weiterhin alle Chancen, uns in der Schlussphase vor der Bürgerschaftswahl nach vorne zu kämpfen“, sagte Finanzsenator Andreas Dressel, Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Wandsbek.
Im Video: Wahlsiegerin Katharina Fegebank
Zwar hatten sich die führenden Sozialdemokraten angesichts drohender Stimmenverluste schon vorher darauf verständigt, dass eine Personaldebatte der falsche Weg wäre. Die Position von Peter Tschentscher als Bürgermeister ist gefestigt, weil niemand ihm das schlechte Ergebnis anlastet. Doch wie die Strategie aussehen soll, die die SPD zurück in die Erfolgsspur bringen kann, weiß am Tag nach der Wahl niemand so genau.
Dafür gibt es deutliche Kritik an der Bundes-SPD. Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Hansjörg Schmidt geht mit seiner Partei nach der Europawahl hart ins Gericht: „Man kann keinen Wahlkampf mit belanglosen TV-Spots und Plakaten führen, um ein junges und urbanes Publikum zu gewinnen und als erstes das Internet anzünden“, schreibt Schmidt, Medien- und Digitalexperte seiner Fraktion auf seiner Facebookseite am Montagmorgen. Weiter heißt es dort: „Das Rezo-Video mag einige überrascht haben, es ist aber Ausdruck einer längeren Entwicklung. Diese Überraschung zeigt doch nur, dass die Parteizentralen von Union und SPD überhaupt nicht verstanden haben, dass viele Menschen es leid sind, dass die GroKo Geschenke für Rentner für wichtiger halten als die Zukunftsthemen der jüngeren Generationen.“
Schmidt sieht die SPD „in der babylonischen Gefangenschaft der Großen Koalition“. Seine Prognose: „Wenn CDU/CSU und SPD so weitermachen, dann werden sie bei einer der nächsten Wahlen davon überrascht werden, dass die Grünen zur stärksten Partei werden.“
"Die SPD hat es verk..."
Auch Nico Lumma, Hamburger und Netzexperte der Bundes-SPD, äußert sich extrem kritisch auf Facebook: „So. Die Wahlen sind gelaufen. Es kam, wie es kommen musste. Die SPD hat es verkackt und zwar mit Ansage, weil Andrea Nahles und Olaf Scholz Strategien verfolgen ohne Rückkoppelung mit den Wählerinnen und Wählern.“ Lumma schreibt weiter, er sei „nur noch genervt von diesem Führungsduo. Immer dieses Rumgeeiere, was dann als Konzept verkauft wird, das glaubt doch keine Sau mehr“.
Solche Töne sind von der SPD-Spitze selbstverständlich nicht zu hören. „Wichtig ist uns, dass der Konsolidierungsprozess der SPD im Bund weitergehen muss“, sagte SPD-Landeschefin Melanie Leonhard nur. Auffällig war, dass sowohl Leonhard als auch Tschentscher den Blick möglichst schnell auf die Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 richten wollen. „Der SPD-geführte Senat genießt großes Vertrauen in der Stadt, auch der Erste Bürgermeister. Wir werden uns sehr stark auf landespolitische Themen bei der Bürgerschaftswahl konzentrieren“, sagte Leonhard.
Die SPD will mit den Grünen weiter zusammenarbeiten
„Wir haben vor fünf Jahren die Erfahrung gemacht, dass nach einer Bezirkswahl innerhalb kurzer Zeit landespolitische Themen wieder eine Rolle spielten. Das ist auch jetzt unser Plan“, sagte Tschentscher. „Es geht darum, welche Partei den Bürgermeister stellt.“ Dabei will der Sozialdemokrat „weiterhin gemeinsam mit den Grünen Hand in Hand in den Bezirken und im Rathaus arbeiten.“ Und dann fügte der Bürgermeister einen bemerkenswerten Satz hinzu: „Das Wahlergebnis bedeutet eine große Verantwortung für die Grünen.“
Der Hamburger Politikwissenschaftler Prof. Kai-Uwe Schnapp geht davon aus, dass „Rot-Grün auch während eines Wahlkampfes, den man gegeneinander führt, ordentlich miteinander regieren wird“. Man könne zwar nicht ausschließen, dass es nun auch eine Debatte in der Hamburger SPD über das Spitzenpersonal für die Bürgerschaftswahl gebe, so Schnapp. „Helfen würde das der Partei aber nicht.“
Mit Bürgermeister Tschentscher, Sozialsenatorin und Parteichefin Leonhard und Finanzsenator Dressel habe die SPD „präsentable und kompetente Personen am Start“, sagte der Politikwissenschaftler. „Auch ein radikales Umschwenken auf grüne Positionen wäre nicht glaubwürdig.“
Während die meisten Sozialdemokraten gestern Durchhalteparolen ausgaben, formulierte ein Sozialdemokrat seinen Frust drastischer: „Die müssen erst untergehen, bis sie merken, dass ihr Schiff Leck geschlagen hat.“