Hamburg. “Grenze überschritten“: Prüfer bemängeln Finanzstrategie in nie da gewesener Schärfe. Senator Dressel verteidigt Haushaltspolitik.

Es ist ein Novum und ein bewusst gesetztes Warnsignal für den Senat. Erstmals hat der unabhängige Landesrechnungshof in seinem seit fünf Jahren durchgeführten „Monitoring Schuldenbremse“ eine Ampel auf rot gesetzt – und das ausgerechnet für die Finanzstrategie des Senats. Anlass ist der Nachtragshaushalt für das laufende Jahr: Der Rechnungshof wirft dem rot-grünen Senat vor, sich durch eine einmalige Änderung der Grundregeln einen zusätzlichen Ausgabespielraum von 200 Millionen Euro geschaffen zu haben.

„Es ist ein Warnsignal, das der Senat seine Systematik ändert“, sagte Rechnungshof-Direktor Philipp Häfner. Grundsätzlich könne er auch die neuerdings „expansivere“ Haushaltspolitik nachvollziehen. Aber in diesem Einzelfall sei „eine Grenze überschritten“. Auch Rechnungshof-Präsident Stefan Schulz übte Kritik: „Die bisherige solide Finanzstrategie des Senats ist insoweit verlassen worden, als im Ergebnis in einem Umfang von 200 Millionen Euro faktisch ein Reagieren auf die gute Kassenlage erfolgte.“

"Trendwert" als Grundlage der Haushaltsplanung

Darum geht es: Wieviel die Stadt ausgeben darf, ist schon seit Jahren nicht mehr an die tatsächlichen – aber eben schwankenden – Steuereinnahmen gekoppelt, sondern an einen „Stützzeitraum“: Aus den Einnahmen der vergangenen 21 Jahre wurde abgeleitet, wie hoch sie in den kommenden Jahren sein müssten, und dieser „Trendwert“ war die Grundlage der Haushaltsplanung. Diese vom damaligen Finanzsenator und heutigen Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) geprägte Strategie galt als sehr solide und hat mit zu den großen Überschüssen der vergangenen Jahre beigetragen – weil die Steuern meist doch stärker sprudelten als auf diese konservative Weise prognostiziert.

Auch als der Senat im Frühjahr beschloss, diesen Stützzeitraum auf 14 Jahre zu verkürzen, kritisierte der Rechnungshof das nicht. Das sei zwar „ein Einschnitt“ in der Finanzstrategie gewesen, sagte Rechnungshof-Direktor Häfner am Montag. Denn durch den kürzeren Betrachtungszeitraum fallen Jahre mit geringen Einnahmen raus und die mit hohen bekommen mehr Gewicht, was im Ergebnis Mehrausgaben von 500 Millionen Euro pro Jahr erlaube. Das sei aber noch „ein vertretbares an die Grenze gehen“, denn in der Tat stehe die stetig wachsende Stadt ja vor großen Herausforderungen, vor allem im Bildungsbereich und bei der öffentlichen Infrastruktur.

Senat hat "Grenze überschritten"

Doch dann habe der Senat „eine Grenze überschritten“, so Häfner. Als er die neue 14-Jahre-Regel umgehend auch für das bereits laufende Haushaltsjahr 2018 angewendet habe, hätte er laut Gesetz einen Stützzeitraum zugrunde legen müssen, der mit dem Jahr 2016 endet. Stattdessen habe er den Zeitraum um ein Jahr versetzt und so das exorbitant gute Jahr 2017 miteinbezogen. Erst dieser Kniff, durch eine kurzfristige und nur auf diesen Fall zugeschnittene Gesetzesänderung ermöglicht, habe den Ausgabespielraum um 200 Millionen angehoben. Er hoffe, dass es „ein einmaliger Fehltritt“ bleibe, sagte Rechnungshof-Präsident Schulz, denn so ein Vorgehen „gefährdet Vertrauen“.

Das gilt umso mehr, als der Rechnungshof den SPD-geführten Senaten stets solides Handeln bescheinigte. Auch im aktuellen Bericht, der aufzeigen soll, inwiefern Hamburg auf die ab 2019 geltende Schuldenbremse vorbereitet ist, stehen sechs von zwölf Ampeln auf grün und fünf auf gelb. Die Einhaltung der Schuldenbremse sei nicht gefährdet. Explizit gelobt wird etwa, dass die Stadt seit Jahren ohne Kredite auskomme.

SPD-Haushaltsexperte Jan Quast reagierte daher auch verstimmt auf die Kritik: „Unsere Finanzstrategie ist erfolgreich und sichert das Erreichen der Schuldenbremse.“ Die Verkürzung des Stützzeitraums von 21 auf 14 Jahre sei mit Billigung des Rechnungshofs erfolgt. Dass dieser die Anwendung für 2018 nun zum Anlass nehme, eine rote Ampel zu setzen, sei „mehr als unverständlich“. Denn der Senat ändere „substanziell nichts“ an seiner Finanzstrategie, so Quast.

Finanzsenator Dressel verteidigt Strategie

Der Rechnungshof schieße mit seiner Kritik „ein Stück weit über das Ziel hinaus“, sagte auch Farid Müller (Grüne). Er verteidigte die höheren Ausgaben: „Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass die Wachstumssituation in der Stadt diesen Schritt mehr als rechtfertigt.“

Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) bemühte sich, die Wogen zu glätten: „Mit unserer bisherigen Finanzstrategie einer vorausschauenden und vorsichtigen Haushaltspolitik sind wir in punkto Einhaltung der Schuldenbremse weiter auf einem guten Weg“, sagte er mit Blick auf die wohlwollenden Einschätzungen des Rechnungshofs.

Zu dessen Kritik an dem Nachtragshaushalt 2018 sagte Dressel, dabei handele es sich „erkennbar um eine besondere Ausnahme im Einzelfall“, die die grundsätzliche Verfahrenskontinuität nicht beeinträchtige: „Die Ist-Werte aus dem Vorjahr mit einzubeziehen, war eine Vorgabe der Bürgerschaft für dieses Übergangsjahr im Wechsel des Stützzeitraums von 21 auf 14 Jahre.“ Daran habe sich der Senat gehalten und so den Auftrag der Bürgerschaft umgesetzt, „den Wachstumsfaktor schon im laufenden Plan zur Geltung zu bringen“, so Dressel.

CDU: "Haushaltspolitik nach Kassenlage"

CDU-Finanzexperte Thilo Kleibauer nannte die erste rote Ampel dagegen „ein klares Warnsignal für den neuen Finanzsenator Dressel und die rot-grüne Koalition“. Es werde „mehr als deutlich, dass der Senat kein langfristiges Finanzkonzept verfolgt, sondern Haushaltspolitik nach Kassenlage macht. Dieser Kurs ist nicht nachhaltig, sondern hochriskant.“ Das zeige sich auch daran, dass viele Ampeln trotz der guten Konjunktur auf gelb stehen.

„Der Rechnungshof warnt zu Recht vor der Rückkehr zu einer ‚Haushaltspolitik nach Kassenlage‘ unter SPD und Grünen“, sagte auch Jennyfer Dutschke (FDP). Sie forderte den Senat auf, zu mehr Haushaltsdisziplin zurückzukehren und den neuen Finanzspielraum nicht voll ausnutzen. Norbert Hackbusch (Linke) deutete die Stellungnahme des Rechnungshofs als Kritik an der Schuldenbremse. „Wir sehen es als Aufgabe der Politik, die tatsächlichen Bedarfe der Stadt zu erkennen und deren Finanzierung abzusichern. Die Schuldenbremse erweist sich dabei in der Praxis als Investitionsbremse.“