Hamburg. In seiner Rede vor den Grünen gab sich der SPD-Politiker selbstkritisch und scheint den Koalitionspartner zu überzeugen.

Der Applaus ist bisweilen ein zuverlässiger Gradmesser: Als der designierte Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) die Mitgliederversammlung des grünen Koalitionspartners nach gut eineinhalb Stunden verließ, erhielt er kräftigen Beifall. Zu Beginn seiner rund 20-minütigen Rede in der Louise-Schröder-Schule hatte es lediglich einen freundlich-verhaltenen Applaus gegeben.

Die Grünen-Mitglieder rechneten es dem Sozialdemokraten offensichtlich hoch an, dass er nicht nur 20 Minuten lang in freier Rede sich selbst und seine Ideen vorstellte, sondern auch die rund einstünstige Debatte danach verfolgte und auf kritische Fragen antwortete.

Tschentscher hielt keine kämpferische Wahlkampfrede, sondern war eher nachdenklich und lud zum Dialog ein. Damit dürfte er den richtigen Ton bei den Grünen getroffen haben, bei denen nach dem Abgang von Olaf Scholz zunehmend dessen bisweilen recht autoritärer, die Grünen wenig einbeziehender Regierungsstil kritisiert wird.

Tschentscher gibt sich selbstkritisch

Tschentschers Start beim Koalitionspartner fiel bescheiden, ja geradezu selbstkritisch aus. „Dass ich hier bin, hat auch mit dem Scheitern von Jamaika auf Bundesebene zu tun“, sagte der Sozialdemokrat vor rund 200 Grünen-Mitgliedern. Erst mit dem Eintritt der SPD in die Große Koalition habe sich die Situation ergeben, dass Olaf Scholz als Bundesfinanzminister und Vizekanzler nach Berlin gehe. „Ein Bürgermeisterwechsel ist keine Nebensache“, sagte Tschentscher und ging damit indirekt darauf ein, dass die Zweite Bürgermeisterin und geschäftsführende Senatschefin Katharina Fegebank (Grüne) in diesem Zusammenhang von einer Zäsur gesprochen hatte.

Tschentscher sieht sich durch die sieben Jahre als Finanzsenator „gut vorbereitet“ auf das Amt des Ersten Bürgermeisters. „Der Nachteil ist, dass ich mich nie zum Beispiel zur Kulturpoliktik oder zu anderen Themen außerhalb meines Ressorts geäußert habe“, bekannte der Sozialdemokrat offen. „Viele sagen: Kann der auch etwas anderes als Finanzsenator? Kann der auch Bürgermeister?“

Er sei, so Tschentscher, seit fast 30 Jahren SPD-Mitglied und 17 Jahre lang Abgeordneter der Bezirksversammlung Nord gewesen. „Ich war auch Fraktionsvorsitzender, und wir haben dort eine rot-grüne Koalition nach der anderen geschmiedet, auch als man es so noch nicht nennen durfte“, sagte Tschentscher und hatte damit anerkennende Lacher auf seiner Seite. „Und ich fühle mich seitdem zuhause in der Diskussion mit der grünen Partei“, warb der künftige Bürgermeister beim Koalitionspartner. Im Übrigen liege es ihm sehr, über alle Themen der Stadt zu sprechen.

Wohnungsbau bleibt wichtigstes Thema

Der Wohnungsbau in der wachsenden Stadt bleibt das Topthema der Sozialdemokraten, das machte Tschentscher schnell klar. Zur Verkehrspolitik sagte er: „Das U- und S-Bahn-System ist klimafreundlich. Das ist E-Mobilität pur.“ Der Bau der U5 sei „ein gemeinsames Ziel von SPD und Grünen, das wir engagiert verfolgen sollten“.

Ausdrücklich ging Tschentscher auf das auch bei den Grünen wichtige Thema Frauen in Führungspositionen ein: „Seit 2011 ist der Anteil von Frauen in den von der Stadt besetzten Aufsichtsräten von 16 auf 44 Prozent angestiegen.“ Die HHLA werde von einer Frau geführt und demnächst auch die städtische Holding HGV.

Tschentscher sprach die Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Koalitionspartnern an und plädierte für Offenheit. „Wir sollten keine Mutmaßungen darüber anstellen, was die anderen denken. Sondern wir sollten das herausfinden, indem wir miteinander sprechen. Das sollte dann nicht in der Zeitung stehen.“ Ausdrücklich fügte Tschentscher hinzu: „Das gilt nicht nur für uns Politiker, sondern auch für den Dialog, den wir mit der Stadt führen müssen.“

Tschentscher wirbt für Dialog mit Bürgern

Rot-Grün solle sich vornehmen, „noch stärker in den Dialog mit den Bürgern zu treten“. Es gehe nicht darum, jede Forderung „eins zu eins“ zu übernehmen. „Es ist wichtig, dass wir verstehen, welche Bewertungen es zu dem gibt, was wir machen.“ Die Bürger müssten das Gefühl haben: „Die im Rathaus verstehen wenigstens unsere Sorgen, wenn sie Entscheidungen treffen. Davon profitieren wir alle gemeinsam.“ Es wirkte ein bisschen so, dass Tschentscher bei den Grünen den Anti-Scholz gab.

Die meisten Menschen wollten gut regiert werden, sagte der designierte Bürgermeister und griff damit ein Stichwort des bisherigen auf. „Bei aller kritischen Diskussion untereinander sollten wir am Ende immer darauf achten, dass es um eine gute Lösung für die gesamte Stadt geht. Wenn 2020 das Gefühl ist, dass sich ein Wir einstellt, dann sehe ich keine Gründe, warum wir nicht über 2020 hinaus die Geschicke der Stadt gemeinsam bestimmen können." Er sei sicher, dass das gelingen werde, sagte Tschentscher unter starkem Beifall.

Katharina Fegebank kritisiert Olaf Scholz

Vor Tschentscher hatte Fegebank die Erwartungen der Grünen an den künftigen Bürgermeister formuliert und dabei Olaf Scholz deutlich kritisiert. „Die fehlende Bezugnahme des bisherigen Ersten Bürgermeisters auf die Koalition und den Regierungspartner war kein angemessener Umgang. Das sollten wir in Zukunft besser machen. Wir Grüne strecken die Hand aus“, sagte Fegebank zu Tschentscher. Hinter den schlechten Umfragewerten der SPD sah die Grüne „einen handfesten G20-Effekt“. Die Aufarbeitung der Ereignisse im Sonderausschuss der Bürgerschaft bleibe „von allergrößter Bedeutung“. Fegebank: „Darauf werden wir bestehen.“

Katharina Fegebank (Grüne) teilte gegen Olaf Scholz aus
Katharina Fegebank (Grüne) teilte gegen Olaf Scholz aus © dpa | Daniel Reinhardt

Die entscheidende Schlussfolgerung aus dem Gipfel laute: „Jetzt ist Schluss mit Showtime fürs Kanzleramt. jetzt ist Zeit zum Zuhören in Hamburg. Das ist zumindest bei denen angekommen, die hier geblieben sind“, sagte Fegebank mit einem weiteren Seitenhieb auf Scholz. Auf das Thema G20 ging Tschentscher mit keinem Wort ein.

Fegebank beglückwünschte Tschentscher zu dessen Nominierung zum Bürgermeister auf dem SPD-Parteitag. „95 Prozent bekommen bei uns Grünen nur Schatzmeister, wenn überhaupt! Ich hatte mir schon kurz überlegt, zum Parteitag der SPD zu gehen und zu sagen: Wenn ihr euch nicht einigen könnt, ich würde es weitermachen!“, sagte Fegebank im Scherz und hatte die Lacher auf ihrer Seite.

Grüne pochen auf mehr Eigenständigkeit

Die Grüne gab sich überzeugt, dass eine erfolgreiche Fortsetzung der rot-grünen Koalition mit dem Bürgermeister Peter Tschentscher möglich sei. „Wenn beide Partner ihre Stärken ausspielen, dann kommt man an uns gemeinsam 2020 nicht vorbei“, sagte die Zweite Bürgermeisterin.

In der Diskussion wiesen Grüne vor allem auf die Zielkonflikte zwischen den Koalitionspartnern in der Verkehrspolitik und zwischen Wohnungsbau und dem Erhalt von Grünflächen hin. Das Grünen-Urgestein Jo Müller sah keine Chance für Rot-Grün über 2020 hinaus, weil „die lange Welle bei der SPD nach unten geht“. Doch das blieb eine Einzelmeinung.

Deutlich wurde die Tendenz, dass die Grünen auf mehr Eigenständigkeit pochen. „In Hamburg wird es keinen Rabatt für die große Koalition geben können, weil der Finanzminister aus Hamburg kommt“, sagte Umweltsenator Jens Kerstan. „Mit Olaf Scholz haben wir am Ende zwar gute Umweltpolitik gemacht. Aber es war nicht immer konfliktfrei, und manchmal ging es nur auf die harte Tour“, sagte Kerstan. „Das sollten wir uns in Zukunft ersparen.“

Anders als vor acht Jahren, als sich der designierte CDU-Bürgermeister Christoph Ahlhaus nach dem Rücktritt von Ole von Beust beim damaligen Koalitionspartner von den Grünen vorstellte, stimmten die Mitglieder diesmal nicht ab. „Für mich war das ein positiver Tag. Ich hoffe, ich habe deutlich machen können, dass ich mich auf die neue Aufgabe freue“, sagte der Sozialdemokrat nach seinem Auftritt dem Abendblatt.