Hamburg. Neuer Bürgermeister, neuer Finanzsenator, neue SPD-Chefin und Spekulationen über Schwarz-Grün – wie die Politik durchgeschüttelt wird.

Eines muss man der CDU lassen: Sie hatte die neue Lage am schnellsten erfasst. Als die SPD vor einer Woche überraschend Finanzsenator Peter Tschentscher als Nachfolger des scheidenden Bürgermeisters Olaf Scholz präsentierte, dauerte es nur wenige Minuten, bis CDU-Fraktionschef André Trepoll feststellte: „Damit sind die Karten neu gemischt.“

In dieser Woche war es nun ausgerechnet die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank von den Grünen, die diese Interpretation teilte: „Natürlich bedeutet der Weggang von Olaf Scholz auch eine Chance, die Karten an der einen oder anderen Stelle neu zu mischen“, sagte sie im Abendblatt-Interview und deutete zumindest vage an, welche Chancen sie sieht – nämlich die auf einen „neuen Politikstil“ und die auf mehr „Freiheit“, eigenständig Themen zu setzen.

Wer 2020 stärkste Kraft wird, ist unklar

Übersetzt bedeutet das: Nach dem Abgang des sehr dominanten Bürgermeisters Scholz, der dem grünen „Anbau“ von Anfang klar die Grenzen aufgezeigt hatte, sieht der kleinere Koalitionspartner nun seine Chance, sich stärker zu profilieren. Befördert wird das noch durch die jüngsten Umfragewerte: War die SPD bei der letzten Wahl 2015 mit 45,6 Prozent noch fast viermal so stark wie die Grünen (12,3), käme sie derzeit mit 28 zu 15 Prozent nicht einmal auf den doppelten Wert – logisch, dass das grüne Selbstbewusstsein steigt. Mehr noch: Da auch die CDU sich von ihrem desaströsen Wahlergebnis (15,9) wieder auf 22 Prozent erholt hat, scheint plötzlich nicht mal mehr sicher, wer 2020 überhaupt stärkste Kraft wird.

Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgemeisterin Katharina Fegebank (Die Grünen)
Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgemeisterin Katharina Fegebank (Die Grünen) © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Indes: Diese Umfrage stammt aus den Tagen vor dem Scholz-Abgang. Wie die Wähler die Neuaufstellung der SPD beurteilen, ist daraus deshalb nicht ablesbar. Vorsorglich hat das Geraune über mögliche Konstellationen nach 2020 aber schon begonnen. Dabei erteilte Fegebank einer Neuauflage von Schwarz-Grün zunächst eine Absage: „Ich habe nicht den Eindruck, dass die CDU auf den Weg zurück zu einer modernen, liberalen Großstadtpartei gefunden hat“, sagte sie im Abendblatt und betonte, die Union sei „keine attraktive Alternative“.

Plakataktion der CDU – "Zurück in die Zukunft"

So klar, wie es klingt, ist das allerdings nicht. Denn der Umkehrschluss lautet: Wenn die CDU sich wieder verändert, könnte sie doch eine Alternative werden. Wie der Zufall doch spielt: Die Christdemokraten bereiten gerade eine Plakataktion mit dem Slogan „Zurück in die Zukunft“ vor – das soll Erinnerungen wecken an die guten alten Regierungszeiten, als die Beust-Union als „moderne Großstadtpartei“ galt.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Andre Trepoll
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Andre Trepoll © Roland Magunia | Roland Magunia

Bei der CDU gibt man auch daher nicht allzu viel auf die Absage der Grünen. „Das haben sie vor der Wahl 2008 auch gesagt“, sagt ein prominenter Vertreter und verweist darauf, dass dann doch Schwarz-Grün gebildet wurde.

Die neuen Machtperspektiven – auch eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP gilt als denkbar – hat auch die Frage angeheizt, wer eigentlich Bürgermeisterkandidat der CDU wird: Fraktionschef Trepoll oder doch der Landesvorsitzende Roland Heintze? Oder vielleicht eine Frau von außerhalb? Im Gegensatz zum mandatlosen Heintze hat Trepoll die Chance, sich auf der Bühne Bürgerschaft als Oppositionsführer zu profilieren – und die nutzt er nach Meinung vieler Beobachter gut. Nicht nur daher sprechen ihm einflussreiche Parteifreunde das erste Zugriffsrecht zu. Aus Heintzes Umfeld ist indes zu hören, dass die Sache noch nicht so klar sei – wobei offen bleibt, ob der Parteichef selbst seinen Hut in den Ring werfen oder eine andere Lösung aus demselben hervorzaubern will. Bis Herbst, wenn die CDU den Kandidaten küren will, bleibt es spannend.

Die Sozialsenatorin Melanie Leonhard
Die Sozialsenatorin Melanie Leonhard © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Wahlentscheidend, das weiß man auch in der Union, dürfte letztlich nicht sein, wen die CDU aufbietet, sondern wie Peter Tschentscher seine neue Rolle ausfüllt. Denn die Vergangenheit lehrt: Gelingt es ihm, sich als beliebter und kompetenter Bürgermeister zu etablieren, kann sich die Opposition abstrampeln, wie sie will – dann wird die Bürgermeister-Partei auch die Wahl gewinnen.

Tschentscher hat großen Rückhalt in der Partei

Doch genau an der Stelle ist bei einigen Sozialdemokraten eine gewisse Unsicherheit zu spüren. Unbestritten ist: Tschentscher ist hochintelligent, genießt als Finanzsenator große Anerkennung, kennt die Stadt und die Verwaltung und hatte in seinen bisherigen Rollen großen Rückhalt in der Partei. Ordentliches Regieren, also die Fortsetzung des Scholz-Mantras, trauen ihm die Genossen allemal zu. Was sie umtreibt, ist etwas anderes: „Entscheidend ist doch, ob man mit Peter Tschentscher Wahlen gewinnt“, sagt einer.

Roland Heintze ist neuer Chef der Hamburger CDU
Roland Heintze ist neuer Chef der Hamburger CDU © Michael Rauhe | Michael Rauhe

Denn ein Volkstribun, einer, der die Menschen begeistert und mitreißt, ist der habilitierte Mediziner nicht – und er wird kaum den Fehler begehen, sich plötzlich in dieser Hinsicht zu verbiegen. Stattdessen wird er auf gute Sacharbeit setzen und bemüht sein, sich und seine Politik den Bürgern näherzubringen. „Mehr Dialog“ ist eines der wenigen Ziele, die Tschentscher seit seiner Nominierung selbst ausgegeben hat – ohne das näher zu konkretisieren.

Personalkarussell bei der Hamburg SPD

Das übernehmen dafür die Parteifreunde – wobei bereits eine Absetzbewegung zum einstigen Übervater Scholz zu erkennen ist. Der habe den Mund oft sehr voll genommen, und das sei zuletzt ja häufiger nach hinten losgegangen, meint einer – Stichwort G 20 und Hafengeburtstag. Das Kalkül: Tschentschers Bescheidenheit und Bedächtigkeit könnten die Bürger gerade in der Nach-Scholz-Ära zu schätzen wissen.

SPD-Fraktionschef Andreas Dressel
SPD-Fraktionschef Andreas Dressel © Roland Magunia/Hamburger Abendblatt | Roland Magunia/Hamburger Abendblatt

Doch was ist, wenn die Umfragewerte der SPD bei 28 Prozent verharren? Wenn vielleicht die Bezirkswahlen 2019 nicht klar gewonnen werden? Eine Diskussion über den richtigen Spitzenkandidaten dürfte dann schwer zu unterbinden sein. Befeuert wird das auch durch die anderen Personalien: SPD-Fraktionschef Andreas Dressel, lange klarer Favorit auf die Scholz-Nachfolge, hatte seinen Verzicht ausdrücklich nur mit der jetzigen familiären Situation (drei kleine Kinder und eine pflegebedürftige Mutter) und nicht für alle Zeiten ausgesprochen. Er folgt Tschentscher als Finanzsenator und wird auch künftig ein mächtiges Wort mitzureden haben. Und dann ist da ja noch Sozialsenatorin Melanie Leonhard: Sie hat wie Dressel unter Verweis auf ihren dreijährigen Sohn zwar auf den Bürgermeister-Posten verzichtet, übernimmt vom neuen Vize-Kanzler aber in Kürze das Amt der SPD-Landesvorsitzenden.

Von Dressel und Leonhard ist kein Königsmord zu erwarten

Die bislang auf Scholz konzentrierte Macht wird also künftig auf drei Schultern verteilt, und die Opposition wird es sich nicht nehmen lassen, Tschentscher mit den „Ersatz-Bürgermeistern“ zu konfrontieren, die bereitstünden. Realistisch ist das aber nicht. Denn sowohl Dressel als auch Leonhard gelten als loyale Teamplayer, ein Königsmord ist von ihnen nicht zu erwarten. Aus ihrem Umfeld ist zu hören, dass sie den neuen Bürgermeister mit voller Kraft unterstützen werden – und der werde dann auch Spitzenkandidat.

Zumindest aus Sicht der SPD sind die Karten also bereits gemischt und verteilt. Das Spiel kann beginnen.