Hamburg/Gütersloh. 91,5 Prozent der Schüler nutzen Nachmittagsangebote. Ausbau kostete bislang gut 300 Millionen Euro. Nachholbedarf in anderen Ländern.

Bei bundesweiten Bildungsvergleichen gibt es für Hamburg meist nicht viel zu holen. In Schülerleistungstests musste sich der Stadtstaat zuletzt mit maßvollen Verbesserungen im Mittelfeld zufriedengeben. Doch jedenfalls in einem Punkt ist Hamburg Spitze: Kein anderes Bundesland hat den Aus- und Umbau der Schulen zum Ganztagsbetrieb so energisch vorangetrieben.

Laut der aktuellen Bertelsmann-Studie gehen 91,5 Prozent der Hamburger Schüler auch nachmittags zur Schule. Mit weitem Abstand folgen Sachsen (77,5 Prozent), Berlin (65,8 Prozent) und Thüringen (51,5 Prozent). Schlusslicht ist Bayern, wo nur 16 Prozent der Schüler ein Ganztagsangebot nutzen. Etwas höher sind die Werte in Baden-Württemberg (23,7 Prozent), Sachsen-Anhalt (25,4 Prozent) und Schleswig-Holstein (26,4 Prozent). Die Angaben beziehen sich auf die Grundschulen, die Sekundarstufe I der weiterführenden Schulen sowie die Förderschulen.

Während in Hamburg neun von zehn Schülern ganztags, in der Regel von 8 bis 16 Uhr, unterrichtet und betreut werden, sind es bundesweit nur rund vier von zehn Jungen und Mädchen. Hamburg hat vor allem in den vergangenen Jahren kräftig zugelegt. Noch im Schuljahr 2009/10 betrug die Ganztagsquote lediglich 47,1 Prozent – etwa gleich viel wie in Berlin und Brandenburg, aber mit deutlichem Abstand hinter Sachsen und Thüringen. Und im Schuljahr 2002/03 belegte Hamburg nur den elften Platz unter 16 Ländern.

Ausbau von Ganztagsbetrieb kostete dreistelligen Millionenbetrag

Schulsenator Ties Rabe (SPD) freut sich verständlicherweise über die Spitzenposition Hamburgs. „Die stetig steigenden Anmeldezahlen zeigen, dass Hamburgs Eltern und Kinder das Ganztagsangebot gern annehmen“, sagte Rabe dem Abendblatt. „Das bestätigt, dass wir den richtigen Weg gegangen sind, um berufstätigen Eltern ein Bildungs- und Betreuungsangebot für ihre Kinder zu machen und um die Bildungschancen von benachteiligten Kindern zu erhöhen.“

Der von den CDU-geführten Senaten gestartete und von der SPD seit 2011 beschleunigte Ausbau von Schulen in Richtung Ganztagsbetrieb hat Steuergeld in dreistelliger Millionenhöhe gekostet. Ganztagsschulen benötigen Kantinen, damit Schüler und Lehrer mittags versorgt werden können. Allein der Bau oder Ausbau von Kantinen und Mensen hat nach Angaben der Schulbehörde seit 2013 rund 220 Millionen Euro gekostet. Im aktuellen Schuljahr werden rund 1200 Vollzeitstellen in den Bereichen Lehrer und Erzieher für die Ganztagsangebote an den staatlichen Schulen eingesetzt – die jährlichen Personalkosten belaufen sich auf 68 Millionen Euro.

„Wir verbessern den Ganztag jetzt Schritt für Schritt, bauen mehr Schulkantinen und stellen mehr Personal ein“, sagte Rabe. Ganz freiwillig ist diese Entwicklung nicht. Im vergangenen Jahr hatte sich die rot-grüne Rathauskoalition mit der Volksinitiative „Guter Ganztag“ auf einen Kompromiss zum qualitativen Ausbau der Ganztagsschulen verständigt und so einen Volksentscheid vermieden.

Nachholbedarf in den meisten anderen Bundesländern

Die Einigung sieht vor, 25 Millionen Euro zusätzlich für Schulkantinen und bauliche Verbesserungen im Ganztagsbereich – etwa für Ruhe- und Tobe­räume – auszugeben. Von Juli 2017 bis 2023 sind für 54 Schulen besonders aufwendige Produktions- oder Vitalküchen geplant, in denen das Essen frisch zubereitet wird. Von Januar 2015 bis Ende Juni 2017 wurden 44 Ganztagsküchen fertiggestellt, in denen das angelieferte Essen in der Regel aufgewärmt wird. Bis 2019 sollen noch einmal 18 Ganztagsküchen hinzukommen.

Auch das Personal wird infolge des Kompromisses mit der Volksinitiative noch einmal aufgestockt: Bis 2020 sollen die Personalausgaben um 17 Millionen Euro erhöht werden, um 350 Vollzeit-Erzieherstellen zu schaffen. Mehr Personal ermöglicht kleinere Gruppen am Nachmittag und zusätzliche Angebote. Unter anderem soll die Qualität der Hausaufgabenhilfe auf diesem Weg verbessert werden.

Mit Blick auf die meisten anderen Länder sieht die Bertelsmann-Studie großen Nachholbedarf beim Ganztagsschulausbau. Seit dem Ende des Investitionsprogramms des Bundes 2009 habe die Umstrukturierung erheblich an Fahrt verloren. „Die neue Bundesregierung muss dem Ganztagsausbau deutliche Priorität geben. Gute Ganztagsschulen sind der Motor für die Chancen von Kindern und Jugendlichen“, sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung und früherer Hamburger Wissenschaftssenator.

Um zu erreichen, dass 80 Prozent der Schüler bis 2025 Ganztagsangebote nutzen können, müssen laut Studie 3,3 Millionen Plätze geschaffen, 31.400 Lehrer und 16.200 Erzieher zusätzlich eingestellt werden. Jährlich fielen damit 2,6 Milliarden Euro Personalkosten an. Die Investitionskosten taxiert die Studie auf rund 15 Milliarden Euro.