Hamburg. Der grüne Chef der Umweltbehörde, Jens Kerstan, bewegt die größten Brocken der Hamburger Politik – und arbeitet nicht immer makellos.
Es ist eher unwahrscheinlich, dass Sisyphus Urlaub nehmen konnte. Denn bekanntlich hatte der einstige König aus der griechischen Mythologie die Götter so lange mit seiner Aufmüpfigkeit genervt, dass die ihn verdonnerten, pausenlos einen Stein immer wieder einen Berg hinaufzuwälzen. Ferien von Götterstrafen aber gibt’s nicht. Das immerhin unterscheidet Sisyphus vom grünen Hamburger Umweltsenator Jens Kerstan. Der darf sich nämlich in dieser Woche im Ferienhaus der Familie auf Mallorca von den Mühen der Gipfelstürme erholen.
Sonst aber gibt es durchaus Parallelen. Auch der 51-Jährige triezt gerne die Mächtigen – nicht nur SPD-Bürgermeister Olaf Scholz, sondern auch Hafenwirtschaft oder Autoindustrie. Kerstan wälzt wohl auch die dicksten Brocken, die im rot-grünen Senat bewegt werden. Während es in vielen Bereichen darum geht, die sowieso gedeihende Stadt ordentlich zu verwalten, ist Kerstan für die großen Umwälzungen zuständig. Dabei macht er sich nicht nur Freunde.
Er verhängt im neuen Luftreinhalteplan Diesel-Fahrverbote, führt trotz prall gefüllter Stadtkassen und ohnedies steigender Wohnkosten neue Straßenreinigungsgebühren für Hausbesitzer und Mieter ein, und muss die Energieversorgung mit dem Netzerückkauf neu regeln – was etwa bei der Fernwärme zu steigenden Preisen führen könnte.
„Diese Themen lassen sich nicht unter dem öffentlichen Radar abarbeiten“, sagt Kerstan und meint wohl auch: Streit gehört zum Geschäft – wie auch großer Arbeitseinsatz. „Ich hatte als Fraktionsvorsitzender auch immer lange Tage“, sagt der Bergedorfer. „Dass man die noch verdichten kann, hatte ich kaum für möglich gehalten.“
Dabei ist Kerstan einer, der Konflikte auch nicht meidet. Dass das Abendblatt ihn an dieser Stelle deswegen mal als „rauflustig“ bezeichnet hat, fand er zwar nicht nett. Viel schlimmer aber wäre es für den Whiskey-Liebhaber, wenn man ihn als harmoniesüchtig charakterisieren würde, heißt es aus seiner Partei. „Ich sehe mich nicht als Raufbold“, sagte Kerstan selbst. „Aber ich sorge dafür, dass die Grünen in der Koalition öffentlich wahrgenommen werden und ein klares Profil in Umwelt- und Energiefragen zeigen. Im Zweifel muss man da auch klare Kante zeigen.“
Klarer Einsatz für Klimaschutz und Gesundheit
Das rät er seiner Partei auch im Bundestagswahlkampf. „Ich glaube, dass die Menschen von uns eine gewisse Widerborstigkeit erwarten, klaren Einsatz für Gesundheit, Umwelt und Klimaschutz“, sagt er. Allerdings denke er wie Winfried Kretschmann, dass man Wandel nicht dekretieren könne. „Man muss Mehrheiten gewinnen.“
Auch weil SPD-Chef Scholz nichts mehr fürchtet, konnte Kerstan mit öffentlicher Widerborstigkeit schon öfter Druck machen. So hat er den Naturcent vor Abschluss des neuen Wohn-Bündnisses durchgesetzt. Mit dem Luftreinhalteplan hat er den Bürgermeister sogar dazu gebracht, Fahrverboten an Max-Brauer-Allee und Stresemannstraße zuzustimmen. Auch wenn die SPD das Ganze lieber Durchfahrtsbeschränkung nennen möchte – letztlich hat er Scholz damit zum Wortbruch gezwungen. Dass der stets versprochen hatte, es werde keine Fahrverbote geben, sei angesichts der Gerichtsurteile ein Fehler gewesen, heißt es bei den Grünen.
Langsam zeigt Kerstan aber auch Schwächen
Dabei zeigt auch Kerstan durchaus Schwächen in der täglichen Arbeit am Regierungswerk. Wie das Abendblatt in dieser Woche aufdeckte, wurden im neuen Luftreinhalteplan die Abgaswerte für ältere Dieselfahrzeuge zu niedrig angesetzt. Auch wenn das an den späten Informationen durch das Umweltbundesamt lag – es ist kein Ausweis für Qualität, erst auf Druck der Gerichte einen bei der Vorlage nicht mehr aktuellen Luftreinhalteplan zu präsentieren.
Auch beim Riesenthema Fernwärme läuft es nicht wie versprochen. Noch immer hat Kerstan kein abschließendes Konzept vorgestellt, wie er das alte Kohlekraftwerk Wedel ersetzen will, das bisher einen Großteil der Wärme liefert. Stattdessen hat er gegen Zusagen im Koalitionsvertrag einer längeren Laufzeit der Dreckschleuder vor den Toren Hamburgs zugestimmt, die immer wieder durch Partikelregen für Ärger sorgt.
Seine alten Freunde von den Umweltverbänden machen denn auch klar, dass sie keinesfalls durchweg zufrieden mit Kerstans Arbeit sind. Er tue zu wenig gegen Stickoxide in der Luft und gegen Verkehrslärm, heißt es vom täglich grüßenden BUND-Chef Manfred Braasch. Und Alexander Porschke, Nabu-Chef und Ex-Umweltsenator, setzt den Senat mit Plänen für eine Volksinitiative unter Druck, die weitere Grünbebauung kategorisch ausschließen soll.
Olaf Scholz ist für politisches Mitleid nicht anfällig
Die Opposition wirft Kerstan derweil handwerkliche Schwächen vor – aber auch, dass er die Öffentlichkeit mit falschen Versprechungen zum Rückkauf der Energienetze getäuscht habe. Kritik gibt es auch aus der eigenen Partei. Nicht alle finden es leicht vermittelbar, die Bürger angesichts der am Dienstag verkündeten Rekordeinnahmen bei den Steuern mit neuen Gebühren zu belasten. Vor allem die Grünen in Hamburg-Nord ärgern Kerstan parallel mit immer neuen Anfragen zu Lärm und Luft.
Man könnte das als Schützenhilfe im Kampf mit der SPD deuten, aber Kerstan sieht das anders. Es sei keine Hilfe, wenn man öffentlich auf die Mütze bekomme, soll er gelegentlich klagen. Außerdem sei Scholz für politisches Mitleid nicht anfällig. Die Grünen neigten dazu, halbvolle Gläser als so gut wie leer zu sehen, heißt es auch aus der Parteispitze. Viele orientierten sich eher an dem, was BUND-Chef Braasch sage, als an dem, was der eigene Senator in einer Koalition umsetze. Dabei sei das durchaus beachtlich. Denn eines müsse man doch auch sehen: Diese Koalition mit der Scholz-SPD sei viel mühsamer für die Grünen als die mit der Beust-CDU. Nicht nur seien die inhaltlichen Differenzen größer – auch sei Scholz eben ein Machtmensch, der es als lästig empfinde, nicht allein reagieren zu können.
Erholung im Ferienhaus auf Mallorca
So gehört auch die Befriedung des eigenen Ladens zu den täglichen Mühen des Sisyphus-Senators. Am Wochenende kommt Kerstan aus Mallorca zurück. In der Umweltbehörde stapeln sich schon die nächsten Brocken: das Programm zur Stadtsauberkeit, das 2018 starten soll, muss vorbereitet werden (auch die Gebühren); und dann sind da noch: die Übernahme des Gasnetzes im Oktober, das Fernwärmekonzept, der Lärmaktionsplan 2018, der neue Klimaplan und die Ausweisung neuer Naturschutzgebiete. Stress und Mühsal? Nicht nur. Glaubt man Albert Camus’ „Mythos von Sisyphos“ macht das Wälzen großer Brocken nicht unglücklich – im Gegenteil: „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen.“