Hamburg. Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks über Krankenversicherung, Notfälle und Bußgelder gegen Asklepios.
Sie hat politische Mitverantwortung für eine der wichtigsten Branchen der Stadt. Etwa jeder achte Job in Hamburg hat mit Gesundheit zu tun. Senatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) über den Bundestagswahlkampf, Ideen für eine Reform der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung, die Situation an den Notfallaufnahmen der Krankenhäuser und den Sonderfall Asklepios.
Hamburger Abendblatt: Frau Prüfer-Storcks, im letzten Bundestagswahlkampf wollten Sie und die SPD die private Krankenversicherung abschaffen. Was ist davon im Programm 2017 übriggeblieben?
Cornelia Prüfer-Storcks: Die SPD beschließt ihr Programm zur Bundestagswahl im Juni. Die Kommission, die Vorschläge für die Gesundheitspolitik erarbeitet hat, schlägt vor, eine paritätische Bürgerversicherung einzuführen – aber nicht, die private Krankenversicherung abzuschaffen. Wer jetzt in der PKV ist, soll eine Wahlmöglichkeit bekommen. Jeder kann dann in die Bürgerversicherung wechseln.
Jeder? Heute geht nach dem 55. Lebensjahr nichts mehr. Und auch vorher ist es fast unmöglich.
Cornelia Prüfer-Storcks: Jeder. In Zukunft gäbe es nur noch die Bürgerversicherung, aber auch PKV-Unternehmen könnten nach den Regeln der Bürgerversicherung eine Krankenversicherung anbieten. Ganz wichtig ist uns, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer wieder gleichermaßen an den Krankenversicherungsbeiträgen beteiligt werden und der Zusatzbeitrag der Versicherten abgeschafft wird.
Derzeit zahlen die Arbeitnehmer rund ein Prozent mehr vom Bruttogehalt. Ist die paritätische Bürgerversicherung ein Muss für eine künftige Koalition?
Cornelia Prüfer-Storcks: Das entscheidet die SPD-Führung.
Aber Sie fänden das charmant.
Cornelia Prüfer-Storcks: Mir ist das ein wichtiges Anliegen, weil es einhergehen soll mit einer neuen, einheitlichen Honorarordnung für Ärztinnen und Ärzte. Wir sehen doch in Hamburg, dass sich Ärzte aufgrund der unterschiedlichen Bezahlung ungleichmäßig über die Stadt verteilen und lieber dort niederlassen, wo es mehr Privatpatienten gibt und nicht in sozial schwächeren Stadtteilen. Zudem sollten gesetzlich Versicherte bei der Terminvergabe nicht länger warten müssen. Wir wollen eine einheitliche Honorarordnung, die dasselbe Volumen hat wie heute die der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung zusammen. Gleichzeitig würde mehr nach Aufwand bezahlt, die sprechende Medizin und die Arbeit von Hausärzten besser honoriert.
Private Krankenversicherung: Was wird aus den Beamten?
Was würde mit den Altersrückstellungen der Privatversicherten geschehen? Die kann man nicht einfach beschlagnahmen.
Cornelia Prüfer-Storcks: Im verfassungsrechtlich erlaubten Rahmen müssen die Wechsler ihre Altersrückstellungen in die Bürgerversicherung mitnehmen. Denn ihre gesundheitlichen Risiken werden auch in die GKV mitgebracht.
Das wäre das Ende der PKV, denn die Unternehmen würden ausbluten.
Cornelia Prüfer-Storcks: Das muss nicht sein. Wie beispielsweise die Techniker oder die Barmer könnten auch private Unternehmen die Bürgerversicherung anbieten.
Was würde aus den privatversicherten Beamten und ihren Familien?
Cornelia Prüfer-Storcks: Künftige Beamte würden in der Bürgerversicherung versichert. Die jetzt Privatversicherten können wechseln, wenn sie wollen. Wir würden für Beamte einen beihilfefähigen Tarif schaffen, sodass sich die Arbeitgeber, also die Verwaltung, entscheiden kann, ob sie die Beihilfe zahlt oder den halben Beitrag zur Bürgerversicherung. Heute werden Beamte in die private Krankenversicherung gezwungen. Die Arbeitgeber zahlen nicht den hälftigen Beitrag zur gesetzlichen Krankenkasse.
PKV-Betriebsräte warnen die SPD
Wie würden Sie persönlich entscheiden?
Cornelia Prüfer-Storcks: Ich bin als Beamtin zwangsweise in der PKV gelandet. Aber ich würde in die Bürgerversicherung wechseln. Als Privatpatientin erlebe ich, dass mir beim Arzt Angebote gemacht werden, deren Sinnhaftigkeit sich mir nicht immer erschließt. Außerdem muss ich in der PKV die Rechnungen selbst bezahlen, dann einreichen und immer wieder Diskussionen mit der Beihilfe über die Erstattungsfähigkeit führen.
Die Betriebsräte der Privatversicherer argumentieren, dass diese Reform über 100.000 Arbeitsplätze kosten würde. Das kann nicht im Sinne der SPD sein.
Cornelia Prüfer-Storcks: Das setzt Modelle voraus, die wir gar nicht verfolgen.
Was hält Martin Schulz von Ihren Ideen, Mister 100 Prozent und Kanzlerkandidat der SPD?
Cornelia Prüfer-Storcks: Ich bin ja nicht seine Sprecherin. Aber er hat immer wieder betont, dass die Parität wiederhergestellt werden muss und dass es keine Zweiklassen-Medizin geben darf.
Dann wird im Herbst ja kein Arzt die SPD wählen. Denn die sagen, dass sie ohne Privatpatienten kaum überleben können.
Cornelia Prüfer-Storcks: Die Ärzte haben die Sorge, die alte Honorierung der GKV würde gelten. Aber unsere Honorarordnung wäre doch ganz neu, und das Geld würde nicht reduziert, aber anders verteilt. Für die Ärzte wäre es viel gerechter. In sozial schwachen Stadtteilen haben sie heute Patienten mit mehr gesundheitlichen Problemen, weniger Privatversicherte, haben mit Sprachschwierigkeiten zu kämpfen. Die neue Honorarordnung würde ihren Aufwand berücksichtigen.
Martin Schulz sorgt für 14.000 neue SPD-Mitglieder
Die Privaten argumentieren, dass ohne sie die medizinische Forschung geschwächt würde, weil von der PKV Innovationen und auch neue Medikamente stark gefördert werden.
Cornelia Prüfer-Storcks: Das halte ich für ein Märchen. Auch in der GKV sind neue Medikamente sofort verfügbar. Aber beim Preis wird nach Evidenz gefragt und ob es Beweise gibt für eine bessere Wirkung von neuen Medikamenten.
Was halten Sie umgekehrt von Martin Schulz?
Cornelia Prüfer-Storcks: Ich freue mich über die Aufbruchsstimmung, die er in die SPD gebracht hat. Er strahlt aus, dass er mit Leidenschaft Politik macht – im Gegensatz zu Frau Merkel. Er kann seine Überzeugungen gut vermitteln – und das kommt bei den Bürgerinnen und Bürgern an. 14.000 neue SPD-Mitglieder zeigen, dass es generell ein höheres Interesse an Politik gibt, die Wahlbeteiligung steigt, all das ist positiv.
Würden Sie nach der Wahl in Berlin dort eine neue Aufgabe übernehmen wollen?
Cornelia Prüfer-Storcks: Ich kann mir keine schönere Aufgabe als die hier in Hamburg vorstellen.
Krankenhäuser: Milliardenprogramm gefordert
Die Große Koalition in Berlin hat sich vor allem darin hervorgetan, Krankenhäuser und Ärzte zu gängeln. Die Terminservicestellen sind ein totaler Flop, die Selbstverwaltung der Ärzte wird beschnitten. Was haben die Patienten von der Politik der Großen Koalition gehabt?
Cornelia Prüfer-Storcks: Sie werden sich nicht wundern, wenn ich widerspreche. Wir haben die Krankenhäuser nicht gegängelt, sondern ihnen zusätzliche Milliarden verschafft. Im Unterschied zu früheren Gesetzen wird beim Krankenhausstrukturgesetz gezielt in höhere Qualität, mehr Patientensicherheit und eine bessere Personalausstattung investiert, vor allem in die Pflege am Bett. Aufwendige Behandlungen werden besser vergütet. Die Mindestpersonalzahlen in der Pflege, für die ich sehr gekämpft habe, sind keine „Gängelung“, sondern ein Meilenstein für die Patientensicherheit.
Das sehen die Krankenhäuser anders, weil sie beklagen, dass sie noch immer zu wenig Geld für nötige Investitionen erhalten.
Cornelia Prüfer-Storcks: Für die Investitionen sind die Länder verantwortlich. Wenn alle so viel investieren würden wie Hamburg, gäbe es keinen Investitionsstau. Ich kann mir vorstellen, dass wir nach der Bundestagswahl ein zusätzliches Krankenhaus-Investitionsprogramm des Bundes auflegen, um den Investitionsstau abzubauen. Das müsste durch die Länder kofinanziert werden.
Welches Volumen müsste solch ein Programm des Bundes haben?
Cornelia Prüfer-Storcks: Das muss im Milliardenbereich liegen. Im derzeitigen Krankenhausstrukturfonds liegt eine Milliarde Euro, die die Krankenkassen und die Länder finanzieren. Ein Bundes-Programm sollte mindestens das doppelte Volumen haben. Finanziert werden sollte es direkt aus Steuermitteln, damit die Beitragszahler und der Gesundheitsfonds nicht belastet werden. Krankenhausinvestitionen sind auch ein Beitrag zur Gesundheitswirtschaft in Hamburg.
Hamburger Notaufnahmen: Zusammenarbeit mit der KV
Als Kostentreiber gelten auch die Ausgaben für Notfälle. Studien und Erfahrungswerte in Hamburg zeigen, dass viele Patienten zum niedergelassenen Arzt in die Praxis gehören und nicht in die Notaufnahmen von UKE, Asklepios und Co. Wie wollen Sie die bekehren?
Cornelia Prüfer-Storcks: Bundesweit weiß man, dass 80 Prozent der Fälle auch tatsächlich in die Notaufnahmen gehören. Bei den anderen Patienten müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) mit den Krankenhäusern besser zusammenarbeiten. Am AK Harburg gibt es demnächst eine Portalpraxis als Pilotprojekt.
…die der Notaufnahme vorgeschaltet ist, um echte Notfälle ins Krankenhaus zu schicken und andere Patienten zum Facharzt.
Cornelia Prüfer-Storcks: Die KV arbeitet an einem Modell für eine bessere Notfallversorgung. Sie kann nicht an allen Krankenhäusern solche Portalpraxen einrichten. Sie hat aber schon zugesagt, den kinderärztlichen Notdienst auszubauen und ihre Notarztpraxen sowie den rollenden Notdienst bekannter zu machen. In der Bevölkerung, vor allem bei jungen Leuten, hat anscheinend die Kenntnis darüber abgenommen, was sofort behandelt werden muss oder wo auch mal ein Wadenwickel hilft. Und die Terminservicestellen zur Vermittlung von Facharztterminen halte ich nicht für einen Flop. Auch sie müssen bekannter werden. Aber echte Notfälle gehören ins Krankenhaus, wir wollen und können die Notfallambulanzen nicht einschränken oder gar schließen. Hilfsbedüftige Patienntinnen und Patienten abzuweisen geht schon aus haftungsrechtlichen Gründen nicht.
Bußgelder gegen Asklepios verhängt
Als Gesundheitssenatorin haben Sie zuletzt Asklepios für Schlampereien gerüffelt. Die Ergebnisse der Sonderprüfung haben Sie aber nicht veröffentlicht.
Cornelia Prüfer-Storcks: Doch. Im Gesundheitsausschuss der Bürgerschaft habe ich die Ergebnisse detailliert dargelegt. Bei drei Asklepios-Häusern wurden beispielsweise Verstöße gegen den Arbeitsschutz beanstandet und es wurden auch Bußgelder verhängt. Zur Hygiene haben wir die Gesundheitsämter befragt: Asklepios-Kliniken weisen danach insgesamt kein schlechteres Bild aus, als andere Häuser. Bei der Patientenzufriedenheit sind die Asklepios-Häuser am unteren Ende der Skala, auch wenn man sie nur mit anderen großen Häusern mit Notaufnahmen und damit vielen nicht vorhersehbaren Fällen vergleicht. Hier hat Asklepios eindeutig ein Problem und muss etwas tun.
Würden Sie sich mehr Kontrolle über Asklepios wünschen, denn die Stadt hält ja noch 25,1 Prozent der Anteile?
Cornelia Prüfer-Storcks: In mancher Hinsicht ja. Die Regeln für Personaluntergrenzen in der Pflege, die demnächst geschaffen werden, sehen ja auch vor, dass wir als zuständige Gesundheitsbehörde informiert werden, wenn diese Grenzen unterschritten werden. Dann ziehen wir Konsequenzen. Dasselbe gilt für die Qualitätsergebnisse und für die Unterschreitung von Mindestmengen.
Die Opposition wirft Ihnen vor, bei Asklepios keine Kontrolle auszuüben. Haben Sie überhaupt Mitspracherechte, wenn Hamburg laut Vertrag bei unterschiedlichen Auffassungen mit Asklepios zum Beispiel über Wirtschaftspläne sogar Aufsichtsratsmitglieder austauschen muss?
Cornelia Prüfer-Storcks: Dieser Vertrag, den der CDU-Senat damals verhandelt und unterschrieben hat, gewährt nur eingeschränkte Kontrollmöglichkeiten für Hamburg als Gesellschafter. Das kann man beklagen. Wir müssen aber damit leben. Die Stadt schöpft das ihr Mögliche aus. Wir dringen auf eine adäquate Personalausstattung. Und wir pochen auf Tarifbindung bei Asklepios, auch bei den Unternehmensteilen, die outgesourct wurden.
Was passiert, wenn Asklepios an die Börse gehen will?
Cornelia Prüfer-Storcks: Ich habe den Asklepios-Gründer Herrn große Broermann gefragt, ob er das plant. Er hat mir versichert, dass er das nicht vorhabe.
Wie entwickelt sich Hamburgs als Gesundheitsmetropole in den kommenden zehn Jahren?
Cornelia Prüfer-Storcks: Mein Ziel: Die Ärztinnen und Ärzte verteilen sich gleichmäßiger über die Stadt und wir haben mehr Hausärzte. Die Krankenhäuser behandeln noch mehr Patienten von außerhalb, weil sie Spitzenergebnisse vorweisen können. Alle tauschen Befunde elektronisch aus. Die Patienten sind zufrieden. In der Pflege haben wir ausreichend Fachkräfte und alternative Wohnformen und Wahlfreiheit im Alter.