AfD-Fraktionschef Jörn Kruse handelte sich einen Ordnungsruf von Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) ein. Das steckt dahinter.
Es gab keine Alternative zu dem Ordnungsruf von Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD). Gut möglich, dass AfD-Fraktionschef Jörn Kruse es am Donnerstagnachmittag nach der Aktuellen Stunde in der Bürgerschaft auch darauf angelegt hatte. In jedem Fall setzte der Ordnungsruf den Schlusspunkt einer Auseinandersetzung, die so nicht hätte eskalieren müssen. In der Fußballersprache würde man sagen, dass Kruse die Vorlage nur noch reinmachen musste – was er schließlich auch tat.
Der ehemalige AfD-Landeschef hatte kurz zuvor erklärt, dass er sich nicht vorgeben lasse, was er sagen dürfe und was nicht. Der Rahmen, den er dafür wählte, ist ein seltenes Mittel der parlamentarischen Auseinandersetzung: die sogenannte „persönliche Bemerkung“. Erlaubt sind dabei nur Erwiderungen auf im Plenum erhobene Vorwürfe. Doch Kruse kritisierte etwas völlig anderes, nämlich die Einberufung des Ältestenrates am Vortag. Und der tagt nicht öffentlich. Kruse wertete die Einberufung als „Versuch der Einschüchterung“.
Das ist zwar eine maßlose Übertreibung – und eben der Verstoß gegen die Regel –, aber Kruse erzielte damit Wirkung. Eine Wirkung, die die grüne Innenpolitikerin Antje Möller nicht im Sinn hatte, auf deren Initiative die Einberufung des aus den Fraktionsspitzen und dem Präsidium bestehenden Krisenstabs zustande kam. „Es ging um die Frage, ob ein gemeinsames parlamentarisches Selbstverständnis darüber zu erzielen ist, wie wir debattieren“, so Möller.
Sie hatte Anstoß genommen an Kruses Rede in der Debatte „Christen und andere Minderheiten unter den Flüchtlingen besser schützen“. Darin warf er dem Senat vor, religiös motivierte Gewalt zu ignorieren. Hamburg werde mit der Migration von ungebildeten, jungen Männern konfrontiert, die mehrheitlich eine muslimische Sozialisation erfahren haben. Für Möller bedeutete das ein „harter Bruch zu den Vorreden“, welche mit viel Bedacht geführt worden seien.
Nun ist die Wahl der Worte für Kruse durchaus ungewöhnlich, da er bislang als gemäßigt galt. Ungewollt verhalf Möller der AfD damit aber zu einer Märtyrer-Rolle, die sie eigentlich vermeiden wollte. Dass die Sensibilität bei AfD-Reden allerdings so groß ist, hat Gründe, denn mehrmals haben deren Abgeordnete tatsächlich übel provoziert. So im September: Damals wurde ein eigentlich harmloser Antrag von SPD und Grünen debattiert, der das Ziel hatte, die vielen ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer zu vernetzen und besser zu unterstützen. Das stieß sogar bei der Opposition größtenteils auf Zustimmung. Den AfD-Abgeordneten Alexander Wolf hielt das aber nicht davon ab, Rot-Grün die Förderung der „Flüchtlingsindustrie“ und „Pro-Asyl-Propaganda“ zu unterstellen. Überhaupt stieß ihm übel auf, dass Organisationen unterstützt werden sollen, die Zuwanderung begrüßen – gemeint waren beispielsweise Kirchen, Wohlfahrtsverbände und die Handelskammer. Danach gab es Tumulte, „Schande“-Rufe, und die Links-Fraktion verließ sogar den Plenarsaal.
Doch im aktuellen Fall hätten sich manche Abgeordnete mehr Zurückhaltung gewünscht. „Man sollte der AfD nicht zu einer solchen Bühne verhelfen“, sagt etwa CDU-Fraktionschef André Trepoll. Allerdings bezeichnet er Kruses zweiten Auftritt als „Inszenierung“. Einstimmig hatten die Fraktionschefs dessen „persönliche Bemerkung“ genehmigt. „Wir dachten aber, dass Herr Kruse beschwichtigen wollte“, so Trepoll. So schnell wird die AfD keine zweite Gelegenheit bekommen.
Symptomatisch für das Verhältnis zwischen der weit überwiegenden Mehrheit der Bürgerschaft und der AfD-Fraktion ist der Streit um die Besetzung der Härtefallkommission. Seit nunmehr einem Jahr, seit Beginn der Legislaturperiode, ist ein Platz in dem Gremium frei, das zum Beispiel über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Ausländerrecht entscheidet und so eine Abschiebung im letzten Augenblick verhindern kann. Es ist der Platz, der eigentlich der AfD zusteht.
Ende Januar hatten die Rechtskonservativen genug und riefen das Verfassungsgericht an, um den Streit juristisch klären zu lassen. Noch gibt es keinen Verhandlungstermin. Übrigens: Ganz ausgeschlossen ist die AfD-Fraktion von der Mitarbeit in der Härtefallkommission nicht. Joachim Körner ist schon vor Monaten zum stellvertretenden Mitglied gewählt worden.
Die Ablehnung von AfD-Personalvorschlägen durch die große Mehrheit des Parlaments erstreckt sich auch auf echte Nebenschauplätze der politischen Auseinandersetzung. In der Bürgerschaftssitzung am Mittwoch ging es um die Wahl zweier Deputierter. Der AfD-Vorschlag fiel durch. Sehr zum Missfallen von CDU-Fraktionschef Trepoll: „Man kann die AfD nur entzaubern, wenn sie in den Gremien zeigt, dass sie es nicht kann.“
Das gewünschte Ergebnis hat die Ältestenratssitzung dann doch nicht erbracht. Antje Möller musste nach dem Auftritt Kruses am Donnerstag nüchtern feststellen, dass es „kein gemeinsames parlamentarisches Selbstverständnis“ gibt.