Michael Neumann hört als Hamburger Innensenator auf – und vergrößert die Probleme der SPD.

Es gibt Rücktritte, die schlagen ein wie ein Blitz und treffen die Öffentlichkeit völlig unvermittelt. Und es gibt Demissionen, die über einen quälend langen Zeitraum geradezu zelebriert werden, bevor sie endlich vollzogen sind. Der Rücktritt des Innensenators Michael Neumann gehört eher in die zweite Kategorie. Für die Sozialdemokraten, den Bürgermeister und die Stadt ist er gleichwohl ein herber Verlust.

Gerade in innenpolitisch turbulenten Zeiten benötigt die SPD „Männer fürs Grobe“, die glaubwürdig die Partei als „Schutzmacht der kleinen Leute“ verkörpern, wie es der ehemalige Vorsitzende Franz Müntefering einmal formulierte. Diese „kleinen Leute“ drohen in der SPD heimatlos zu werden. Das ist der Teil der Wählerschaft, für den Polizisten Schutzmänner sind, weil sie sich vor Einbrechern oder Taschendieben fürchten. Der Teil, der Zuwanderer nicht als bunte Bereicherung, sondern vor allem als Bedrohung des eigenen Lebensstils, als Konkurrenten um Jobs, Wohnungen und Sozialleistungen sieht. Der Teil der Wählerschaft, der SPD und Grüne nicht für ein Liebespaar, sondern für Wettbewerber hält. Es ist genau diese Klientel, die sich in den vergangenen Jahren von der SPD verabschiedet hat und die Volkspartei im Kern erodieren ließ.

Gerade in der Flüchtlingsdebatte hätte die Bundes-SPD einige Neumänner mehr benötigt, um Merkels Fehler der Grenzöffnung früher zu erkennen und zu benennen. Zwar hat sich der Innensenator in der jüngsten Diskussion zurückgehalten. Im Streit um die „Lampedusa-Flüchtlinge“ aber hatte Michael Neumann 2013 gehandelt, gegen massive Widerstände die geltenden Zuwanderungsregeln verteidigt und eine Sonderbehandlung der Lampedusa-Gruppe abgelehnt. Das machte ihn zur Hassfigur in der linken Szene. Welch Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet eine CDU-Kanzlerin diesen rechtsstaatlichen Einsatz obsolet gemacht hat.

Für den Bürgermeister ist der Rücktritt seines langjährigen Senators ein doppelter Verlust. Seit seinem kurzen wie vergeblichen Rettungseinsatz 2001 als Hamburger Innensenator weiß Scholz um die Wichtigkeit dieses Politikfeldes. Hier bedarf es eines politischen Schwergewichts. Mit Neumann geht einer der wenigen Senatoren, die dem Bürgermeister auch einmal offen widersprachen – wie zuvor Sozialsenator Detlef Scheele, der sich im Herbst zur Bundesagentur für Arbeit absetzte. Beide waren übrigens für die Flüchtlingspolitik zuständig. Das Regieren mag für den Bürgermeister vielleicht einfacher werden. Ob es auch besser wird, steht noch dahin.

Zumal die tiefere Ursache für den Abgang des 45-Jährigen im Votum der Hamburger gegen Olympia liegt. Diese Entscheidung der Wähler, die Neumann stets als Bekenntnis zur Provinz verstand, hat sein Feuer erstickt. Der Innen- und Sportsenator brannte wie kein anderer für Olympia 2024, zuletzt aber wirkte er eher ausgebrannt. Geradezu gelöst zeigte sich Neumann gestern im Rathaus. Wer von den Weltspielen der Jugend träumt und in der Wirklichkeit der Busbeschleunigung und Silvester-Exzesse erwacht, muss verdammt viel Liebe zur Macht mitbringen. Oder eben zurücktreten.

Möglicherweise deutet der Abgang von Neumann die Verwerfungen an, die das Olympia-Nein in Politik und Wirtschaft noch auslösen könnte. Hamburg ist – bei allem Verständnis für die Sorgen und Nöte der Olympiagegner – als Stadt nicht attraktiver geworden. Das gilt für den Sport wie für Investoren. Seit gestern ist klar: Es gilt auch für die Politik. Möglich, dass auch Olaf Scholz einen Wechsel in die Berliner Bundespolitik bald attraktiver findet als ein Verharren in Hamburg.