Hamburg. Silvesterrede von Präses Fritz Horst Melsheimer wird noch viel diskutiert. Handelskammer will für ihr Rederecht kämpfen.

Die Zukunft Hamburgs ist gesichert – auch ohne Olympia. Schließlich kann kaum eine andere Metropole eine so aktive Denkfabrik ihr eigen nennen, wie es bei uns die Handelskammer ist. Im kleinen Führungszirkel der altehrwürdigen Institution auf der Rathaus-Rückseite am Adolphsplatz sitzen Experten für alles, was es zwischen Urknall und Apokalypse zu bedenken gibt. Das hat zuletzt auch Präses Fritz Horst Melsheimer in seiner Silvesterrede bewiesen, die noch in dieser Woche viel diskutiert wurde. Der 65-jährige Winzersohn aus Traben-Trarbach hatte den aufmerksamen Zuhörern die geostrategische Weltlage erklärt („Die Großmächte müssen zuein­ander finden und mit Europa und den regionalen Mächten zusammenarbeiten“); er erläuterte die beste Form des Radfahrens („Fahrräder gehören nicht auf die Hauptverkehrs-, sondern auf Nebenstraßen“) – und befasste sich mit Demokratietheorie („Die Mischform von parlamentarischer und direkter Demokratie ist ein Irrweg“).

Klar: Ob einer so großen Rede kamen sofort die Kritikaster und Mäkler gelaufen. Was bitte ermächtige ausgerechnet Kaufmann Melsheimer zu Einlassungen über Demokratie, nölten sie. Schließlich sei der Mann selbst nicht demokratisch legitimiert, da er ins Kammerplenum nicht gewählt, sondern nur kooptiert worden sei – und zwar unter Umständen, die mittlerweile prinzipiell von Gerichten als nicht gesetzeskonform gerügt wurden. Im Übrigen seien Kammern laut Gerichtsurteilen gar nicht berechtigt, sich über Dinge auszulassen, die nicht unmittelbar mit Wirtschaft zu tun hätten.

Handelskammer will für ihr Rederecht kämpfen – bis zum Verfassungsgericht

Dummerweise bekommen die Mäkler viel Unterstützung von Fachleuten. „Die Kammern dürfen sich zu wirtschaftspolitischen Fragen äußern, aber die Grenzen sind eng gesetzt“, betont jetzt etwa der Staatsrechtler und Volkswirt Prof. Helmut Siekmann von der Uni Frankfurt. „Zu allgemeinpolitischen Fragen und Diskussionen dürfen sie sich nicht äußern.“ Das sieht auch Prof. Michael Adams so, der an der Uni Hamburg das Institut des Rechts der Wirtschaft leitete. „Es geht nicht, dass Menschen oder Unternehmen in Zwangskörperschaften gepresst werden, die dann allgemeinpolitische Aussagen in ihrem Namen veröffentlichen, die gar nicht von allen Mitgliedern unterstützt werden. Das haben die Verwaltungsgerichte mehrfach klargestellt.“ Freilich könne man die Rede Melsheimers auch als Privatmeinung deuten. Bei ihren Einschätzungen verweisen die Experten auf ein Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts. Zuletzt hatte das Verwaltungsgericht Hamburg die Kammer gerügt – und ihr Engagement gegen den Netzrückkauf 2013 als rechtswidrig verurteilt.

In der Kammer selbst will man sich den Mund nicht verbieten lassen – und kündigt einen energischen Kampf für die Meinungsfreiheit an. „Es kann ja nicht sein, dass jeder das Recht auf freie Meinungsäußerung hat, nur der Präses und der Hauptgeschäftsführer der Handelskammer nicht“, sagte Kammer-Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz dem Abendblatt. „Wir werden die freie Meinungsäußerung auch der Handelskammer-Vertreter bis zur letzten Instanz verteidigen – zur Not auch mit einer Verfassungsbeschwerde.“ Schließlich ginge es der Kammer darum, „die Stadt mit eigenen Impulsen voranzubringen“. Deswegen hat das Kammerplenum im Dezember beschlossen, gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts in Berufung zu gehen. Allein die interne Opposition der Gruppe „Die Kammer sind WIR!“ stimmte dagegen. „Das zeigt, dass die W-Gruppe eine gestutzte Handelskammer will, die sich nur noch um Ausbildung und Dienstleistung kümmert, aber nicht mehr um die Zukunft der Hamburger Wirtschaft“, so Schmidt-Trenz.

Die neue Schärfe zwischen den Ehrbaren Kaufleuten zeigt, dass es nicht nur um die Sache geht – sondern bereits um die Kammerwahl 2017. Der Sprecher der WIR!-Gruppe, der 43 Jahre alte aus Bayern stammende Unternehmensberater Tobias Bergmann, gilt nämlich als ernst zu nehmender Herausforderer. Selbst in den Regierungsfraktionen von SPD und Grünen hält mancher einen Umbruch bei der Kammerwahl 2017 nicht für ausgeschlossen.

„Die jetzige Führung macht zu viele Stockfehler und eine unkluge Öffentlichkeitsarbeit“, sagt ein prominenter Abgeordneter. So sei die zögerliche Veröffentlichung des Jahresgehalts von fast einer halben Million Euro für Hauptgeschäftsführer Schmidt-Trenz mehr als ungeschickt gewesen. „Die müssen außerdem endlich mal lernen, dass Opposition dazugehört“, ergänzt ein anderer aus dem Führungskreis des Regierungslagers. „Nicht jede Kritik ist eine Majestätsbeleidigung.“ Wer zu oft auftrete, als seien seine Worte quasi göttlich inspiriert, wirke nicht sonderlich sympathisch. Obwohl Expertise und Dienstleistungen der Kammer in der Politik weithin geschätzt werden – die Zwangsmitgliedschaft findet nicht nur Unterstützer. „Man kann aus Parteien austreten, aus Gewerkschaften, sogar aus einer Ehe – aber nicht aus Industrie- und Handelskammern“, kritisiert etwa der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs.

Auch der Kammer-Vorstoß zur Einschränkung der direkten Demokratie findet in der Politik kaum Unterstützung. „Mit ein wenig Abstand wird sich bei der Handelskammer der Gedanke durchsetzen, dass ein verlorenes Referendum nicht dazu führen muss, ein gut funktionierendes demokratisches System zu verändern“, sagt etwa Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks. Selbst in der CDU hält man nichts vom Melsheimer-Ratschlag. „Wir sollten lieber versuchen, mal eine Volksabstimmung zu gewinnen, anstatt auf Volks-abstimmungen zu verzichten“, sagte CDU-Landeschef Roland Heintze.

Der Herausforderer der Kammer-Spitze verbrachte den Jahreswechsel derweil weit weg in Nicaragua, wo er seinen Vater besuchte. An diesem Sonntag will WIR!-Sprecher Bergmann nun bei einem eigenen Neujahrsempfang in Hamburg seine Agenda für die Zukunft der Kammer vorlegen. „Leider hat Präses Melsheimer Silvester nichts zu Ausrichtung und Organisation oder den Finanzen gesagt“, so Bergmann. „Stattdessen hat er wieder alle belehrt.“

Die Kammer müsse aber stärker zum „Seismografen der Wirtschaft“ werden. „Natürlich soll sie Themen setzen. Aber das muss intern besser abgestimmt werden. Das Motto muss sein: ,Erst zuhören, dann sprechen‘, nicht umgekehrt.“ Für die Kammerwahl hat der Geschäftsführer von Nordlicht Management Consultants auch schon ein Wahlgeschenk vorbereitet. Zwar könne man an der Pflichtmitgliedschaft nicht rütteln, so Bergmann. „Wir wollen in Hamburg aber künftig nur noch freiwillige Beiträge erheben.“