Hamburg. Manfred Brandt vom Verein Mehr Demokratie kritisiert den Rundumschlag des Handelskammer-Präses. So reagieren andere Politiker.

Der Rundumschlag von Handelskammer-Präses Fritz Horst Melsheimer gegen die Volksgesetzgebung in Hamburg hat ein höchst unterschiedliches Echo ausgelöst. Vor allem Manfred Brandt vom Verein Mehr Demokratie, der sich seit vielen Jahren für mehr direkte Demokratie einsetzt und viele Elemente der heutigen Gesetzeslage angestoßen oder sogar durchgesetzt hat, reagierte mit Kritik: „Ich glaube, Herr Melsheimer ist nicht ganz auf der Höhe der Zeit“, sagte Brandt dem Abendblatt. „Man kann die Bürgerrechte nicht mehr zurückdrehen. Da hat der Kammer-Präses wohl die Verfassungslage nicht richtig erkannt.“

Denn in Hamburg gilt die Regel, dass bei Änderungen an einem Wahlgesetz oder an einem vom Volk beschlossenen Gesetz die Bürger Anspruch auf einen Volksentscheid darüber haben – sofern sie innerhalb von drei Monaten rund 32.000 Unterschriften vorlegen, was als machbar gilt.

Melsheimer hatte bei der „Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg“ am Silvestertag in der Handelskammer gefordert, die Volksgesetzgebung „gründlich zu überarbeiten und die repräsentative Demokratie wieder zu stärken“. Denn die gewählten Volksvertreter hätten sich durch den Ausbau der Volksgesetzgebung zunehmend „Fesseln“ angelegt. Ausdrücklich hatte der Kammer-Chef Helmut Schmidt zitiert: „Je mehr direkte Demokratie, desto unregierbarer das Land.“ Anlass für Melsheimers Kritik war das Referendum Ende November, bei dem eine knappe Mehrheit der Hamburger die Bewerbung um die Olympischen Spiele 2024 abgelehnt hatte. Die Wirtschaft stand hingegen, ebenso wie der Senat und die große Mehrheit der Bürgerschaft, hinter der Bewerbung.

Aus Sicht von Brandt war genau diese breite Pro-Olympia-Allianz ein Problem: „Volksabstimmungen müssen von der Exekutive genauso unabhängig und fair durchgeführt werden wie Wahlen“, sagt er. Das sei beim Referendum aber nicht der Fall gewesen, weil der Senat mithilfe städtischer Unternehmen offen für die Spiele geworben habe. „Das Grundproblem ist für mich, dass einerseits die Akzeptanz von Parteien und das Vertrauen in die Politik sinken und andererseits die Politik dem Volk nicht vertraut.“

SPD und Grüne bekräftigten am Montag erneut, dass sie derzeit keine Neigung haben, die direkte Demokratie einzudämmen. „Ich halte es für unmöglich, im 21. Jahrhundert die Volksgesetzgebung wieder zurückzudrehen“, sagte Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks. „Es war richtig, die Bürger zu Olympia zu befragen, denn man kann solche Projekte nicht ohne den Rückhalt der Bevölkerung durchziehen.“ Wer nun die Regeln ändern wolle, laufe Gefahr wie ein „schlechter Verlierer“ dazustehen. Im Übrigen habe auch Melsheimer gar nicht gesagt, wie er sich eine neue Volksgesetzgebung vorstelle. Auch SPD-Fraktionschef An­dreas Dressel hatte schon vor der Rede des Kammer-Chefs im Abendblatt gesagt, er „warne“ davor, nach dem aus Regierungssicht verlorenen Referendum die Regeln zu ändern. Am Montag sagte er: „Ich kann Herrn Melsheimer einerseits verstehen, andererseits sollten wir uns jetzt darauf konzentrieren, eine erneute Veränderung der Volksgesetzgebung zu verhindern.“ Damit spielte Dressel auf „Rettet den Volksentscheid“ an, die neuste Initiative von Mehr Demokratie, die diverse Änderungsvorschläge für die direkte Demokratie macht.

Die Hamburgische Bürgerschaft solle nicht nur über Kleinkram entscheiden

CDU-Fraktionschef André Trepoll hält direkte Demokratie dort für vernünftig, wo es eine „direkte Betroffenheit vor Ort“ gebe und der „Sachverhalt vergleichsweise nachvollziehbar“ sei. Letztlich dürften wichtige politische Zukunftsentscheidungen aber nicht überwiegend von Emotionen und Stimmungen abhängig sein, so Trepoll. „Politische Entscheidungsträger müssen für ihre Fehler einstehen und können bei der nächsten Wahl zur Verantwortung gezogen werden.“ Das gebe es bei Volksentscheiden nicht. „Es entspricht nicht unserem parlamentarischen Selbstverständnis, wenn die Bürgerschaft irgendwann nur noch über Kleinkram zu entscheiden hat, während alle wichtigen Themen per Volksentscheid geregelt werden.“ Wenn Rot-Grün sinnvolle Vorschläge zur Modifizierung der Volksgesetzgebung vorlegen sollte, sei die CDU zu Veränderungen im Konsens bereit. Etwa bei der Höhe der Quoren, dem Etatrecht des Parlaments oder der übergeordneten Infrastruktur. „Auch bei Veränderungen zum Wahlrecht stehen Rot-Grün und der Bürgermeister im Wort.“

Für FDP-Fraktionschefin Katja Suding ist die Volksgesetzgebung ein „wichtiges Element unserer demokratischen Kultur“. Sie dürfe allerdings nicht dazu führen, dass sich verschiedene Entscheidungsebenen gegenseitig blockierten. Die neu geschaffene Form des „Referendums von oben“ sei verfassungspolitisch bedenklich und schwäche die repräsentative Demokratie. „In diesem Punkt unterstützen wir die Position von Präses Melsheimer: Das Referendum von oben muss wieder abgeschafft werden.“ Die FDP wolle die Volksgesetzgebung auf Initiativen aus der Bevölkerung beschränken, aber auch hier seien weitere Reformen nötig. Suding fordert etwa höhere Quoren bei Bürgerentscheiden, „damit nicht Partikularinteressen kleinerer Gruppen dominieren“.

Und Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus sagt: „Melsheimers Wunsch, dass Senate ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Entwicklungen einfach durchregieren, zeugt von einem wirklich bizarren Demokratieverständnis.“ Wenn sich Menschen eine Meinung bildeten, Argumente entwickelten und ein Anliegen mehrheitsfähig machten, dann sei dies unbedingt zu respektieren und zu begrüßen.