Gerade mal jeder zweite ging zur Wahl. Bischöfin ist besorgt. Politiker drängen auf Änderungen des komplizierten Wahlrechts. „Mehr Demokratie“ rechtfertigt Verfahren.
Hamburg. Die Wahlbeteiligung in Hamburg ist auf ein historisches Tief gesunken. Sie rutschte nach Angaben des Landeswahlamtes auf 56,6 Prozent. Damit wurde das bisherige Rekordtief aus dem Jahr 2011 mit 57,3 Prozent noch einmal unterschritten.
Angesichts dieser Entwicklung übten Hamburger Spitzenpolitiker am Wahlabend erneut Kritik am bisherigen Wahlrecht. „Es trägt nicht unbedingt dazu bei, diejenigen an die Wahlurnen zu bringen, die keine so hohe Affinität zur Politik haben“, sagte Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD). Die Politikerin ist überzeugt, dass man in der Mobilisierung der Wähler bei den Jüngeren ansetzen müsse.
„Über Vereinfachung des Wahlrechts nachdenken“
SPD-Fraktionschef Andreas Dressel sagte dem TV-Sender Hamburg 1, vor allem in den sozial schwächeren Stadtteilen sei die Wahlbeteiligung stärker als in anderen Vierteln gesunken. Er plädierte dafür, über die Frage der Vereinfachung des Wahlrechts nachzudenken. Die Linke-Politikerin Dora Heyenn sagte in der ARD: „Schade, dass wieder weniger Menschen zur Wahl gegangen sind.“
Auch Kirsten Fehrs, Bischöfin der Nordkirche für die Sprengel Hamburg und Lübeck, äußerte sich erschrocken: „Es darf uns doch nicht gleichgültig sein, wer unsere Stadt regiert“, sagte sie am Sonntagabend. Sie hoffe, so die Theologin, dass rasch eine Regierung gebildet werde, die die positiven Entwicklungen etwa beim Wohnungsbau oder der Einbürgerung weiter befördert und zugleich die Probleme unserer Stadt anpackt – beispielsweise die unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen.
Die Indendantin des Deutschen Schauspielhauses, Karin Beier, sagte dem Hamburger Abendblatt: "Die extrem niedrige Wahlbeteiligung zeigt, wie wichtig es ist, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist, sondern tägliche Arbeit für alle.“
Tatsächlich hat das seit 2011 geltende Wahlrecht einige Tücken. Jeder Wähler verfügt über zehn Stimmen – fünf für die Wahlkreislisten und fünf für die Parteilisten. Er kann sie auf eine Partei beziehungsweise einen Kandidaten anhäufen (kumulieren) oder verteilen (panaschieren). Vor vier Jahren gab mehr als ein Viertel der Nichtwähler an, wegen des relativ komplizierten Verfahrens nicht zur Wahlurne gegangen zu sein. Doch nicht nur das: Mit dem Mehrstimmen-Wahlrecht stiegen die Kosten auf 15,7 Millionen Euro (2011). Zehn Jahre zuvor lagen sie noch bei 1,3 Millionen Euro.
Mehr Demokratie verteidigt neues Wahlrecht
Der Verein Mehr Demokratie, der das neue Wahlrecht auf den Weg brachte, verteidigt dagegen die neue Praxis. „Es braucht Zeit, bis die Bürger sich damit vertraut gemacht haben“, sagte Initiator Manfred Brandt. Nun könnten sich die Hamburger für Wahlkreiskandidaten verschiedener Parteien entscheiden. Auch ließen sich die „früher in Stein gemeißelten Landeslisten munter aufmischen“, fügte er hinzu. Mitglieder von Mehr Demokratie sehen es nicht als erwiesen an, dass das neue Wahlrecht zu einem Absturz in der Wahlbeteiligung geführt habe. So verweisen sie darauf, dass dies einem allgemeinen Trend in Deutschland entspreche. Auch in anderen Bundesländern sei die Wahlbeteiligung in den vergangenen Jahren zurückgegangen.
Bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 1953 lag sie noch bei 80,9 Prozent. Auch in den 1990er-Jahren gingen noch knapp 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler an die Wahlurne.
Unterdessen gibt es in der Unionsfraktion des Bundestages einen Vorstoß gegen die sinkende Wahlbeteiligung. CDU und CSU haben sich nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ auf Vorschläge zur Steigerung der Wahlbeteiligung in Deutschland verständigt. So sollen die Wahllokale künftig länger geöffnet haben. Bei Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen sollten die Wahllokale künftig von acht bis 20 Uhr geöffnet bleiben, hieß es. Bisher schließen die Wahllokale um 18 Uhr.