Die „Alternative für Deutschland“ setzt für den Sprung ins Hamburger Parlament auf einen Wahlkampf zwischen Polemik und Bürgerlichkeit. Ein schwieriger Spagat, findet auch der Spitzenkandidat.

Asyllobby“. „Masseneinwanderung“. „Euro-Lügen“. „Schweigende Mehrheit“. „Altparteien“. „Vernunft“. „Schande für Deutschland“. „Pegida“. „Entmündigung der Bürger“. „Feindbild“. „Lügenpresse“. Das sind die ersten Schlagworte, die einem um die Ohren fliegen, wenn man in diesen Wochen eine Wahlkampfveranstaltung der AfD besucht.

Hamburger Wahlkampf 2015, die Protestpartei der Saison heißt diesmal „Alternative für Deutschland“. Die AfD ist seit 2012 im Geschäft, 2013 in der Bundestagswahl knapp an der Fünfprozenthürde gescheitert, 2014 mit 7,1 Prozent und sieben Sitzen in das Europaparlament eingezogen. Jetzt soll es endlich in einem westdeutschen Landesparlament klappen. „Wenn die AfD in Hamburg, in dieser weltoffenen Stadt, gewählt wird“, sagt Joachim Starbatty, einer der parteieigenen Vorzeige-Ökonomen, „dann sind wir angekommen.“ Es geht also um etwas am 15. Februar.

Eine Massenbewegung ist die „Alternative“ in Hamburg derzeit allerdings noch nicht. Rund 500 Mitglieder zählt man in der Parteizentrale am Ballindamm. Die Chancen für einen erstmaligen Einzug in die Bürgerschaft stehen dennoch nicht schlecht. Die Meinungsforscher verorten die Partei derzeit bei fünf bis sechs Prozent. Angesichts des Potenzials dieser Art von Gruppierungen in der Hansestadt, das den Amtsrichter Ronald Schill einst mit 19,4 Prozent der Wählerstimmen in das Rathaus katapultierte, wäre da vermutlich sogar noch ein bisschen Luft nach oben.

Politikverdrossenheit „Basis unserer Partei“

70 Zuhörer sind in das „Forum Alstertal“ gekommen, gleich neben dem hiesigen Einkaufszentrum. Dazu drei potenzielle Störer, deutlich jünger als der Durchschnitt hier. Aber die sind sich ihrer Sache offenbar nicht so richtig sicher und ziehen irgendwann unverrichteter Dinge wieder ab. Alles bleibt friedlich, lieb, auch ein bisschen marottig.

Ein älterer Herr meldet sich gleich zu Wort. Er versucht mithilfe einer eng beschriebenen Kladde und gewagter juristischer Argumentation nachzuweisen, dass alle Wahlen seit 1949 hierzulande eigentlich für ungültig erklärt werden müssten. Auch so etwas gehört zum in Hamburg mittlerweile gewohnten Versammlungsbild einer Protestpartei. Man muss nur ein wenig aufpassen, dass das Saalmikrofon unter Kontrolle bleibt, was bei der AfD an diesem Abend auch ganz ordentlich gelingt.

„Politikverdrossenheit“, sagt der Spitzenkandidat Jörn Kruse zu Beginn seiner Ansprach, sei „die Basis unserer Partei“. Dazu die „Euro-Lüge“, Angela Merkels Diktum von der „Alternativlosigkeit“, die ja allein schon mit der Gründung der AfD widerlegt worden sei. Dabei habe die Kanzlerin doch gute Berater gehabt, kenntnisreiche Ökonomen, deren Wort die CDU-Chefin offensichtlich nicht habe hören wollen. Bernd Lucke, der spätere AfD-Gründer, gehörte zu ihnen.

Auch bei Kruse klingt immer wieder die enttäuschte Liebe durch

Wie bei Lucke, der an der Hamburger Uni lehrt, klingt auch bei Kruse, einem emeritierten Professor der Wandsbeker Bundeswehrhochschule, immer wieder die enttäuschte Liebe durch; eine Art „Hättet ihr doch bloß auf uns gehört“. Helmut Kohl, der den Euro eingeführt habe, sei für ihn, Kruse, mittlerweile ein „gewisses Feindbild“, Merkel, „die zweite Sünderin“, der „Rentenlügner Blüm“, der natürlich auch. Die Union, das ist Kruses grobe These, ist selbst schuld, dass es die AfD gibt. „Die CDU“, sagte er gern und lächelt dabei einen Moment zufrieden, „hat jetzt ein Problem.“

Der Spitzenkandidat und Landesvorsitzende der AfD sieht sich selbst als bürgerlichen Politik-Einsteiger, er distanziert sich in seinen Veranstaltungen regelmäßig von jenen krass rechtspopulistischen Tönen, mit denen einige seiner Parteifreunde regelmäßig zitiert werden. „Ich bin ein Liberaler“, sagt Kruse, „ich weiß, dass das nicht alle in unserer Partei sind.“ Es ist ein steter Balanceakt, auf den sich der 66-Jährige da eingelassen hat. Ob er gelingen kann, weiß derzeit kein Mensch.

Kruse ist kein rhetorischer Scharfmacher wie zum Beispiel sein zur Demagogie neigender Mitstreiter, der ehemalige Schill-Partei-Innensenator Dirk Nocke-mann. Während Letzterer im Alsterdorfer Forum ohne zu zögern die in Zuwanderungsfragen üblichen Ressentiments bedient, ähnelt Kruses differenzierte Haltung weitestgehend der des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz von der SPD.

Deutschland brauche aufgrund der demografischen Entwicklung dringend Zuwanderung, erklärt der Spitzenkandidat wieder und wieder seinem grauköpfigem Publikum. Diese müsse nur besser geregelt werden, da man aufgrund der geltenden Vorschriften einen überproportional großen Anteil unqualifizierter Zuwanderer bekomme. Integration sei vor allem ein Bildungsproblem, er plädiere deshalb für eine Kita-Pflicht für die Kinder von Zuwanderern; nur so könne man das Erlernen der deutschen Sprache sicherstellen. Thesen, die eher Mainstream sind als rechtsradikales Gedankengut, das parteipolitisch Übliche.

Verbitterung nach Versprecher nachvollziehbar

Wenn es etwas gibt, das den distinguiert auftretenden Professor Kruse emotional mit jenen Menschen zu einen scheint, die unter dem Kürzel „Pegida“ gerade so etwas wie den außerparlamentarischen Zweig der AfD bilden, dann ist es, spätestens seit Beginn dieses Hamburg-Wahlkampfs die Skepsis gegenüber den Medien. Die seien „in der Regel nicht unsere Freunde“, sagt Kruse und klingt dabei mit jedem seiner Auftritte ein wenig giftiger. Wenn man den Umgang einiger Journalisten mit jenem Versprecher betrachtet, den sich der Spitzenkandidat beim Wahlkampfauftakt der AfD geleistet hatte, kann man seine Verbitterung sogar nachvollziehen.

An jenem Abend im Kellergeschoss des Emporio-Hochhauses am Valentinskamp hatte Kruse gesagt, die Anschläge auf „Charlie Hebdo“ seien früher passiert als von ihm „erhofft“. Den Videoaufnahmen der Veranstaltung, auch dem Kontext, in dem Kruse die Äußerung von sich gab, ist eindeutig zu entnehmen, dass er in diesem Moment „befürchtet“ sagen wollte und das auch genau so meinte. Der Versprecher war Kruse furchtbar peinlich. Einige Medien, auch der CDU-Generalsekretär Peter Tauber („Das offenbart, wes Geistes Kind der eine oder andere da ist“), weideten ihn dagegen nach Kräften aus.

„Die Alternative für Deutschland in Hamburg nutzt die furchtbaren Terroranschläge in Frankreich für ihren Wahlkampf“, berichtete zum Beispiel die „Süddeutsche Zeitung“ in nachrichtlichem Ton und unter Hinweis auf Kruses Wahlkampfrede und den darin enthaltenen Versprecher. Aufmachung und Diktion des Textes legen nahe, dass es sich bei dem emerierten Bundeswehrprofessor um einen üblen Islamhasser und Fremdenfeind handle, der heimlich auf einen Anschlag wie jenen auf „Charlie Hebdo“ gehofft habe, um sich auf diesem Weg einen Sitz in der Bürgerschaft zu sichern. „AfD-Wahlkämpfer verhöhnt Pariser Terror-Opfer“, meldete stern.de.

Nur einer, der Bezeichnung „Schande für das Land“ verdient hätte

Solche Schlagzeilen sind grober Unfug, liefern denjenigen Anhängern der AfD, die den Pegida-Kampfbegriff „Lügenpresse“ nur allzu gerne aufnehmen, Bestätigung frei Haus und untermauern jene Grundthese, mit der Kruses Partei die Fünfprozenthürde nehmen und in die Bürgerschaft einziehen will. Hier die „schweigende Mehrheit“, dort die mächtige Allianz von Medien und „Alt-Parteien“, die drauf und dran ist, mit falscher Währungs-, Zuwanderungs- und Europa-Politik Deutschland quasi mutwillig zu Grunde zu richten.

Ein solcher Vorwurf ist mindestens so verleumderisch und anmaßend wie der skizzierte Umgang mit Kruses Versprecher, was die AfD aber keineswegs daran hindert, ihn wieder und wieder zu erheben. Dirk Nockemann zum Beispiel, Nummer zwei der AfD-Landesliste, erzählt im Forum Alstertal mit einer Stimme, mit der man prima auch das Märchen von Rotkäppchen und dem Wolf vertonen könnte, von den Politikern, die „alles tun um uns zu verleumden“, die die „Menschen entmündigen und bevormunden wollen“, denen „alle Sicherungen durchbrennen“, die eine „Schande für Deutschland“ seien.

Dabei gab es in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich nur einen Politiker in Hamburg, der es verdient hätte, als „Schande für das Land“, mindestens aber für Hamburg bezeichnet zu werden. Ronald Schill, zu dessen politischen Komparsen Nockemann einst gehörte. Aber diesen Schill erwähnt der Kurzzeit-Innensenator (August 2003 bis März 2004) in seiner Rede lieber nicht. Der einstige „Richter Gnadenlos“ ist mittlerweile selbst seinen damaligen Weggefährten ziemlich peinlich.

Für Elbvertiefung, Haushalt oder Nahverkehr bleibt wenig Platz

Hamburg, die lokale Politik in der Hansestadt, das muss man so sagen, steht bei den Wahlkampfveranstaltungen der AfD ohnehin nicht im Mittelpunkt des Interesses. Die Referenten, auch Spitzenkandidat Kruse, arbeiten sich an jenen Themen ab, über die auch die Talkshows in diesen Wochen wieder und wieder und wieder debattieren lassen. Der Euro natürlich, Griechenland, die Finanzkrise und Herr Draghi, der Italiener. Die Zuwanderung, die Flüchtlinge, der Islam und die Islamisten.

Für die profanen Themen der norddeutschen Tiefebene, für Elbvertiefung, Haushaltspläne oder den öffentlichen Nahverkehr bleibt da wenig Platz. Es fiele der AfD, deren aktuelles Wahlprogramm ziemlich brav daherkommt, auch wesentlich schwerer, sich auf heimischen Terrain abzugrenzen von den „Alt-Parteien“. Mit deren Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) jedenfalls kann sich Kruse sogar eine Koalition vorstellen.

Man kommt also stattdessen ganz schön weit rum im Forum Alstertal oder im „New Living Home“ von Lokstedt, wo Kruse in seiner Wahlkampfrede martialisch erklärt, dass er sich nunmehr „die Rüstung anziehen werde, um der Verleumdung zu trotzen“. Die AfD werde „bewusst in die rechte Ecke gedrängt“. Der Vorwurf des Rechtspopulismus sei „komplett falsch“. Drei Wochen bleiben ihm noch, ihn zu entkräften.