Abendblatt-Redakteur Andreas Dey beobachtet die Hamburger Landespolitik. Sauberkeit wird zum neuen politischen Thema und zum Symbolbild schnelle Lösungen für aktuelle Probleme zu präsentieren.

Hamburg. „Es ereignet sich nichts Neues“, stöhnte einst der große US-Literat William Faulkner. „Es sind immer dieselben alten Geschichten, die von immer neuen Menschen erlebt werden.“ Ob unser Leben wirklich so arm an Überraschungen ist, sei dahingestellt. Tatsache ist allerdings, dass sich am Dienstag im und vor dem Rathaus eine Geschichte ereignet hat, die manchem Beobachter verdächtig bekannt vorkam.

Umweltsenatorin Jutta Blankau (SPD) und der Chef der Stadtreinigung, Rüdiger Siechau, präsentierten dort ein „Aktionspaket Sauberkeit der Stadt“. Dessen Kernstück sind zehn neue „Waste Watchers“, also Müllwächter, die mit weißen Smarts durch die Stadt düsen und der Verschmutzung Einhalt gebieten sollen. Außerdem wurden die Bußgelder für das Wegwerfen einer Zigarettenschachtel oder das illegale Entsorgen von Sperrmüll drastisch erhöht.

Das klingt nach hartem Durchgreifen, hat aber einen Haken: Denn die Müllpolizei soll allein „durch gezielte Ansprache, Aufklärung und Beratung“ wirken, wie der Senat mitteilte. Bußgelder eintreiben oder auch nur einen Schmutzfinken festhalten, darf sie gar nicht. Dafür muss sie schon die richtige Polizei hinzurufen.

Die Kritik folgte auf dem Fuße. Von „Totgeburt“ (Grüne) über „Fehlentscheidung“ (FDP) bis „lächerliche Aktion“ (CDU) reichten die ätzenden Kommentare. Fünf Monate vor der Wahl entdecke die SPD plötzlich das Thema Müll, schäumte CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich. Das erinnert ihn „an den Aktionismus vor der Wahl 2001“. Damals habe die SPD schon einmal „erfolglos versucht, mit der Einführung von Waste Watchern Eindruck zu machen“.

Klingt unerhört nach William Faulkner. Aber stimmt das so? Tatsächlich hat der damalige rot-grüne Senat im Februar 2001, sieben Monate vor der Bürgerschaftswahl, eine neue Eingreiftruppe der Stadtreinigung vorgestellt. Ihr Name: Waste Watchers. Ihre Fahrzeuge: weiße Smarts. Allerdings war das weniger ein SPD-Projekt, sondern dahinter steckte ein Grüner: Umweltsenator Alexander Porschke. Und der erinnert sich, dass er einige Widerstände überwinden musste, weil die Zuständigkeit für die Müllbeseitigung in der sozialdemokratisch geprägten Verwaltung munter hin und her geschoben wurde.

Waste Watchers gab es schon 2001, aber sie hatten andere Aufgaben

Im Übrigen hätten seine Müllwächter einen ganz anderen Ansatz gehabt, betont Porschke. „Sie sollten sich um die Müllbeseitigung kümmern und nicht die Menschen belehren und Strafen androhen.“ Daher trugen die Smarts damals noch Mülltonnen auf dem Buckel, während die heutigen Fahrzeuge „nackt“ sind und ihre Fahrer Unrat nur noch beseitigen dürfen, aber nicht unbedingt sollen, wie Blankau einräumte.

Und im Gegensatz zu Wersichs Erinnerung war das 2001 eingeführte Projekt so erfolgreich, dass mehrere Städte es kopierten und auch in Hamburg alle CDU-Senate daran festhielten. „Die Bilanz ist sehr positiv einzuschätzen“, antwortete der CDU/GAL-Senat noch 2009 auf eine schriftliche Anfrage. Angesichts dieser Vorgeschichte scheint der Vorwurf des Aktionismus an Blankau nicht zu tragen. Zumal der SPD-Senat – wie fast alle Vorgänger – schon seit 2013 ein „Konzept zur Verbesserung von Sauberkeit und Stadtbild“ umsetzt.

Gleichwohl fällt auf, wie schnell die SPD mal wieder eine Lösung für ein aktuelles Problem präsentiert. Erst seit wenigen Wochen wird über die Sauberkeit in der Stadt diskutiert, vor allem über den zur Partymeile gewandelten Jungfernstieg und über die Zustände in St. Georg. Auch in der Bürgerschaft ist das Thema erst bis zur Aktuellen Stunde vorgedrungen. Dennoch werden prompt – Zufall oder nicht? – zehn neue Müllwächter medienwirksam vor dem Rathaus aufgefahren. Deren Einsatz ist zunächst auf neun Monate befristet. Also bis vier Monate nach der Wahl...

Nach dem Desaster 2001 wollte die SPD mehr für Sauberkeit und Ordnung tun

Dem Senat um Bürgermeister Olaf Scholz grundsätzlich Symbol-Politik vorzuhalten, würde zu weit führen. Vielmehr beinhaltet sein Vorsatz, „ordentlich“ zu regieren, Brandherde möglichst schnell auszutreten oder – noch besser – gar nicht erst entstehen zu lassen. Und Müll in der Stadt, ob das nun objektiv ein Problem Hamburgs ist oder nicht, eignet sich jedenfalls bestens für die Opposition, im Wahlkampf damit zu zündeln. Umgekehrt gilt: Nach dem Wahldesaster von 2001 hatte sich die schon damals von Scholz geführte SPD geschworen, ihre einst offene Flanke beim Thema Sicherheit und Ordnung zu schließen. Daran wird eisern festgehalten. Und zur „Ordnung“ gehört halt, dass die Stadt nicht verlottert aussieht. Neue Müllwächter und härtere Strafen machen sich da ganz gut.

Vergleichbare Versuche, die Stimmung kurzfristig positiv zu beeinflussen, gab es schon einige. So präsentierte der Senat im Mai zwei Tage vor den Bezirkswahlen noch ein Straßensanierungsprogramm inklusive Zwei-Millionen-Zuschuss an die Bezirke. Fiel das eher in die Kategorie Brandprävention, waren die zehn Millionen Euro extra für die Polizei schon akute Brandbekämpfung: Das Geld gab es nämlich erst, als sich die Beamten nach den Krawallen rund um den Jahreswechsel und ihrem Dauereinsatz im Gefahrengebiet immer lauter beschwerten.

Das Prinzip, Probleme möglichst im Keim zu ersticken, findet auch im Großen Anwendung – mit unterschiedlichem Erfolg. So hatte Scholz schon vor seiner Wahl der Elterninitiative für kostenlose Kinderbetreuung sein schrittweises Entgegenkommen garantiert. Das wurde nach der Wahl umgesetzt, und die Eltern zogen ihre Initiative zurück. Thema abgeräumt.

Nicht so gut lief es bei den Energienetzen: Der Volksinitiative für den Rückkauf der Netze versuchte Scholz ebenfalls frühzeitig den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sein Senat 25Prozent der Rohre und Leitungen erwarb. Doch das war ein Schlag ins Wasser – der Volksentscheid fand trotzdem statt und ging aus Senatssicht verloren. Die Brandbekämpfer im Rathaus funktionierten dennoch einwandfrei: Das Ergebnis war kaum ausgezählt, als die SPD verkündete: kein Problem, kaufen wir halt den Rest der Netze dazu.

Gemeinsam haben diese Beispiele, dass die Probleme mit Geld gelöst wurden. Auch auf die neuen Müllwächter trifft das zu: Zusammen mit weiteren Maßnahmen schlagen sie mit einer Million Euro zu Buche. Im Gegensatz zu 2001, als die Umweltbehörde für die Waste Watchers ihren Zuschuss an die Stadtreinigung erhöhte, kommt das Geld aber diesmal nicht vom Senat, sondern wurde von der Stadtreinigung selbst erwirtschaftet. Um es mit William Faulkner zu sagen: Mitunter ereignet sich doch etwas Neues.