In der CDU hat der Kampf um die Listenplätze für die Bürgerschaftswahl begonnen – mit prominenten Verlierern.
Der CDU-Bürgerschafts-Abgeordnete Andreas Wankum muss ein entspannter Mensch sein. „Ich habe schlecht mobilisiert“, sagte Wankum am Rande der Bürgerschaftssitzung am Mittwoch und wirkte nicht besonders zerknirscht. Dabei hat der frühere Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde die Wahl zum Spitzenkandidaten der CDU für die Bürgerschaftswahl am 15.Februar 2015 im Wahlkreis 8 (Eppendorf/Winterhude) vergeigt.
Wankums Winterhuder Parteifreund Jens Wolf setzte sich hauchdünn durch: Im ersten Wahlgang gab es ein Patt, im zweiten lag Wolf mit 35 zu 33 Stimmen vorn. „Ein Freund musste die Versammlung verlassen, bevor die Wahl begann. Und mein Schwager und meine Schwägerin sind auch früher los“, sagte Wankum. So war die knappe Mehrheit weg – ein Vorgang mit weitreichenden Folgen: Nach zehn Jahren als Bürgerschafts-Abgeordneter steht Wankum vor dem parlamentarischen Aus.
An den Wahlkreisversammlungen, die die Kandidaten für die Bürgerschaft bestimmen, kann jedes Parteimitglied teilnehmen, das im Wahlkreis wohnt. Mobilisierung ist also ein entscheidender Faktor. „Ich hatte noch sechs feste Zusagen von Leuten, die mich wählen wollten, aber nicht gekommen sind“, sagte Wankum. Man kann es auch so sehen: Wie bei vielen Spielen der Fußball-WM spielt auch hier der Zufall eine wichtige Rolle.
Es spricht für den CDU-Politiker, dass er die Ursache für sein Scheitern bei sich sucht. Dabei halten sich hartnäckig Gerüchte, dass es eine Absprache zwischen Wankums Widersacher Wolf und dem Eppendorfer CDU-Vorsitzenden Ekkehart Wersich gegeben hat – dem Bruder des CDU-Bürgermeisterkandidaten Dietrich Wersich: Wolf soll Ekkehart Wersich bei der Wahl zum stellvertretenden CDU-Fraktionschef der Bezirksversammlung Nord unterstützt haben, und der revanchierte bei der Wahl des Wahlkreiskandidaten. Wie auch immer.
Als sicher gilt für die CDU nur jeweils Listenplatz eins im Wahlkreis. Wankum bleibt nur noch eine Hoffnung: Da er sich überzeugen ließ, auf Platz drei der Wahlkreisliste zu kandidieren, gibt es zumindest die theoretische Chance, dass so viele Wähler ihre Kreuze hinter seinem Namen machen, dass er an den beiden Vorplatzierten vorbeizieht. Er muss also verstärkt Wahlkampf in eigener Sache machen. Geglückt ist ein solcher Coup bislang noch niemandem in der CDU.
Die Union ist die erste Partei, die ihre Kandidaten in den 17 Wahlkreisen für die Bürgerschaftswahl schon aufgestellt hat. Wankum ist nicht der einzige Favoritensturz: Auch der Hafenexperte der CDU-Fraktion, Olaf Ohlsen, fiel an der Basis im Wahlkreis 6 (Eidelstedt/Stellingen/Hoheluft-West) durch. Und mit dem Uhlenhorster Innenpolitiker Kai Voet van Vormizeele, der im Wahlkreis 9 (Barmbek/Uhlenhorst/Dulsberg) gegen den Barmbeker Stephan Gamm das Nachsehen hatte, wird ein weiteres Schwergewicht der CDU-Fraktion der nächsten Bürgerschaft wohl nicht mehr angehören. Im Wahlkreis 10 (Fuhlsbüttel/ Alsterdorf/Langenhorn) setzte sich Richard Seelmaecker gegen zwei Konkurrenten durch. Hier war die Ausgangslage anders, weil der langjährige Abgeordnete und Verkehrsexperte Klaus-Peter Hesse aus beruflichen Gründen nicht wieder kandidiert hatte.
„Der Wettbewerb tut der Partei gut“, sagt Parteichef Marcus Weinberg. Das war in der CDU nicht immer selbstverständlich, ja, lange war diese Form direkter innerparteilicher Konkurrenz sogar praktisch ausgeschlossen. In den 70er- und 80er-Jahren wurde im berüchtigten „Magdalenenkreis“, den der jahrzehntelang dominierende Parteichef Jürgen Echternach um sich geschart hatte, ausgekungelt, wer in die Bürgerschaft durfte und wer nicht. Parteitage waren Abnickveranstaltungen. Erst zu Beginn der 90er-Jahre – nach Echternachs Entmachtung – kam es zu ersten Gegenkandidaturen auf Parteitagen. Ein schwieriges Unterfangen, weil jede Gegenkandidatur in das zwischen den Kreisverbänden zuvor austarierte Kräfteverhältnis eingriff.
Die Einführung von Wahlkreisen durch das neue Wahlrecht vor sechs Jahren änderte die Lage von Grund auf. 71 der 121 Bürgerschaftsmandate werden nun über die Wahlkreislisten vergeben, deren Kandidaten die jeweilige Parteibasis aufstellt. Es ist heute sehr viel schwieriger für die Parteispitze als früher, „von oben“ in die Kandidatenkür einzugreifen. „Die Steuerbarkeit hat dramatisch abgenommen“, sagt ein Insider. Und: Ein direkt gewählter Wahlkreis-Abgeordneter steht unter einem hohen Rechtfertigungsdruck. Es reicht nicht mehr, ein angesehener Bürgerschafts-Abgeordneter und Fachsprecher zu sein. Man muss auch – vielleicht sogar vor allem – politisch etwas für seinen Wahlkreis „herausholen“.
Die nicht mehr ganz so neue Freiheit ist noch immer ungewohnt, und auch deswegen spricht der designierte Unions-Spitzenkandidat und Fraktionschef Dietrich Wersich „von den Geburtswehen der innerparteilichen Demokratie“. Einen Generationswechsel sieht Wersich mit Blick auf das Kandidatentableau nicht. Neun der 17 Spitzenkandidaten gehören der Bürgerschaft auch jetzt schon an. Tatsächlich bedeutet nur die Ablösung des 72 Jahre alten Urgesteins Ohlsen durch den 26 Jahre alten Juristen Philipp Heißner eine solche Verjüngung. Mit Hesse, dem Schulexperten Robert Heinemann (ebenfalls aus beruflichen Gründen) oder der Eimsbüttelerin Katharina Wolff verlassen relativ junge Politiker freiwillig die Bürgerschaft. „Ich bin nicht unzuversichtlich, dass gute Leute wieder nachkommen“, sagt Wersich, was gar nicht so zuversichtlich klingt.
Parteichef Weinberg und Scholz-Herausforderer Wersich, die beide für eine moderne Großstadt-CDU stehen, haben ein ganz anderes Problem. Von den 17 Spitzenkandidaten in den Wahlkreisen sind nur drei Frauen. Wieder nur: Auch bei der letzten Wahl 2011 waren es nicht mehr. Die Schulexpertin Karin Prien und die Umweltpolitikerin Birgit Stöver haben sich in den Wahlkreisen 4 (Blankenese) und 16 (Harburg) erneut durchgesetzt. Im Wahlkreis 3 (Altona) löst die 36 Jahre alte Juristin Franziska Grunwaldt Robert Heinemann an der Spitze ab. „Ich hätte mir mehr gewünscht“, sagt Weinberg, in diesem Punkt Kummer gewohnt.
Unter den aktuell 28 Bürgerschafts-Abgeordneten der CDU sind nur vier Frauen – das ist Minusrekord im Parlament und im Grunde peinlich für eine Volkspartei. Viel besser wird es auch in der kommenden Legislaturperiode nicht werden. Warum gelingt in der CDU nicht, was in anderen Parteien längst Alltag ist? Die Antwort fällt allen schwer. „Es gibt bei uns, historisch gewachsen, eine gewisse Männerdominanz“, sagt Weinberg. Dabei ist der Frauenanteil an der Gesamtmitgliederzahl (40 Prozent) höher als in anderen Parteien. Nur wollen CDU-Frauen offensichtlich nicht so gern Verantwortung übernehmen – oder Mann lässt sie nicht. Das weist Newcomerin Franziska Grunwaldt zurück. „Ich glaube nicht, dass Frauen bei uns zu wenig gefördert werden“, sagt die Ottenserin. Gerade bei Frauen ihres Alters stehe aber häufig die Familie im Mittelpunkt, was den Besuch abendlicher Parteiveranstaltungen erschwere. Immerhin: „Frauen für die Politik zu motivieren, ist ein großes Ziel, das ich habe“; sagt Grunwaldt.
Auf der Landesliste will Parteichef Weinberg die Quote durchsetzen
„Mehr Frauen in der Verantwortung – das ist ein dickes Brett, das wir weiter bohren müssen“, sagt Weinberg. Und der Parteichef hat sich einiges vorgenommen: Bei der Aufstellung der Landesliste zur Bürgerschaftswahl soll jeder dritte Platz an eine Frau gehen, ganz so, wie es die Bundessatzung eigentlich der CDU vorschreibt. Nur: Der Versuch von Weinberg, Wersich und anderen, eine feste Frauenquote von einem Drittel auch für Parteigremien in die Landessatzung zu schreiben, war 2012 krachend gescheitert. Der Fairness halber sei gesagt: Das lag nicht nur an den Männern.