Die Ankündigung einer Volksinitiative mit dem Ziel, die Einheitsgemeinde Hamburg aufzulösen hat für Wirbel gesorgt. CDU-Bürgermeisterkandidat Wersich sieht die Funktionsfähigkeit Hamburgs gefährdet. Doch die CDU hatte schon ähnliche Pläne.

Um es mit einem Bild aus der Welt der Medizin auszudrücken: Da hat Manfred Brandt vom Verein „Mehr Demokratie“ wohl den Finger in eine offene Wunde gelegt, als er zu Wochenbeginn im Abendblatt-Streitgespräch eine Volksinitiative mit dem Ziel ankündigte, die Einheitsgemeinde Hamburg aufzulösen. So heftig und wie vom Schmerz getroffen hat der designierte CDU-Bürgermeister-Kandidat Dietrich Wersich selten reagiert. „Was ist schlimmer für Hamburg: der Große Brand von 1842 oder Manfred Brandt mit seiner Initiative?“, fragte Wersich am Tag darauf.

Brandt – ein ruhiger Moorburger, in vielen Jahren des zumeist erfolgreichen politischen Kampfes für die Volksgesetzgebung und ein neues Wahlrecht gestählt – will den Stadtstaat in mehrere Einzelgemeinden aufspalten, die anders als die jetzigen sieben Bezirke echte Entscheidungsbefugnisse und damit Macht haben – wie Städte und Gemeinden in Flächenländern eben auch. Für Hamburg käme das Aus für die Einheitsgemeinde einer Revolution gleich, denn hier werden qua Verfassung „stadtstaatliche und gemeindliche Tätigkeit nicht getrennt“.

Aus Wersichs Sicht legen Brandt und seine Mitstreiter mit ihrem Vorstoß die Axt an die Funktionsfähigkeit des Stadtstaates. „Wer die Stadt zerstört, verspielt Hamburgs Zukunft und gefährdet die Lebensgrundlage vieler Menschen“, setzte Wersich nach. Schöne Worte, klare Worte. Aber dieses Lied klang aus der CDU schon einmal anders, um nicht zu sagen: völlig anders.

Im April 1993 forderte der damalige CDU-Landeschef Dirk Fischer, damals wie heute Bundestagsabgeordneter, mehr Macht für die Bezirke. „Wir wollen weniger zentralistische Strukturen“, sagte Fischer, und die Ideen hatten es in sich: Direktwahl der Bezirks- „Bürgermeister“ durch die Wähler, grundsätzliche Zuständigkeit der Bezirke bei allen Aufgaben, die nicht auf Landesebene entschieden werden müssen, und eine Wahl der Bezirks-Dezernenten durch die Bezirksversammlungen.

Die Bezirke sollten von der Bürgerschaft Geld etwa für die Instandhaltung der Straßen erhalten und selbst entscheiden, wann welche Strecke saniert wird. Brandt dürften diese Vorschläge gefallen, zumal auch Fischer klar war, dass die Reform einer Aufweichung der Einheitsgemeinde gleichkäme. Fischer versprach sich von dem Konzept „mehr Identifikation der Bevölkerung mit kommunaler Politik“. Sehr viel anders klingt es heute bei Brandt auch nicht.

Der CDU-Vorschlag ist wahrlich nicht der einzige zur Neuordnung des Verhältnisses zwischen Senat, Bürgerschaft, Fachbehörden und Bezirken in den vergangenen Jahrzehnten gewesen. Die Erfahrung aus den zahlreichen Debatten lehrt, dass es dabei weniger um tief sitzende Überzeugungen der politischen Akteure geht, sondern die Positionsbestimmung durchaus nach Interessenlage erfolgt. Ein Beispiel: Die CDU blickte 1993 bereits auf 36 freudlose Jahre der Rathaus-Opposition zurück. In den Bezirken sah das Bild bisweilen freundlicher aus. So stellte die Union in Wandsbek über viele Jahre die Bezirksamtsleiter. Mehr Macht für die Bezirksebene kam da gerade recht.

Folglich ist die Partei mit dem stärksten Zug zum Zentralismus die Dauerregierungspartei SPD. Kein Wunder, dass SPD-Fraktionschef Andreas Dressel im Abendblatt-Streitgespräch Brandt sofort widersprach: „Wir sind strikt gegen die Zersplitterung Hamburgs in Gemeinden. Alle Herausforderungen der letzten Jahrzehnte – vom Wiederaufbau angefangen – hat Hamburg als Einheit gemeistert.“

Das heißt nicht, dass sich nicht auch Sozialdemokraten an einer Bezirksreform versucht hätten. Anfang der 90er-Jahre legte der damalige Erste Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) ein auf den ersten Blick geradezu radikales Konzept vor: Die sieben Bezirke sollten aufgelöst und durch 14 Bürgerämter mit Bürgerversammlungen als Kontrollgremien ersetzt werden.

Der Senat sollte den Bürgerämtern global Geld zuweisen, über das sie im Rahmen ihrer Aufgaben selbstständig verfügen sollten. Doch an der Einheitsgemeinde wollte auch Voscherau nicht rütteln. Mehr noch: An der Spitze jedes Bürgeramtes sollte ein Stadtdirektor stehen, der vom Senat ernannt werden sollte. So ließ sich ganz gut „durchregieren“. Christdemokrat Fischer warf Voscherau vor, er wolle ein „napoleonisches Präfekturprinzip“ etablieren. Aus dem „Jahrhundertwerk“ Voscheraus wurde nichts. Das lag auch an den Beharrungskräften in der SPD: Starke Senatoren wollten ihre Behörden nicht schwächen, und die SPD-Kreisverbände fürchteten um ihre Machtbasis.

Der bislang letzte Anlauf zur Neujustierung von Landes- und Bezirksebene stammt von der CDU. Nachdem Ole von Beust die absolute Mehrheit 2004 geholt hatte, gab er das Motto „Mehr Demokratie vor Ort“ (!) aus. Wieder kamen die Bürgerämter auf den Tisch, die nun mit noch mehr Kompetenzen ausgestattet werden sollten. Die Direktwahl der Verwaltungschefs war zumindest eine Option. Der damalige Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) mühte sich entschlossen. Doch am Ende wurde aus dem großen Wurf wieder nichts.

Seitdem werden die Bezirke immerhin in der Verfassung erwähnt – ein mehr symbolischer Akt. Und die Bezirksversammlungen dürfen die Bebauungspläne selbst aufstellen. Der Senat kann allerdings ihm missliebige Entscheidungen an sich ziehen („evozieren“). „Wir haben einen heldenhaften Kampf geführt, aber wir sind an den Widerständen in CDU und SPD gescheitert“, sagt Peiner heute rückblickend.

Der Grünen-Politiker Till Steffen zog damals den böse-ironischen Vergleich der Bezirksreform mit dem Scheinriesen aus dem Kinderbuch „Jim Knopf“ von Michael Ende: „Je näher sie kam, desto kleiner wurde sie.“

Auf Manfred Brandt und seine Mitstreiter von Mehr Demokratie wartet also einiges. Aber der Moorburger ist das Bohren dicker Bretter ja gewohnt.