Stadtentwicklungsdebatte mit Bürgermeister Scholz. Hamburg und Berlin klagen gegen Zensus
Neustadt. Der Hörsaal der Bucerius Law School war am Mittwochabend gut gefüllt. Das mochte daran gelegen haben, dass mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), Bausenatorin Jutta Blankau (SPD) und Oberbaudirektor Jörn Walter die drei Top-Entscheider in Sachen Stadtentwicklung zu Diskussion geladen hatten. Schließlich ging es um Hamburgs Perspektive als „grüne, gerechte und wachsende Stadt am Wasser“.
Dass so viele Zuhörer kamen, lag möglicherweise aber auch daran, dass manchem Bürger die Beteiligung des Volkes bei Wohnungsbauprojekten nicht ausreicht. Als Senatorin Blankau angesichts des Baus von 6400 Wohnungen im vergangenen Jahr von „behutsamer Verdichtung, dort, wo es städtebaulich passt“, sprach, gab es im Publikum merklich Unruhe und etwas Gelächter.
Es liegt in der Natur der Sache, dass eine Diskussionsrunde mit derart prominenten Teilnehmern für Bürgerinitiativen die Möglichkeit bietet, öffentlichkeitswirksam ihren Widerstand kundzutun. Und seit der Senat den (notwendigen) Bau von Wohnungen derart vorantreibt, gehören Auseinandersetzungen mit Anwohnern dazu. Scholz machte denn auch keinen Hehl daraus, dass er um dieses politische Minenfeld weiß. „Es gibt keine einfachen Lösungen“, sagte er. „Beteiligung bedeutet nicht, dass am Ende alle einer Meinung sind.“ Allerdings sagte der Senatschef auch: Bürgerbeteiligung sei ein normaler Bestandteil von Stadtentwicklung. Sich über den richtigen Weg zu verständigen, auch darin liege der Sinn der Stadtwerkstatt. So einfach wollten es die Zuhörer den Regierenden an diesem Abend aber nicht machen.
Die Bürger dürfen zwar ihre Meinung sagen, aber am Ende ändert sich nichts
Die Bürgerbeteiligung stehe nur auf dem Papier, meinte Joachim Lau, der im Bezirk Nord wohnt. „Die Bürger sagen ihre Meinung, aber nichts ändert sich, und die Behörde macht anschließend weiter wie geplant.“ Sabine Reinhold sagte, Bürgerbeteiligung setze womöglich zu spät an, nämlich dann, wenn man mit einem fertigen Plan auf die Menschen zugehe. Sie fragte: „Ist der Druck des Senats stark genug, die Bezirke zur Bürgerbeteiligung zu bewegen?“ Unterstützung bekam sie von Prof. Elke Pahl-Weber, die zwar aus Hamburg stammt, derzeit aber als Stadtentwicklungsexpertin an der TU Berlin arbeitet. „Möglicherweise müssen wir uns von dem Wort Beteiligung verabschieden“, sagte sie. Das klinge so, als würde die Behörde die Bürger wie Kinder an die Hand nehmen. „Stattdessen müssen wir die Menschen nach ihren Bedürfnissen fragen“, rief Pahl-Weber in den Saal. „Lasst sie entwickeln, was sie wollen, und lasst sie es testen!“
Die Wissenschaftlerin erntete Beifall, aber so einfach ist Stadtentwicklung natürlich nicht. Darauf verwies Matthias Iken, stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblatts. „Allgemein wird das Wohnungsbauprogramm von vielen Hamburgern getragen“, sagte er. „Aber wenn es in die Nachbarschaft rückt, ist es mit der Zustimmung rasch vorbei.“ Iken rechnet damit, dass es in den kommenden Jahren weitere Konflikte geben werde.
Oberbaudirektor Jörn Walter erinnerte in seinem Schlusswort an Hamburgs Tradition als Stadtrepublik, in der Gemeinsinn eine so große Rolle gespielt habe. Unterdessen wurde bekannt, dass Hamburg und Berlin zusammen mit weiteren deutschen Kommunen gegen den Zensus 2011 klagen wollen. „Wir bereiten die Klage vor“, sagte der Sprecher des Berliner Senats. „Doch die Absprachen sind noch nicht so weit gediehen, dass wir die Klage schon einreichen können.“
Für Hamburg hat die jüngste Volkszählung erhebliche finanzielle Folgen. Für die Hansestadt wurde eine Bevölkerung von rund 1,7 Millionen Menschen ermittelt – das sind 83.000 weniger als beim vorherigen Zensus. Hamburg musste deshalb im Rahmen des Länderfinanzausgleichs für 2011 und 2012 rund 117 Millionen Euro nachzahlen.