Stadt bietet Klausmartin Kretschmer 1,1 Millionen Euro für Rückkauf. Dessen Forderung lag bisher bei rund sechs Millionen

Sternschanze. An der Roten Flora wird sauber gemacht. Am Obdachlosenlager vor dem autonomen Kulturzentrum fegt eine Frau die Stufen. Kronkorken, Kippen und anderer Müll rieseln auf die Gehwegplatten. Aus den gegenüber liegenden Cafés fotografieren Touristen den äußerlich heruntergekommenen Bau. Eigentlich alles wie immer in der Schanze. Das Viertel ist zur Normalität zurückgekehrt.

Dabei haben die Bewohner die schwersten Krawalle seit Jahren und eine zehntägige Ausweisung ihres Viertels als Gefahrengebiet hinter sich. Und nun noch dies: Die wenigsten Flaneure wissen an diesem Dienstagnachmittag, dass die Stadt gerade angekündigt hat, den Eigentümer der Flora, Klausmartin Kretschmer, zum Verkauf des Hauses zu zwingen. Und die, die es erfahren, reagieren verhalten.

„Der Rückkauf durch die Stadt kann ein probates Mittel sein, die Situation hier und in der Stadt zu befrieden“, sagt Konzertveranstalter Benedikt Ruess im Haus73. „Aber ob das langfristig zu mehr Ruhe führt, muss man abwarten.“ Neben der Flora gebe es genügend Konflikte in der Stadt. Anwohnerin Yvonne Kuhne hofft, dass die Ankündigung des Senats zur Entspannung führt. „Denn von der massiven Gewalt vor unserer Haustür waren wir wirklich geschockt.“ Insofern sei es richtig, dass die Stadt nun handelt.

Diese Haltung hat sich mittlerweile in der Hamburger Politik durchgesetzt. Nachdem selbst die CDU-geführten Senate in der Zeit von 2001 bis 2010 es nicht gewagt hatten, die Rote Flora zu räumen oder deren Status anzutasten, geht der SPD-Senat nun noch einen Schritt weiter. Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen im Schanzenviertel am 21. Dezember, der Ausweisung ganzer Stadtteile als Gefahrengebiet und der erregten bundesweiten Debatten darum verkündete der Senat am Dienstag überraschend deutlich, dass er die Rote Flora erwerben wolle. 1,1 Millionen Euro habe die Stadt dem Eigentümer Klausmartin Kretschmer geboten, das sei fair, „und nicht irgendein Mondpreis“, sagte Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD). „Wir tun dies, weil wir nicht wollen, dass ein privater Eigentümer die Stadt durch seine Verwertungsinteressen in Aufruhr versetzt.“

Kretschmer hatte im Herbst mehrere Bauvorbescheidsanträge eingereicht, in denen von Umbauten, Gastronomie, Büros und Einzelhandel die Rede war. Diese Spekulationen hatten mit zu den Krawallen am 21. Dezember beigetragen. Da jede andere Nutzung als ein Stadtteilkulturzentrum laut Kaufvertrag von 2001 untersagt ist, werte der Senat die Anträge mindestens als Androhung des Vertragsbruchs, betonten Tschentscher und Senatskanzlei-Chef Christoph Krupp. „Eine gezielte und gewollte Eskalation“, wirft der Senat Kretschmer in einem Brief vor, der dem Abendblatt vorliegt. Darin fordert er den 55-Jährigen auf, alle Anträge bis zum 3.Februar zurückzuziehen und auf das Angebot der Stadt einzugehen. Andernfalls werde diese ihr vertraglich zugesichertes Rückkaufrecht nutzen.

Das wäre für Kretschmer ein Risiko, denn dann dürfte die Stadt das Gebäude zum ursprünglichen Preis von 190.000 Euro zurückkaufen. Auch der offizielle Verkehrswert der Immobilie liege bei nur 540.000 Euro – in dem Brief ist daher von einem „außerordentlich großzügigen Angebot“ die Rede.

Kretschmers Generalbevollmächtigter Gert Baer nannte den Senatsvorstoß hingegen ein „unanständiges Angebot“. Die Forderungen Kretschmers lagen nach Informationen aus Politikerkreisen um sechs Millionen Euro herum. Diese Summe begründe er unter anderem mit hohen Zinsen der Banken für die Immobiliengeschäfte Kretschmers, weil die Rote Flora als „Risikoimmobilie“ bewertet werde. Zudem seien Kretschmer in den letzten Jahren große Mietausfälle entstanden, weil er das Gebäude nicht habe nutzen können.

Eine Vertragsverletzung, wie vom Senat vorgeworfen, sieht Baer in dem Vorbescheidsantrag zum Neubau auf dem Flora-Grundstück nicht. Das sei lediglich eine Anfrage im Sinne von „dürfen wir – oder dürfen wir nicht“. Baer: „Das kann der Bezirk Altona ablehnen oder eben auch nicht.“

Die SPD-Fraktion weist das zurück. Kretschmers Anträge widersprächen „in eklatanter Weise“ dem Bebauungsplan, so Stadtentwicklungsexperte Dirk Kienscherf. Er sei daher gut beraten, das Angebot des Senats anzunehmen. Grüne und Linke unterstützen diese Haltung. „Der damit verbundene satte Gewinn für Herrn Kretschmer ist nur schwer zu rechtfertigen, und man kann ihm nur raten, dieses Angebot anzunehmen“, sagte Antje Möller (Grüne).

Kritik kam hingegen von der CDU. Viele Hamburger würden sich fragen, „warum die SPD heute bereit ist, das Fünffache des damaligen Kaufpreises zu zahlen“, sagte Fraktionschef Dietrich Wersich. Er frage sich, „warum der Senat die Provokationen seitens des Eigentümers ... erst jetzt in die Schranken weist“. Im Übrigen sei der Rückkauf der Roten Flora durch die Stadt noch keine Lösung des Problems. Das betonte auch FDP-Fraktionschefin Katja Suding: „Dazu wird es eine umfassendere Strategie von Prävention und langfristigem Umgang mit linksextremen Aktivitäten in Hamburg brauchen.“