Sehr lebendig, bisweilen polemisch war die Bürgerschaftsdebatte über den anstehenden Volksentscheid – und somit unterhaltsam.

Hamburg Für die einen geht es bloß um ein paar im Grunde bedeutungslose Kabel und Rohre. Die anderen dagegen sprechen von Daseinsvorsorge – oder gleich von der Bewahrung der Schöpfung. Wenn die Rede von den Hamburger Verteilnetzen für Strom, Gas und Fernwärme ist, die es mit ihren mehr als 35.000 Kilometern fast auf Äquatorlänge bringen, dann werden dieser Tage gern Extreme bemüht. Schließlich sind es nur noch gut fünf Wochen bis zum Volksentscheid über den vollständigen Netzerückkauf. Auch in der Aktuellen Stunde der Hamburgischen Bürgerschaft ging es am Mittwoch entsprechend hart zur Sache. Unter dem Titel „NEIN zum Netzkauf: Der Volksentscheid hält nicht, was er verspricht!“ hatte die SPD, die kurz vor der Debatte noch ein Bündnis mit CDU und FDP präsentierte, das Thema auf die Tagesordnung gesetzt.

„Die Wahlversprechen des Volksentscheids zum Netzkauf sind bei näherer Betrachtung nichts weiter als ein großes Märchen“, sagte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Selten habe ein Volksentscheid den Bürgern so viel Sand in die Augen gestreut wie dieser. Erstens würden durch den vollständigen Rückkauf die Energiepreise nicht sinken, wie es die Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz“ andeute. Zweitens nütze eine Rekommunalisierung auch dem Klimaschutz nicht. Drittens gebe es keine garantierten Erlöse aus dem Netz. Und viertens sei es sehr unsicher, ob eine neu gegründete Hamburger Netzgesellschaft ohne Erfahrung die Konzession bekäme, die für das Stromnetz 2014 neu ausgeschrieben werden muss. Dressels Parteifreund, der frühere Ver.di-Chef Wolfgang Rose, betonte zudem, dass sich die betroffenen Mitarbeiter bei Vattenfall und E.on gegen den Rückkauf ausgesprochen hätten, weil sie ihre Arbeitsplätze bei der Stadt gefährdet sähen.

Auch Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) selbst verteidigte die Entscheidung seines Senates, sich mit lediglich 25,1 Prozent für rund 544 Millionen Euro an den Netzen zu beteiligen – und sie nicht für geschätzte 1,5 Milliarden Euro zusätzlich ganz zu übernehmen. „Es gibt kein einziges Argument, diese finanzielle Bürde auf sich zu nehmen“, sagte Scholz. „Außer der Aussage ‚Wollen wir haben‘, ist keine Aussage gekommen, was wir mit den Netzen überhaupt anfangen wollen“, so Scholz. Der Bürgermeister betonte, dass manche Kommunen, denen die Energienetze gehörten, bereits fürchteten, dass der Betrieb zu einem Zuschussgeschäft werde. „Die Stadt darf nicht auf eine Spekulation von Grünen und Linken setzen.“

Unterstützung bekam der Bürgermeister von CDU und FDP. CDU-Umweltpolitikerin Birgit Stöver sagte: „Wir sind von der Unsinnigkeit des Netzekaufs überzeugt und wollen Schaden von der Stadt abwenden.“ Auch Thomas-Sönke Kluth von der FDP bezeichnete die von der Initiative geplante „Vollverstaatlichung“ als „Unfug“. Es sei eine „faustdicke Lüge“, von einem guten Geschäft zu sprechen. FDP-Fraktionschefin Katja Suding betonte allerdings, dass ihre Partei auch die 25,1 Prozent-Beteiligung für unsinnig halte.

„Die Hamburger haben genug von Vattenfall“, sagte dagegen Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan und verwies auf die Klage des Energiekonzerns gegen den Atomausstieg. „Sie wollen ein öffentliches Unternehmen, dem sie vertrauen können wie den Wasserwerken.“ Mit Blick auf die von Scholz vereinbarte Garantiedividende sagte Kerstan, die Bürger würden mit „Brotkrumen“ abgespeist, während die Energiekonzerne den Kuchen äßen. Zudem wies er darauf hin, dass Scholz im Vertrag auf eine Rücknahme des lukrativen Fernwärmegeschäfts verzichte, was ein großer Fehler sei. Es dürfe „keinen Pakt mit dem Atomkonzern“ geben.

Linken-Fraktionschefin Dora Heyenn machte eine einfache Rechnung auf: „Die Betreiber kämpfen um die Netze wie die Löwen“, sagte sie. „Und das tun sie bestimmt nicht, weil sie damit Defizite machen.“ Die Kampagne der SPD und der Initiative gegen den Netzkauf bezeichnete Heyenn als „Angst- und Stimmungsmache“ und bat um eine „faire Auseinandersetzung“.

Am Ende der Debatte äußerte die frühere grüne Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk den Verdacht, der Senat wolle einen erfolgreichen Volksentscheid nicht umsetzen und plane, sich absichtlich schlecht bei der Bewerbung um die Konzession zu präsentieren. „Das“, donnerte Hajduk in gepflegtem Crescendo, „ist ein Skandal.“