Justizsenatorin Jana Schiedek im Abendblatt-Interview über den Ausbruch des Gefangenen Thomas Saremba
Hamburg. Der 25-jährige Thomas Saremba bleibt auch am dritten Tag seiner Flucht aus der Untersuchungshaft verschwunden. Die Polizei hat seine Spur am U-Bahnhof Gänsemarkt trotz Auswertung der Überwachungskameras nicht weiterverfolgen können, eine Durchsuchung der Kellerräume am Wohnort seiner Eltern in Jenfeld blieb ohne Erfolg. Unterdessen hat sich Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) in einem Interview erstmals zum Zustand der Haftanstalt und den Hintergründen der Flucht geäußert. Mit ihr sprachen Denis Fengler und Peter Ulrich Meyer.
Hamburger Abendblatt:
Frau Senatorin, was ist in der Nacht zum 20. Juli im Untersuchungsgefängnis schiefgelaufen?
Jana Schiedek:
Der Häftling hat verschiedene Sicherungsmaßnahmen mit viel Kraftanstrengung und mit hohem Risiko für sich selbst unter günstigen Umständen überwunden.
Warum gelang Saremba die Flucht?
Schiedek:
Es ist zu früh, abschließend zu bewerten. Wir befinden uns mitten in den Ermittlungen. Welche Fehler passiert sind, können wir erst nach Abschluss sagen. Das Gleiche gilt für die Konsequenzen.
Warum war ein Stück der Mauer nicht mit Sicherungsdraht gesichert?
Schiedek:
Das Stück ohne Zaun war an der Stelle, wo ein Wachturm abgerissen wurde. Wir reißen die Wachtürme ab, weil sie tote Winkel haben. Die neue elektrische Außensicherung steht kurz vor dem Abschluss. Ich habe aber bereits am Sonnabend angeordnet, dass die Baustelle ab sofort mit S-Draht gesichert wird, und das ist auch passiert.
Warum war das Gefängnis nicht durchgängig mit S-Draht gesichert?
Schiedek:
Es gibt ein Sicherheitskonzept aus 2008. Das sah an dieser Stelle keinen S-Draht vor. Man muss aber sagen, dass den Mann ein S-Draht an anderer Stelle auch nicht aufgehalten hat.
Aber es macht schon einen Unterschied, ob ein Ausbrecher einen oder zwei S-Drähte überwinden muss, oder?
Schiedek:
Das sind hypothetische Fragen. Sicher ist, dass ihn die neue Außensicherung aufgehalten hätte, wenn sie denn fertig gewesen wäre.
Warum haben die Beamten keinen Kontrollgang auf dem Hof gemacht, nachdem der Alarm ausgelöst war?
Schiedek:
Sie haben den Bereich mit der Kamera abgefahren und sind davon ausgegangen, dass ein Tier den Alarm ausgelöst hat. Die Vorschrift besagt, dass mit der Kamera der entsprechende Bereich abgesucht wird. Das hat der betreffende Mitarbeiter auch getan.
Es war aber gar kein Tier zu sehen. Wie kann das angehen?
Schiedek:
Es kommt häufiger vor, dass Tiere Alarm auslösen. Die technischen Systeme haben funktioniert. Dennoch hat der Häftling die Sicherheitssysteme überwunden.
Also haben die Menschen versagt?
Schiedek:
Das ist eine der Fragen, die uns seit Sonnabend beschäftigen.
Aber immerhin muss man feststellen, dass der Hof mit allen Sicherungsanlagen aktuell nicht sicher war.
Schiedek:
Ja, deswegen gibt es die neue Außensicherung. Deswegen habe ich angeordnet, dass die Häftlinge aus dem B-Flügel bis zur Fertigstellung der Anlage in andere Bereiche verlegt werden. Und deshalb prüfen wir jetzt die Verstärkung der Fenster.
War der Hof zu schwach ausgeleuchtet?
Schiedek:
Es gibt verschiedenste Hinweise, denen wir jetzt nachgehen. Ich kann Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, ob es da schlechter beleuchtet ist als an anderer Stelle.
Der Sanierungsstau bei Block B wird auf 14 Millionen Euro beziffert. Warum wurde er nicht längst saniert?
Schiedek:
Die wichtigste Maßnahme, die das Sicherungskonzept aus 2008 empfohlen hat, war die neue Außensicherung.
Schon 2007 gab es einen Ausbruch aus dem maroden Gebäude, dasselbe Muster.
Schiedek:
Für so einen Ausbruch braucht man erheblichen Kraftaufwand und Geschicklichkeit. Unter normalen Umständen würde man so etwas hören. Die Flucht des Häftlings war wohl begünstigt durch die Lärmsituation. An dem Abend lief das St.-Pauli-Spiel, und das Dom-Feuerwerk wurde abgebrannt.
Seit 2007 müssten die Alarmglocken schrillen. Warum ist nichts geschehen? In der mittelfristigen Planung sind keine Mittel für die Sanierung vorgesehen.
Schiedek:
Natürlich werden wir uns auch mit der Sanierung des B-Flügels beschäftigen, aber Priorität hatte die Außensicherung. Das war die wesentliche Empfehlung des Sicherheitskonzepts nach dieser Flucht 2007. Das Bittere ist, dass die Außensicherung kurz vor ihrer Fertigstellung steht. Man kann nicht sagen, da wäre nichts passiert. Da wurden in den letzten Jahren 6,7 Millionen Euro investiert.
Wenn Sie schon einen anderen Schwerpunkt hatten: Warum gab es keine Nutzungseinschränkung? Man darf doch diesen besonders maroden Flügel nicht mit Häftlingen belegen.
Schiedek:
Wie gesagt, wir haben das Sicherheitskonzept von 2008, das auf die Erneuerung der Außensicherung setzt, weiter verfolgt. Die Haftraumkontrollen sind verstärkt worden. Gott sei Dank ist dies nun ein besonders seltenes Ereignis.
Sie haben jedenfalls früher keinen Grund gesehen, den B-Flügel zu sperren?
Schiedek:
Nein.
Jetzt haben Sie aber eine Verlegung der Häftlinge in andere Bereiche angeordnet.
Schiedek:
Ja. Aber nur der Gefangenen, die in dem Teil des B-Flügels untergebracht waren, der zum Holstenglacis geht. Zur anderen Seite ist die Außensicherung schon fertig.
Stimmt es, dass zehn Wachleute aus der JVA Billwerder in die UHA abgeordnet sind?
Schiedek:
Wir haben bereits am Sonnabend Sofortmaßnahmen angeordnet und haben der UHA auch mitgeteilt, sie solle sich melden, wenn sie zusätzliches Personal benötigt. Wenn erforderlich, wird es Verstärkung aus anderen Anstalten geben müssen. Auch durch den privaten Sicherheitsdienst WeKo.
Drei Tage nach der Flucht: Wer trägt die Verantwortung?
Schiedek:
Auch drei Tage danach ist es immer noch zu früh. Ich verstehe die Fragen nach Verantwortung, nach Fehlern. Ich kann sie nur jetzt noch nicht beantworten, weil wir mitten in den Ermittlungen stecken.
Haben Sie sich persönlich etwas vorzuwerfen?
Schiedek:
Natürlich trägt man als Justizsenatorin die Gesamtverantwortung für das Ressort. Und natürlich beschäftige ich mich dementsprechend auch mit all den Fragen, die nach dem Ausbruch berechtigterweise gestellt werden. Die Frage nach der Verantwortung werden wir erst später beantworten können. Mir war es wichtig, schnell zu handeln, um zumindest das, was offenkundig geworden ist, sofort abzustellen.