4500 Privatunterkünfte für Kirchentagsbesucher gesucht. Bürgermeister Scholz appelliert an Gastfreundschaft der Hamburger. 100.000 Teilnehmer werden erwartet.

Hamburg Die blauen Plakate mit dem Slogan "Koje frei?" sind in der Stadt nicht zu übersehen. Damit wirbt der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) für das größte religiöse Ereignis des Jahres, das vom 1. bis 5. Mai rund 100.000 Teilnehmer aus ganz Deutschland an Elbe und Alster locken wird. Zwar haben die Kirchentagsmacher noch keine schlaflosen Nächte. Aber es fehlen immer noch 4500 der 12.000 privaten Übernachtungsplätze.

50 Tage vor dem Christentreffen appelliert deshalb Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) an die Bürger, möglichst viele Kojen bereitzustellen. Scholz, der Schirmherr der Bettenkampagne ist, sagte dem Hamburger Abendblatt: "Hamburg ist eine gastfreundliche Stadt. Deshalb werbe ich dafür, dass noch mehr Bürgerinnen und Bürger Übernachtungsmöglichkeiten in Privathaushalten zur Verfügung stellen." Seine persönliche Bitte formuliert Scholz so: "Sprechen Sie Nachbarn und Bekannte an und machen Sie auf die Bettenkampagne aufmerksam. Jede geeignete Unterkunft wird gebraucht."

Dass wenige Wochen vor dem Start noch relativ viele Kojen fehlen, hat verschiedene Gründe. Während die Organisatoren die schleppende Resonanz nicht dramatisieren wollen, gibt es jetzt auch offene Kritik. "Dem Kirchentag ist es bisher nicht gelungen, Erwartungen auf diese große Zusammenkunft zu wecken", bemängelt zum Beispiel Trendforscher Peter Wippermann. Das Besondere an diesem Ereignis sei vielen Hamburgern unklar geblieben. "Damit fehlt die Lust, aktiv dabei zu sein und die eigene Wohnung für Gäste des Kirchentages zu öffnen." Offenbar habe das geplante Christentreffen, das unter dem Motto "So viel du brauchst" steht, noch nicht die Herzen der Hanseaten erobern können.

Sanfte Kritik am zeitlichen Verlauf der Kojen-Kampagne wird jetzt erstmals auch von führenden Kirchenleuten geäußert. Karl-Heinrich Melzer, Propst im Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein und Mitglied der Leitung der Nordkirche, formuliert sie so: "Mein Wunsch wäre es gewesen, dass die Kojen-Kampagne etwas früher begonnen hätte. So wäre es den Gemeinden möglich gewesen, noch effizienter auf lokaler Ebene zu agieren." Auf diese Weise, so Melzer, hätte der Betten-Aufruf bereits in den vielen Gemeindenbriefen zum Weihnachtsfest stehen können - und nicht erst viel später. "Damit wären noch mehr Menschen erreicht worden." So aber hieß es in den christlichen Blättern zunächst: Fehlanzeige.

Dagegen hatte die Betten-Kampagne in früheren Kirchentagsstädten bereits nach dem Start richtig Schwung. In Dresden waren innerhalb von 28 Tagen 2875 Betten vergeben, in Bremen mehr als 3000. Und Hamburg? Da waren es lediglich 2000 Privatquartiere - und zwar erst nach 50 Tagen. Dabei werden nach Ansicht von Trendforscher Wippermann inzwischen viel mehr Privatwohnungen für Fremde geöffnet als jemals zuvor.

Das Internet bietet dafür den Kommunikationsraum. "Soziale Medien machen es möglich, dass Anbieter von Übernachtungsmöglichkeiten und potenzielle Gäste sich im virtuellen Raum treffen können." Hier bereits werde abgeschätzt, ob man sich Vertrauen schenken wolle. Bei der Kojen-Kampagne jedoch steht ein kollektiver Aufruf im Mittelpunkt - zu viel für freiheitsbewusste Zeitgenossen. Wippermann: "Die persönliche Autonomie in der Entscheidung, wem ich meine Wohnung öffne, bestimmt den Grad der Gastfreundschaft heute. Kollektive Verpflichtungen haben da keine Chancen mehr." Die Menschen von heute, fügt Henning von Wedel, Mitglied der Nordkirchenleitung hinzu, wollten sich nicht so gern an Vorgaben binden. "Und sie entscheiden sich erst in letzter Minute, ob sie mitmachen." Was vielleicht auch mit einer spezifisch norddeutschen Mentalität zusammenhängt. "Die Hamburger", beobachtet Propst Melzer, "sind grundsätzlich gastfreundlich. Aber es dauert manchmal länger, bis sie auftauen."

Viele Gastgeber tauchen inzwischen auch gar nicht in der offiziellen Statistik auf. Sie regeln auf privater Basis, wer unter ihrem Dach übernachten darf. "Gerade Menschen im Alter von mehr als 65 Jahren nehmen lieber ihnen vertraute als völlig fremde Gäste auf", beobachtet Professor Wilfried Hartmann, Präses der Synode des Kirchenkreises Hamburg-Ost. "Sie scheuen sich, Unbekannte aufzunehmen, weil sie fürchten, ihrer eigenen Schwierigkeiten wegen nicht die perfekten Gastgeber sein zu können." Daher seien nicht gesellschaftliche Individualisierungsprozesse, sondern der demografische Wandel ein Grund für den schleppenden Verlauf der Kampagne. Trotz einiger Hindernisse sind die Kirchenleute optimistisch, dass bis Ende April jeder auswärtige Gast ein Bett in Hamburg gefunden hat. Schließlich werden darüber hinaus 45.000 Plätze in Gemeinschaftsunterkünften mobilisiert. "Ich bin sicher: Wir schaffen die 12.000 Kojen", sagt Propst Melzer.