Henning Voscherau, Hamburgs ehemaliger Erster Bürgermeister, glaubt allerdings nicht, dass das gesamte System abgeschafft wird.
Hamburg. "Das Modell des Länderfinanzausgleichs ist in Deutschland gescheitert." Henning Voscherau, ohnehin bekannt als Mann klarer Worte, fällte ein unzweideutiges Urteil. Hamburgs ehemaliger Erster Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) nutzte seine Rede bei den Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen des Hamburger Traditionsunternehmens Budnikowsky (siehe Artikel unten), um dem Finanztransfer zwischen den Bundesländern ein schlechtes Zeugnis auszustellen. Voscherau, der selbst als Hamburger Bürgermeister während seiner Regierungszeit von 1988 bis 1997 mit einer Klage vor das Bundesverfassungsgericht gezogen war, zog in seiner Rede einen Vergleich zwischen dem finanziellen Ausgleichsmodell in Deutschland und der Unterstützung einiger Euro-Länder mithilfe des europäischen Rettungsschirms EMS. "Die dauerhafte öffentliche Subventionierung strukturschwacher Länder kann am Ende meiner Meinung nach nicht gut gehen", betonte Voscherau in seiner Rede.
Was selbst in Deutschland nicht gut gehen würde, sei auf europäischer Ebene - in der es keine "echte demokratische Selbstbestimmung des Volkes" geben würde - auch zum Scheitern verurteilt. In einem späteren Gespräch mit dem Abendblatt spitzte er seine Aussage noch einmal zu. Es sei sogar ein "Todesurteil" für Europa.
Mit dem im Grundgesetz verankerten Länderfinanzausgleich soll die unterschiedliche Finanzkraft der deutschen Bundesländer angemessen ausgeglichen werden. Ursprünglich sollte der Finanzausgleich dafür sorgen, dass in allen Ländern gleiche Lebensverhältnisse vorherrschen. Welche Bundesländer zu den Geber-, beziehungsweise Nehmerländern gehören, wird mithilfe eines komplizierten Rechenverfahrens ermittelt.
Zu den Geberländern im Jahr 2011 gehörten Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Hamburg musste dabei 62 Millionen Euro in den gemeinsamen Topf werfen, das wirtschaftsstarke Bayern mehr als 3,6 Milliarden Euro - und damit etwa die Hälfte der in Deutschland umverteilten Finanzmittel. Für Berlin lohnte sich die Umverteilung am meisten. 2011 erhielt die Hauptstadt mehr als drei Milliarden Euro, danach folgt Sachsen mit 918 Millionen Euro.
Für Henning Voscherau ist dieses föderalistische Umverteilungsmodell nicht akzeptabel, weil "mit einem unfairen System" vier Bundesländer die strukturschwachen Länder lediglich subventionieren würden. "Die starken Länder werden gemolken und für ihren wirtschaftlichen Erfolg bestraft", betont Voscherau. Im Gegenzug würde jenes ausgleichende Modell den Nehmerländern jeden Ansporn nehmen, an der eigenen wirtschaftlichen Situation etwas zu verändern, Reformbemühungen würden nicht durchgehalten werden. Und dies werde auch weiterhin so bleiben. "Warum sollte die Mehrheit der Länder den Wasserhahn abdrehen, aus dem das Geld fließt?", zweifelt Voscherau. "Die Länder werden nicht im Traum daran denken, diese Gelddruckmaschine für sich abzuschaffen."
Um eine Veränderung zu erwirken, hat sich der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, erst allein, nun gegebenenfalls mit Unterstützung des Geberlandes Baden-Württemberg, dazu entschlossen, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Bayern war jahrzehntelang übrigens ein Nehmerland. Kritisch merkt Voscherau an, dass Seehofer gerade jetzt, ein Jahr vor der nächsten Wahl in Bayern und im Bund, sich des Themas annimmt.
Aber egal, aus welcher Motivation heraus der Ministerpräsident vor Gericht ziehen will: Voscherau räumt diesem Vorhaben keine großen Erfolgsaussichten ein. Auch hier zieht er einen Vergleich zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Bezug auf die Rechtmäßigkeit des europäischen Rettungsschirms. "Das Verfassungsgericht hat sich bei einem vergleichbaren Modell dazu entschlossen, sich aus der Politik herauszuhalten. Dann wird dies auch für Regelungen auf Bundesebene gelten", sagt Voscherau. Zudem befürchtet er, dass sowohl im Bundesrat als auch im Bundestag keine Mehrheit für eine Veränderung der derzeitigen Regelung zustande kommen würde. "Mein Vorgänger Klaus von Dohnanyi, mein Nachfolger Ortwin Runde und ich sind in Karlsruhe gescheitert."
Sollten die Regelungen wie bislang bestehen bleiben, wird Hamburg sich darauf einstellen müssen, in den kommenden Jahren mehr denn je in den großen Finanztopf einzahlen zu müssen. Aus Steuerschätzungen von Mai 2012 geht hervor, dass die Hansestadt in diesem Jahr wohl rund 160 Millionen Euro zahlen muss. Im Jahr 2013 vielleicht schon 165 Millionen.