Seit Wochen wird spekuliert, dass Bürgermeister Ole von Beust (CDU) schon bald seinen Rücktritt erklären könnte.
Hamburg. Die politische Erfahrung lehrt, dass man sich gegen Gerüchte kaum wehren kann. Seit Wochen wird darüber spekuliert, dass Bürgermeister Ole von Beust (CDU) möglicherweise schon bald seinen Rücktritt erklären könnte. Der Senatschef hält zwar tapfer dagegen ("Ich bin nicht amtsmüde!"), aber die Gerüchteküche brodelt munter weiter. Das zeigt vor allem eines: In der CDU ist ein Machtkampf über die Zeit nach von Beust entbrannt. Nur wann diese Zeit anbricht, ist eben die Frage.
Aus dem Lager von Innensenator Christoph Ahlhaus, dem aktuell aussichtsreichsten Kronprinzen, wird derzeit eifrig gestreut, dass es zwischen von Beust und Ahlhaus die (Geheim-)Vereinbarung gebe, den Staffelstab schon am Tag nach dem Volksentscheid über die umstrittene Primarschule am 18. Juli weiterzureichen. Aus dem Rathaus wird eine solche Festlegung auf den Termin allerdings rundheraus bestritten. "Das ist absoluter Unsinn", sagte Senatssprecherin Kristin Breuer gestern dem Abendblatt.
Wenn die Tatsachenbehauptungen nicht übereinstimmen, muss die Frage nach der Motivation gestellt werden. Es liegt durchaus in Ahlhaus' Interesse, dass von Beust jetzt möglichst schnell zurücktritt, nachdem das Thema ohnehin schon öffentlich diskutiert wird. Zum einen könnte eine rasche Entscheidung in der wichtigsten Führungsfrage der CDU die verunsicherten Parteimitglieder ein Stück weit beruhigen. Zum anderen: Je früher Ahlhaus ins Bürgermeister-Amt käme, desto mehr Zeit hätte er zur Profilierung mit Blick auf die Wahl 2012.
Aber es kommt noch ein weiterer Punkt hinzu: Wenn von Beust tatsächlich Mitte Juli das Handtuch werfen würde, dann würde die Nachfolge schon deswegen auf Ahlhaus zulaufen, weil niemand sonst in so kurzer Zeit die Chance hätte, auf sich aufmerksam zu machen. Denn im Ahlhaus-Lager wird durchaus damit gerechnet, dass Fraktionschef Frank Schira plötzlich doch noch Interesse an der Von-Beust-Nachfolge entwickeln könnte. Das könnte vor allem dann der Fall sein, wenn Schira auf dem Landesparteitag am 26. Juni mit einem überzeugenden Ergebnis zum Parteichef gewählt wird.
So viel ist sicher: Anfang März hatten sich Schira und Ahlhaus in einem Vier-Augen-Gespräch auf eine Verteilung der Macht geeinigt. Fraktionschef Schira soll als Nachfolger des zurückgetretenen Michael Freytag auch das Amt des Parteichefs übernehmen. Im Gegenzug begräbt Schira eigene Ambitionen auf das Bürgermeister-Amt und lässt Ahlhaus den Vortritt. Folgerichtig erklärte Schira im Abendblatt-Interview Anfang März: "Ich habe keine Ambitionen, Bürgermeister zu werden." Die beiden Spitzenämter in Fraktion und künftig auch Partei würden ihn "sehr erfüllen".
Von einem konkreten Datum für einen Rücktritt von Beusts war damals nicht die Rede. Im Gegenteil: Im Abendblatt-Interview Ende April wies von Beust jede Spur von Amtsmüdigkeit zurück. "Ich habe den persönlichen Ehrgeiz, für mich und die Partei einen Erfolg aus der schwarz-grünen Koalition zu machen", sagte der Bürgermeister. Darüber, ob er 2012 zur nächsten Bürgerschaftswahl als CDU-Spitzenkandidat antrete, entscheide er "ungefähr ein Jahr vorher". Das wäre im Frühjahr 2011. Überdies hat von Beust mehrfach betont, der Volksentscheid sei eine Abstimmung über eine Sachfrage, aber eben kein Votum über den Senat oder gar den Ersten Bürgermeister.
Wenn die eine Seite der anderen trotz öffentlicher Bekundungen misstraut, wie das jetzt offenkundig der Fall ist, dann zeigt das vor allem eines: Der Machtkampf in der CDU ist in vollem Gange und der Ausgang offen. Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Es gilt etlichen Christdemokraten durchaus nicht als ausgemacht, dass Ahlhaus in jedem Fall die Mehrheit des CDU-Parteitages für eine Spitzenkandidatur hinter sich hätte. Der 40 Jahre alte Jurist hat sich als Law-and-order-Mann in seinem Amt als Innensenator profiliert. Aber genau das scheint nun für manche eher gegen eine Von-Beust-Nachfolge zu sprechen, dessen liberales Image der CDU überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet hat, in einer Stadt wie Hamburg mit einer strukturellen linken Mehrheit die Macht zu übernehmen. Die politische Kompetenz über den Bereich Polizei und Feuerwehr hinaus spricht Ahlhaus übrigens niemand ab.
Es gibt eine weitere Variante: Anstelle von Ahlhaus könnte auch Sozialsenator Dietrich Wersich in die Rolle des Kronprinzen schlüpfen. Das wäre umso aussichtsreicher, wenn Wersich die Unterstützung Schiras hätte. Als Fraktionschef muss Schira für die Mehrheit in der Bürgerschaft sorgen, als künftiger Parteichef auf dem CDU-Parteitag. Eine Achse Schira-Wersich könnte aber vermutlich erst entstehen, wenn absehbar wäre, dass Ahlhaus nicht durchsetzbar ist.
Das alles zeigt, wie fragil die Lage an der Spitze der Union geworden ist. Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Der entscheidende Grund: Das schwarz-grüne Bündnis hat seit einem guten halben Jahr einen grottenschlechten Lauf. Manchmal drängt sich dem Beobachter der Eindruck auf, dieser Senat, diese Koalition befinde sich bereits in einer Art Auflösungsprozess. So gesehen ist die Diskussion über den Spitzenposten des Bürgermeisters nur der sichtbarste Ausdruck der Krise.
Begonnen hatte alles mit dem sensationellen Erfolg der Primarschulgegner um den Rechtsanwalt Walter Scheuerl beim Volksgehren im November. Mit 184 500 Stimmen lagen sie um das Dreifache über dem Soll und erwischten das schwarz-grüne Bündnis damit kalt.
Dann ruckelte es mächtig im Regierungsapparat bei vergleichsweise simplen Fragen wie denen, ob die traditionellen Harley Days weiter stattfinden sollen oder es zur Fußball-WM erneut Public Viewing auf dem Heiligengeistfeld gibt.
Den Ausweis für schlechtes Krisenmanagement lieferte Schwarz-Grün im Winter, als die Straßen und vor allem Gehwege über Wochen vereist waren. Dass dann ausgerechnet Bürgerschaftspräsident Berndt Röder (CDU) mit einigen erbosten Telefonaten erreichen konnte, dass seine Wohnstraße geräumt wurde, verschlimmerte das Bild weiter. Der Rücktritt des CDU-Politikers konnte den Image-Schaden für Schwarz-Grün nur einigermaßen begrenzen.
Auch in der "großen" Politik ist das Bündnis außer Tritt: Da ist die zur Frustbaustelle gewordene Elbphilharmonie, von der immer neue Kostensteigerungen zu berichten sind. Auf der anderen Seite erhöht der Senat die Kita-Gebühren für einen Teil der Eltern und trifft vor allem den Mittelstand. Hinzu kommt die Schulreform mit dem längeren gemeinsamen Lernen, die vor allem im Lager konservativer Wähler auf erhebliche Vorbehalte trifft.
Die Liste ist nicht einmal vollständig. Die Quittung lässt sich an der letzten Meinungsumfrage ablesen, die das Abendblatt vor einem Monat veröffentlichte. Erstmals seit 2002 fiel die CDU mit 34 Prozent hinter die SPD mit 37 Prozent zurück. Damit nicht genug: Ole von Beust, über Jahre der Erfolgsgarant, büßte seinen Amtsbonus ein und hatte im direkten Vergleich mit dem SPD-Vorsitzenden Olaf Scholz das Nachsehen. Scholz hat noch nicht einmal erklärt, dass er überhaupt als Bürgermeister-Kandidat antreten will.
Angesichts dieser dramatischen Werte und der Stimmung im schwarz-grünen Lager ist es nachvollziehbar, dass die Alarmglocken schrillen. Nach einer Dekade der partei-internen Stabilität, die mit dem Namen Ole von Beust eng verbunden ist, geht die Union nun deutlich unruhigeren Zeiten entgegen. CDU - und weg bist du: Erstmals wird auch über von Beust diskutiert. Dafür trägt er ein Stück weit auch selbst die Verantwortung, weil er sich lange zurückgehalten hat, als die Regierungsgeschäfte alles andere als optimal liefen. Die Machtspiele, die sich derzeit zwischen dem christdemokratischen Führungspersonal abspielen, dürften die Attraktivität der Partei kaum steigern.