Debatte über Vorstoß von Olaf Scholz. Experten haben Sorge, dass die Stadt wegen der höheren Bauten ihre typische Silhouette verlieren wird.
Hamburg. In der Hansestadt wird an einer alten Tradition gerüttelt. Künftig sollen Wohnhäuser auch höher gebaut werden als die fünf Geschosse, die seit dem 19. Jahrhundert in vielen Wohnvierteln die Obergrenze sind. Diese Initiative, angestoßen von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) , wird jetzt in Hamburg kontrovers diskutiert. "Es muss möglich sein, durch Verdichtung mehr Wohnraum in der Stadt zu schaffen. Und dieses Ziel kann auch dadurch erreicht werden, dass man mehr als bislang in die Höhe baut", sagte Scholz.
Die Sorge, dass die Stadt wegen der höheren Bauten ihre typische Silhouette verlieren wird, hat der Bürgermeister nicht. "Zwei Geschosse mehr an der einen oder anderen Stelle verändern nicht gleich das Gesicht der Stadt", schrieb Scholz in einem "Welt"-Beitrag.
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Andy Grote, Stadtentwicklungsexperte der SPD-Bürgerschaftsfraktion, hält auch den Bau von Hochhäusern für nicht ausgeschlossen. "Aber nur in bestimmten Einzelfällen", sagte er dem Abendblatt. Diskutiert wird über Gebäude mit zehn oder mehr Stockwerken. Grote sagte, in erster Linie gehe es aber darum, Baulücken zu schließen oder bestehende Wohnhäuser aufzustocken. "Warum sollten fünfstöckige Häuser nicht sechs- oder achtstöckig werden?" Allerdings sollten solche Projekte stets zum jeweiligen Quartier passen.
Eine bauliche Verdichtung sei in mehrfacher Hinsicht sinnvoll. "Die Zahl der freien Flächen in Hamburg ist endlich. Es ist außerdem ökologischer, weil etwa keine neuen Straßen oder Bahnhöfe gebaut werden müssen", sagte Grote. Der örtliche Einzelhandel würde durch die zusätzlichen Bewohner gestärkt. Zudem sei das Ziel des Senats, 6000 Wohnungen pro Jahr neu zu bauen, allein mit freien Flächen nicht hinzubekommen.
Experten wie der Stadtplaner Dirk Schubert, Professor an der HafenCity-Universität, warnen allerdings vor einer Gefährdung des typischen Hamburger Stadtbildes. Die Turm-Silhouette sei ein Alleinstellungsmerkmal der Hansestadt, sagte Schubert im NDR. Man sei gut beraten, daran festzuhalten. Vier der 14 höchsten Kirchtürme der Welt stehen in Hamburg. Skeptisch zeigte sich auch der Hamburger Architekturhistoriker Prof. Gert Kähler. Nicht jedes Gebäude sei für eine Aufstockung geeignet. Nach seiner Einschätzung wäre es genauso sinnvoll, leer stehende Bürogebäude in Wohnraum umzuwandeln und überflüssige Bauvorschriften abzuschaffen.
Jens Kerstan, Fraktionschef der GAL, findet die Idee, höher zu bauen, "nicht schlecht". Neu sei sie allerdings nicht. Schon zu Zeiten des schwarz-grünen Senats hätten die Leitbilder der "Wachsenden" und "Kreativen Stadt" Ähnliches zum Ziel gehabt. CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich begrüßt ebenfalls eine "stärkere Nachverdichtung" der Flächen. Durch den Bau in die Höhe dürfe aber weder der Charme noch der Charakter der Stadt verloren gehen: "Das amerikanische Modell der vereinheitlichten Großstädte ist nicht auf Hamburg kopierbar. Ich glaube auch nicht, dass man den Hamburgern einen Mentalitätswechsel vorschreiben und unserer Stadt einfach eine neue Identität verpassen kann." Für Heike Sudmann, Stadtentwicklungsexpertin der Linken, ist es wichtig, "dass die Bürger bei derartigen Projekten beteiligt" werden.