Abendblatt-Redakteur Andreas Dey über den Fall Hamburg Marketing und ihre umstrittene Luxus-WG für vier Jugendliche auf der Reeperbahn.
Der Vorwurf wog schwer, und das war wohl auch die Absicht. Die SPD versuche, sich "wieder der Stadt zu bemächtigen und alles zu entfernen, was dem Roten Filz widerspricht", ätzte CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich am Dienstag. Anlass war die Absetzung von Thomas Bösenberg (CDU) als Chef des Jobcenters team.arbeit.hamburg. Tags darauf schlug FDP-Fraktionschefin Katja Suding in die gleiche Kerbe, allerdings mit Blick auf einen anderen Fall. Nachdem die Hamburg Marketing GmbH (HMG) ihr umstrittenes WG-Projekt gestoppt hatte und die Arbeit von HMG-Geschäftsführer Thorsten Kausch (CDU) zunehmend in die Kritik geriet, vermutete sie, "dass die Sozialdemokraten nun auch an der Spitze der HMG einen Genossen aus ihren eigenen Reihen platzieren wollen".
Der Reflex lag nahe, schließlich hatte das Thema der von Genossen durchsetzten Verwaltung schon einmal verfangen. 2001 hatte der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) "Roter Filz" einen Beitrag zur Abwahl der SPD geliefert. Doch was gut klingt, ist noch lange nicht zwingend, und so lohnt sich ein Blick auf die beiden Personalien. Klarer ist der Fall Bösenberg. Monatelang musste Sozial- und Arbeitssenator Detlef Scheele (SPD) den durchaus gewollten Abbau von Ein-Euro-Jobs erklären und setzte dabei unter anderem auf das Argument, der Rückgang falle gar nicht so dramatisch aus. Tat er aber doch, weil team.arbeit.hamburg die zur Verfügung stehenden Mittel für die Arbeitsgelegenheiten gar nicht ausschöpfte, auch nicht nach einem "Normen verdeutlichenden Gespräch" von Scheele mit Bösenberg. So war dessen Verbannung auf einen anderen Posten in der Verwaltung letztlich unvermeidlich.
Undurchsichtiger ist die Marketing-Geschichte. Knapp 280 000 Euro wollte die Stadt ausgeben, damit vier junge Leute von Oktober an ein Jahr lang kostenfrei in einer Luxus-WG an der Reeperbahn wohnen und darüber in sozialen Netzwerken im Internet berichten. Die restlichen 250 000 Euro sollten drei Firmen beisteuern, bei denen die WG-Bewohner einen Einjahresvertrag erhalten sollten. Dass die städtische Marketing GmbH das ganze Projekt kurz nach Veröffentlichung dieser Fakten stoppte, lässt sich mit einem Satz begründen, vor dem sich der Senat mehr fürchtet als vor jedem Filz-Vorwurf: "... und dafür haben sie Geld."
Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte ihn vor und nach der Wahl bei vielen Gelegenheiten eingestreut, quasi als Chiffre für den Eindruck, der beim Volk auf keinen Fall aufkommen dürfe. Dass der Senat nämlich spart, dass er Stellen abbaut und den Bürgern einiges zumutet wie die Kürzung des Weihnachtsgeldes für Beamte - sich aber andererseits anscheinend Unnützes leistet. Und dafür haben sie Geld - der 200-Quadratmeter-WG-Palast war wie maßgeschneidert für diesen Vorwurf.
Doch auch mit anderen wichtigen Senatszielen ließ sich das Projekt kaum vereinbaren, etwa mit dem Bemühen um die Bekämpfung der Wohnungsnot oder mit dem Einsatz gegen die Luxussanierung von Szenevierteln wie St. Pauli.
Dass die Politik nach Veröffentlichung der Fakten einhellig den Daumen über der Hamburg-WG senkte, überraschte also nicht. Interessant zu beobachten war allerdings, wie der Senat den Eindruck zu erwecken suchte, er habe mit dem Projekt nichts zu tun. Ganz so war es nämlich nicht. Die Idee, junge Menschen mithilfe angesagter virtueller Netzwerke für die Stadt zu begeistern, hatte die Marketing GmbH bereits 2009 entwickelt - zu schwarz-grünen Zeiten. Kurz nach dem Ausstieg der GAL aus der Koalition gab der HMG-Aufsichtsrat im Dezember 2010 den endgültigen Segen für das Projekt. Vorsitzender des Kontrollgremiums war damals Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU). Das hielt CDU und GAL aber nicht davon ab, sich diese Woche von der WG zu distanzieren.
Doch auch die regierende SPD war keineswegs unbeteiligt. Erst im Juni dieses Jahres hatte sich der neue HMG-Aufsichtsrat, nun unter Vorsitz von Olaf Scholz, mit der neuen Struktur der Marketing GmbH befasst. Auch die Hamburg-WG kam dabei zur Sprache. Schon damals gab es zwar kritische Nachfragen. Doch angesichts der weit fortgeschrittenen Planung ließ man das Projekt weiterlaufen. Auch nachdem der Bürgerschaftsabgeordnete Norbert Hackbusch von der Linkspartei am 2. August zwei Kleine Anfragen an den Senat einreichte, hörte niemand die Alarmglocken. Dabei hätte spätestens der Staatsräte-Runde, die am Morgen des 9. August die Antworten freigab, auffallen können, welche Sprengkraft die Geschichte entfalten könnte.
Als am Wochenende dann die ersten Zeitungen die Geschichte aufgriffen, wurde im Rathaus weiter an die HMG verwiesen. Sie müsse jetzt entscheiden, wie es weitergehe, nicht der Senat. Tatsächlich kam es aber zu einem regen Austausch zwischen Kausch und den Staatsräten Christoph Krupp (Senatskanzlei) und Andreas Rieckhoff (Wirtschaftsbehörde, zuständig für Tourismus). Die Botschaft an den HMG-Chef war deutlich: Gegen die geballte öffentliche Meinung sei so ein Projekt nicht durchsetzbar.
Ernsthafte Bestrebungen, Kausch abzulösen, soll es im Senat aber nicht gegeben haben. Zwar war seine Truppe erst im Juli unangenehm aufgefallen, als via Facebook zum Freibiertrinken am Elbstrand aufgerufen wurde. Doch nachdem Bösenberg versetzt worden war, saß Kausch sicher im Sattel. Zwei CDU-Leute binnen kurzer Zeit zu rasieren, das hätte Filz-Vorwürfen der Opposition doch eine gewisse Berechtigung gegeben. Am Freitag zeigte sich der Senat sogar geradezu fürsorglich. Bevor die neuen Tourismus-Zahlen verkündet wurden, wurde Kausch - der auch Kochef der Tourismus GmbH ist - nahegelegt, der Pressekonferenz fernzubleiben. Man müsse ja keine Fragen zur WG provozieren. Der Hinweis kam an.
Am Nachmittag erhielt die Internetseite www.hh-wg.de eine neue Überschrift: "Projekt wird eingestellt."