Auch der Steuerzahlerbund kritisiert die Werbe-Wohngemeinschaft, die die Stadt 279.000 Euro kostet. Hamburg-WG sei Fall fürs Schwarzbuch.
Hamburg. Die umstrittene Wohngemeinschaft (WG), die die Hamburg Marketing GmbH auf dem Kiez einrichten will, steht vor dem Aus. Nach Abendblatt-Informationen wird die städtische Marketing GmbH das Projekt heute fallen lassen. "Wir überprüfen die Rahmenbedingungen des Projekts und beraten mit den Partnern darüber", sagte Sascha Albertsen, Sprecher der GmbH. Die Entscheidung werde "zeitnah" bekannt gegeben.
In den "200-Quadratmeter-WG-Palast", so die offizielle Beschreibung der Räume im Haus an der Reeperbahn 83, sollen ab Oktober für ein Jahr vier junge Leute einziehen, die von einer Jury und per Internet-Abstimmung ausgewählt werden. Sie wohnen dort kostenfrei. Drei von ihnen erhalten einen Jahresvertrag bei den Partnerfirmen Otto, Sparda-Bank und Radio Hamburg, der oder die vierte kann seine Zeit an der Elbe frei gestalten. Im Gegenzug verpflichten sich die jungen Leute, über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter über ihren WG-Alltag und ihre Erfahrungen in Hamburg zu berichten. Unter anderem werden sie angehalten, über kommende Trendviertel nachzudenken, etwa über Wilhelmsburg. "Vielleicht braucht es etwas wie eine Rote Flora als Symbol, um einen rebellischen Nukleus für alternative Entwicklung zu bilden", heißt es als Denkanstoß auf der Internetseite ww.hh-wg.de
Die Kaltmiete für die Wohnung beträgt 2065 Euro monatlich. Das ganze Projekt kostet 534.000 Euro, wovon die Marketing GmbH mit 279.000 Euro den Löwenanteil trägt. "Wir können uns kein Stadtmarketing auf ,Big Brother'-Niveau leisten", sagte Marcel Schweitzer, Geschäftsführer beim Bund der Steuerzahler. "Die Hamburg-WG ist ein Fall fürs Schwarzbuch."
Auch die Politik kritisierte das bereits 2010 unter Schwarz-Grün beschlossene Projekt einhellig. "Wir müssen sparen und jeden Tag gucken, was wir nicht mehr machen", sagte SPD-Haushaltsexperte Jan Quast. "Vor dem Hintergrund kann man nicht 70 000 Euro pro Person ausgeben, um vier junge Leute umsonst wohnen zu lassen." Sein SPD-Kollege Andy Grote betonte, dass es in Ordnung sei, wenn private Firmen so ein Projekt starten. "Doch öffentliches Geld darf in derartige Aktionen nicht fließen." Andreas Wankum (CDU) sprach von einem "virtuellen Projekt, das an der realen Welt vorbeigeht". Er hätte Verständnis für einen Stopp. Den forderte Anjes Tjarks (GAL), der die Aktion "instinktlos" nannte.
Die Otto-Gruppe würde das Aus hingegen bedauern. "Wir haben in Hamburg Probleme, junge Fachkräfte zu gewinnen", sagte Otto-Sprecher Thomas Vogt dem Abendblatt. Die Idee der Marketing GmbH habe ihm daher gut gefallen, sie sei "pfiffig und zielgruppenadäquat". Ein Stopp des Projekts würde allen Beteiligten schaden, sagte Vogt, der auch den Arbeitskreis Kommunikation der Handelskammer leitet. Er forderte von der Politik "Verlässlichkeit", sagte aber auch: "Wenn der neue Senat das Projekt nicht unterstützt, hat es keinen Sinn." Der Senat äußerte sich bislang nicht.