Matthias Körner ist Polizist aus Überzeugung. Doch die zunehmende Gewalt gegen Beamte macht ihm zu schaffen
Hamburg. Die Schicht neigt sich dem Ende entgegen. Bisher war es eine ruhige Sonnabendnacht auf dem Kiez. Gegen 4.30 Uhr werden die Polizisten dann zu einer Diskothek gerufen. Routine. Türsteher haben beobachtet, wie ein Mann seine Freundin geschlagen hat. Der 20-Jährige ist betrunken - und extrem aggressiv, als die Schutzleute eintreffen. "Was willst du von mir?", schreit er einen Polizisten an und bäumt sich mit Drohgebärden vor ihm auf. Der Mann - Typ Kampfsportler - wird in Gewahrsam genommen und zur Davidwache gebracht. Dort schlägt er ohne Vorwarnung einem Beamten mit der Faust ins Gesicht. Ein Kollege schnappt sich den Arm des Randalierers und drückt ihn zu Boden, weitere Polizisten legen ihm Handschellen an. Doch der 20-Jährige gibt keine Ruhe. Er verpasst einem der Schutzleute einen heftigen Tritt. Der Polizist wird am Oberschenkel getroffen, noch Tage später ist der Blutererguss tennisballgroß.
Es ist das erste Mal, dass Matthias Körner im Dienst Opfer einer Gewaltattacke wird. Und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Beileibe nicht. Jeden Tag werden in Hamburg im Durchschnitt drei Beamte angegriffen. "Hätte er meine Kniescheibe oder weiter oben getroffen, wäre das Ganze sicher ungünstiger ausgegangen", sagt der 26-jährige Polizeimeister, der vor einem halben Jahr seine Ausbildung beendet hat.
Dass ein Beamter in Uniform für viele Menschen keine Respektperson mehr ist, hat Matthias Körner in seiner kurzen Dienstzeit bei der Bereitschaftspolizei oft zu spüren bekommen. "Auf dem Kiez gehört es zum Alltag, beschimpft und bepöbelt zu werden", sagt Körner, der Mitglied der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) ist. Und wenn er mit dem Streifenwagen in der Stadt unterwegs sei, kämen Beleidigungen auch häufiger vor, als man denke. Es klingt wie eine Faustformel, als Körner sagt: "Je später der Abend, desto größer die Respektlosigkeit - nicht nur auf dem Kiez, das kann einen überall treffen."
"Du Hurensohn", "Verpiss dich", "Scheiß-Bulle". Verbale Attacken wie diese sind für den jungen Beamten Alltag. Nicht die einzigen Respektlosigkeiten. Da wird demonstrativ neben den Streifenwagen gepinkelt, da wird der Mittelfinger gezeigt, da wird den Beamten vor die Füße gespuckt. Emotional kalt lässt das den jungen Beamten nicht. "Ich bin ja keine Maschine." Aber in solchen Situationen müsse man Profi sein und sich unter Kontrolle haben, sagt er.
Werden die jungen Polizisten denn auf solche Situationen vorbereitet? "Natürlich", sagt Körner. Das spiele in der Ausbildung eine große Rolle. "Aber wie es sich anfühlt, wenn jemand vor einem steht, der einen hasserfüllt anblickt und beschimpft - das merkt man erst, wenn es wirklich passiert."
Wie bei einem Einsatz Anfang Juni. Als die Polizei das Gelände um das Elternhaus der 16-jährigen Thessa in Bramfeld absperren musste, weil die Schülerin per Facebook Hunderte Gäste zu ihrem Geburtstag eingeladen hatte. "Ich stand in einer Polizeikette, und ein Jugendlicher schrie uns mit den Worten 'Ihr kleinen Wichser, ihr kriegt mich eh nicht' an", erinnert sich Körner. Anschließend warfen zwei Heranwachsende Flaschen auf die Beamten. Die Polizisten stellten zwei Täter und bildeten einen Sicherheitskreis. "Plötzlich wurden wir von Menschen, die überhaupt nichts mit der Sache zu tun hatten, heftig bepöbelt und angeschrien." Die Schimpfwörter hat Körner längst vergessen. Aber die Wut und die Feindseligkeit in den Augen, daran kann er sich gut erinnern. "Warum sie einem mit purem Hass entgegentreten, das verstehe ich einfach nicht." Was er auch nur schwer begreifen kann, ist die Solidarisierung von Unbeteiligten - nicht mit den Polizisten, sondern mit den Tätern. Immer häufiger würden Beamte von Unbeteiligten gestört und beleidigt. "Bei Großeinsätzen scheint das ganz normal zu sein."
Körner nennt all das "wichtige Erfahrungen". Er erinnert sich an die Worte seines Ausbilders: "Er hat immer gesagt: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Das bewahrheitet sich jetzt." Zweieinhalb Jahre dauert die Lehrzeit der angehenden Polizisten. Im Einsatztraining hat Körner Techniken gelernt, wie man Angriffe im Keim erstickt, wie ein "Störer" ruhiggestellt werden kann. Immer und immer wieder. Er ist vertraut mit "Bewältigungstechniken", um in bestimmten Situationen beherrscht und besonnen zu bleiben. In Rollenspielen hat er mit seinen Kollegen geübt, wie man sich einem Angreifer gegenüber verhält, wie man mit ihm spricht. Nur eines kann sicher nicht trainiert werden. "Die Gefühle - die kann man eben nicht nachstellen", sagt Körner.
Dass es selbst bei einer Lappalie wie einer Ruhestörung eskalieren kann, hat Matthias Körner schon während seines Praktikums in seiner Ausbildung erlebt. In Niendorf beschwerte sich eine Frau über die laute Party ihres Nachbarn. "Hätte der junge Mann die Musik leiser gedreht, wären wir sofort wieder weg gewesen." Doch dem Mann schien es völlig gleichgültig zu sein, wer da klingelte. Er knallte den Beamten mit den Worten "Interessiert mich nicht, ihr kommt hier nicht rein" zunächst die Tür vor der Nase zu.
Als mehrere Beamte dem Mann in der Wohnung damit drohten, ihn in Gewahrsam zu nehmen, falls er die Feier nicht beenden sollte, versuchte ein Partygast, einen der Polizisten zu schlagen. Matthias Körner ging dazwischen, stieß den Mann zur Seite, der daraufhin an seiner Uniform zerrte. Die anschließende Gerichtsverhandlung war für den jungen Schutzmann ein Schlüsselerlebnis. "Der Mann, der erheblichen Widerstand geleistet hat und einen Polizisten schlagen wollte, hat eine Geldstrafe von 100 Euro bekommen." Alternativ sei ihm angeboten worden, die Strafe durch Sozialstunden abzuleisten.
"Bei Rot über die Ampel zu fahren, ist also teurer, als einen Polizisten anzugreifen", sagt Körner und schüttelt verständnislos den Kopf. "Wenn das das Maß der Dinge ist, lohnt es sich kaum, das Papier für die Anzeige zu beschreiben." Seit er 16 ist, war für Körner klar, dass er Polizist werden wolle. Bereut hat er es nicht. Trotz all der Vorkommnisse. Warum? "Ich glaube daran, das Richtige zu tun."