Das Abendblatt nennt die dringendsten Handlungsfelder der Hansestadt und gibt Olaf Scholz Aufgaben für die laufende Legislaturperiode.
Hamburg. Der neue Hamburger Senat steht. Damit fängt für die SPD-Regierung unter Bürgermeister Olaf Scholz die Arbeit aber erst richtig an. Und die wird für Senatoren und Staatsräte nicht leicht. Jede der zehn Behörden steht vor großen Herausforderungen. Diese gilt es, in den kommenden vier Jahren zu bewältigen. Der dramatische Sparzwang macht diese Aufgabe nicht einfacher. Olaf Scholz hat die Probleme im Wahlkampf nicht nur benannt, sondern auch versprochen, sie zu lösen - und damit hohe Erwartungen geweckt. Die wichtigsten Handlungsfelder:
Mehr Wohnungen
Kaum etwas braucht diese Stadt so dringend wie mehr bezahlbaren Wohnraum. 6000 neue Wohnungen pro Jahr sind die Forderungen von Experten, und nicht weniger hat sich Olaf Scholz vorgenommen. Dies umzusetzen, wird die große Herausforderung der Stadtentwicklungsbehörde (BSU) und der designierten Senatorin Jutta Blankau (SPD). Eine Herkulesaufgabe, an der schon die grüne Senatorin Anja Hajduk gescheitert ist. Und das Ganze wird nicht nur deshalb leichter gelingen, weil Wohnungsbaukoordinator Michael Sachs (SPD) als Staatsrat in die Behörde kommt. Das Problem: Die Behörde selbst baut keine Wohnungen. Sie kann nur vermitteln, Anreize schaffen. Schon über den Verkauf städtischer Grundstücke für den Wohnungsbau entscheidet nicht die BSU, sondern die Finanzbehörde. Die Bebauungspläne machen die Bezirke, Investoren bauen Wohnungen. Und dann protestieren meist noch Anwohner, die zwar mehr Wohnungen haben wollen - dies bitte aber nicht vor der eigenen Haustür. Es ist kein Wunder, dass sich Scholz für diese Aufgabe eine als besonders durchsetzungsstark bekannte Frau ausgesucht hat. Diese Fähigkeit, die sich Jutta Blankau zum Beispiel in Tarifverhandlungen angeeignet hat, wird sie brauchen.
Gratis-Kita
Dass die Erhöhung der Kita-Gebühren eine solche politische Sprengkraft entwickeln könnte, hatte der schwarz-grüne Senat komplett unterschätzt. Aber für viele Eltern ist der Griff ins Portemonnaie längst zur Grundsatzfrage über die Familienfreundlichkeit Hamburgs geworden. Die SPD ist auch dafür gewählt worden, dass sie die Kehrtwende verspricht: Die Grundbetreuung von fünf Stunden soll für alle Kita-Kinder schrittweise kostenlos werden. Außerdem will sie ein Sofortprogramm vorlegen, das die Gebührensteigerung kassiert und weitere strittige Punkte wie den Rechtsanspruch auf einen Hortplatz wieder auf das 14. Lebensjahr verlängert. Die Rücknahme der Gebührenerhöhung dürfte für den zukünftigen Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) nicht zum Problem werden. Es handelt sich um eine Verordnung, die ohne Bürgerschaftsbeschluss möglich ist. Anders sieht es mit der Gratis-Kita aus. Konkrete Vorstellungen, wie das bisherige Gutscheinsystem verändert werden soll, gibt es noch nicht. Das gilt auch für die Kosten für zusätzliche Stunden und die Frage, wie die Jugendämter das umsetzen können.
Autobrände eindämmen
Im vergangenen Jahr gingen knapp 300 Fahrzeuge in Flammen auf. Ein Problem, gegen das der schwarz-grüne Senat kaum etwas ausrichten konnte. Weder mit der nächtlichen Jagd per Hubschrauber, die in vielen Fällen die Anwohner aus dem Schlaf riss, noch mit der 200 Mann starken Soko "Florian" der Polizei, die nachts auf Streife ging - und mangels Erfolg schon Ende 2010 auf 20 Polizisten reduziert wurde. "Wenn wahllos Fahrzeuge angezündet werden, kommt die Polizei an ihre Grenzen", hatte Innensenator Heino Vahldieck (CDU) gesagt. Sein Nachfolger Michael Neumann (SPD) muss nun beweisen, dass er dieses Problem einzudämmen vermag. Die SPD wird es mit mehr Präsenz in den Polizeirevieren versuchen, 100 Polizisten, die bisher in zentralen Stäben arbeiten, sollen auf die Straße geschickt werden. Was bisher fehlt, ist ein konkretes Konzept.
Keine Stadtbahn, aber?
Der Stadtbahn hat Olaf Scholz eine klare Absage erteilt - zu teuer. Trotzdem muss der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden. Die steigenden Zahlen und die zu Stoßzeiten übervollen Busse sprechen eine deutliche Sprache. Wie aber soll der steigende Bedarf gedeckt werden, wie sollen die Großsiedlungen vernünftig angebunden werden? Dazu wird dem designierten Verkehrssenator Frank Horch (parteilos) mehr einfallen müssen als seine bisherigen Ankündigungen zum Wirtschaftsverkehr oder zur Hafenquerspange. Sein Problem: Mehr Busse sind verkehrstechnisch nicht sinnvoll, der U-Bahn-Ausbau extrem teuer. Nur wenn die Regierung eine sowohl wirtschaftlich tragbare als auch ökologisch sinnvolle Lösung für den Ausbau des ÖPNV findet, war die Absage an die Stadtbahn gerechtfertigt. Ein "wir lassen alles beim Alten" darf es nicht geben. Das wäre ein Misserfolg des Senats.
Sparen, sparen, sparen
Spätestens von 2020 an darf Hamburg keine neuen Schulden mehr machen, das ist eine gesetzliche Vorgabe an alle Bundesländer. Das heißt, schon jetzt muss der neue Senat damit beginnen, massiv zu sparen. Was für eine harte Nuss das ist, zeigt die Tatsache, dass die Schulden der Stadt allein in den vergangenen beiden Jahren von 22 auf 25 Milliarden Euro gestiegen sind, also um etwa 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Mit Peter Tschentscher (SPD) muss nun der härteste Kritiker der CDU-Finanzpolitiker beweisen, dass er es besser kann. Olaf Scholz hat ihm klare Vorgaben gemacht: Die Einnahmen sollen künftig stärker steigen als die Ausgaben.
Ohne Gebühren studieren
Eines der größten SPD-Wahlversprechen ist die Rücknahme der Studiengebühren innerhalb der kommenden vier Jahre. Die dafür benötigten 39 Millionen Euro sollen komplett über den Haushalt kompensiert werden, das hat die designierte Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) zugesichert. Daran wird sie sich - in Zeiten, in denen das Wort Sparen ganz oben auf der Agenda steht - messen lassen müssen. Vor allem, wenn zugleich die Studienbedingungen besser werden sollen.
Endlich Schulfrieden
Nach der heftigen Debatte um die Einführung der Primarschule ist wohl nirgendwo der Wunsch nach einem Schulfrieden so groß wie in Hamburg. Die SPD will sich daran halten, heißt: keine Veränderungen der Schulstrukturen in den nächsten zehn Jahren. Das muss der designierte Schulsenator Ties Rabe (SPD) jetzt umsetzen, auch wenn er die schwarz-grüne Schulreform grundsätzlich befürwortet hat. Die gesetzlichen Vorgaben dafür sind da, trotzdem muss er mit Begehrlichkeiten aus den eigenen Reihen rechnen. Für viele Sozialdemokraten gilt nach wie vor: Längeres gemeinsames Lernen verbessert die Bildungschancen für alle.
Mehr Geld für Museen
Nach den Protesten im vergangenen Herbst sind die Erwartungen an die designierte Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) hoch. Ihre Aufgabe: Die strukturell bedingte Unterfinanzierung der Hamburger Museumsstiftungen so zu beseitigen, wie es in den vergangenen Jahren versprochen wurde. Die Häuser brauchen wieder Planungsspielräume. Die Frage nach der Zukunftsperspektive des Altonaer Museums spielt bei der Verbesserung der Finanzlage ebenso eine Rolle wie ein tragfähiges Gesamtkonzept für die stadthistorischen Museen. Die Planungsmisere bei der Elbphilharmonie bleibt der Kulturchefin aus dem Altlastbestand erhalten. Nach den verheerenden Image-Schäden, die Vorgänger Reinhard Stuth (CDU) in seiner kurzen Amtszeit hinterlassen hat, wird Kisseler dafür sorgen müssen, das Vertrauen der Kulturschaffenden durch energisch demonstrierte Kompetenz zurückzugewinnen.
Jugendgewalt vorbeugen
Eines der wichtigsten Ziele im Kampf gegen Intensivtäter muss es sein, die Dauer der Strafprozesse zu verkürzen. Zuletzt dauerte ein Verfahren vor der Jugendkammer des Landgerichts Hamburg rund ein halbes Jahr. Für 14- bis 16-Jährige, die bereits straffällig geworden sind, hat der bisherige Senat mit "PriJus" ("Prioritäres Jugendstrafverfahren für junge Schwellentäter") ein Verfahren geschaffen, um die Strafe quasi auf dem Fuße folgen zu lassen und kriminelle Karrieren möglichst zu unterbinden. Das gilt aber nicht für Jugendliche, die schon Intensivtäter sind. Hier fehlt ein schlüssiges Konzept. Was zudem benötigt wird, sind Präventivmaßnahmen. Die SPD plant verbindliche Anti-Gewalt-Trainings bereits für auffällig gewordene Kinder unter 14 Jahren, wozu auch eine Durchsetzung des Schulbesuchs zählen soll. Die künftige Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) muss zeigen, dass diese Ideen Erfolge bringen - und ausreichen.
Problem Elbvertiefung
Schon vor der Wahl hat Olaf Scholz klar auf die umstrittene Elbvertiefung gesetzt. Nur: Planung und Genehmigung sind vor allem Sache des Bundes. Daher kommt es für Scholz darauf an, sich genügend Gehör auf dem Berliner Parkett zu verschaffen. Zumal dort mit Enak Ferlemann im Bundesverkehrsministerium ein CDU-Mann sitzt, in dessen Wahlkreis Cuxhaven der Widerstand gegen das Projekt groß ist. Politisches Geschick ist gefragt, um die von der Hafenwirtschaft geforderte Vertiefung zu erreichen. Und es ist auch hartes Verhandeln nötig, da sich das Nachbarland Niedersachsen noch immer gegen die Elbvertiefung sperrt - aber einen zügigen Anschluss seiner A 26 an Hamburg möchte. Bisher agierte der alte Senat in dieser Sache glücklos, der neue kann sich nun durch professionelles Geschick profilieren. Oder wie der der alte Senat Machtlosigkeit demonstrieren.