Hätte der Kandidat eine eigene Partei gegründet, wäre für die SPD eine Alleinregierung immer noch wesentlich wahrscheinlicher gewesen.
Hamburg. Dass Walter Scheuerl unter der Flagge der CDU in den Wahlkampf zieht, könnte nicht nur das Wahlergebnis der Christdemokraten beeinflussen. Auch die in Umfragen führende SPD muss mit Auswirkungen rechnen.
Warum das so ist, zeigt ein Beispiel, das der Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Psephos in Berlin, Hans-Jürgen Hoffmann, zeichnet: Angenommen, Walter Scheuerl, der Kopf der Volksinitiative gegen die Primarschule, wäre mit einer eigenen Partei zu den Neuwahlen angetreten, hätte es aber nicht über die Fünf-Prozent-Hürde und damit auch nicht in die Bürgerschaft geschafft. Und weiter angenommen, auch die FDP kommt nur auf drei bis vier Prozent, wie Umfragen voraussagen. Rechnet man dann noch vier Prozent für Splitterparteien hinzu, würden insgesamt zwölf Prozent der Stimmen auf Parteien entfallen, die es nicht in die Bürgerschaft schaffen. In diesem Fall wären für eine absolute Mehrheit einer Partei nur noch 44 Prozent der Stimmen notwendig. In der jüngsten Psephos-Umfrage lag die SPD bei 45 Prozent. Diese zwar mit vielen Variablen versehene, aber durchaus realistische Möglichkeit sei jetzt nicht mehr gegeben, so Hoffmann.
Der Meinungsforscher hält es für unwahrscheinlich, dass es jetzt noch für eine Alleinregierung der SPD reicht. Inwieweit die Kandidatur Scheuerls als Parteiloser auf der CDU-Liste sich auf deren Wahlergebnis auswirken wird, vermag der Experte noch nicht abzuschätzen. Die CDU könne zwar ihre konservative Klientel zurücklocken - die Anhänger einer liberaleren CDU unter Ole von Beust aber verschrecken. Denkbar sei, so Hoffmann, dass die GAL von Scheuerls Pakt mit der CDU profitiere. Dieser rechtfertige den Koalitionsbruch zusätzlich, was zumindest die Stammwähler stärker binden könnte.
SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz bleibt angesichts der neuen Rechenmodelle gelassen: "Niemand in Hamburg hat auf die Gründung einer neuen Partei gewartet. Deshalb hätte eine neu gegründete Partei vermutlich nicht den Einzug ins Parlament geschafft", sagte er dem Abendblatt. "Wir müssen unsere Strategie nicht ändern. Wir werben weiter um ein möglichst starkes Votum der Hamburger Wähler für die SPD."
Abgesehen von dem Traum aller Genossen von der absoluten Mehrheit hat Scholz bislang stets ein Bündnis mit den Grünen als Ziel ausgegeben. Unterstellungen seitens der CDU, Rot-Grün würde die vom Volk abgelehnte sechsjährige Primarschule doch noch einführen wollen, wies der SPD-Chef massiv zurück: "Schulstrukturreformen stehen die nächsten zehn Jahre nicht auf der Tagesordnung." Auch in der GAL gibt es angesichts der deutlichen Niederlage beim Volksentscheid nach Abendblatt-Informationen keine Neigung, das Thema in der nächsten Wahlperiode erneut auf die Tagesordnung zu bringen.
Dennoch ist die CDU erkennbar bemüht, die Primarschule zum Wahlkampfthema zu machen. "Wer die Primarschule durch die Hintertür will, muss GAL wählen", hatte Scheuerl am Donnerstag bei einem Auftritt mit Bürgermeister Christoph Ahlhaus und CDU-Chef Frank Schira gesagt. Auch Schira sprach davon, dass die Primarschule bei GAL, SPD und Linken "immer noch im Kopf" spuke.
Alles Quatsch, sagte Scholz und verwies auf den "zehnjährigen Schulfrieden", der im März von SPD, CDU und GAL unterzeichnet wurde. "Der gilt ohne Abweichung." Das bedeute, dass es die vierjährige Grundschule und als weiterführende Schulen das Gymnasium und die Stadtteilschule gebe. "Jetzt geht es nur noch darum, die Qualität des Unterrichts ständig zu verbessern."