Am Mittag wurde die “Nordic“ in Hamburg in Dienst gestellt. Das Schiff ist mit 23.000 PS der modernste Notfall-Schlepper der Welt.

Hamburg. Der neue Notschlepper für die deutsche Nordseeküste ist am Mittag in Hamburg getauft worden. Als Taufpatin agierte Susanne Ramsauer, die Ehefrau von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU). Das in der Wolgaster Peene-Werft gebaute Spezialschiff „Nordic“ wird laut Ministerium ab 1. Januar 2011 den Hochseeschlepper „Oceanic“ ablösen, der nach 42 Dienstjahren ausgemustert wird. Bei der „Nordic“, die zunächst für zehn Jahre in den Dienst der Arbeitsgemeinschaft Küstenschutz gestellt werden soll, handelt es sich den Angaben zufolge um den leistungsstärksten Not-Schlepper Deutschlands. Die „Oceanic“ war 1969 vom Stapel gelaufen.

Mit einem Pfahlzug von 200 Tonnen kann die 78 Meter lange „Nordic“ eine fast doppelt so große Zugleistung wie der erst im September auf der Ostsee in Dienst gestellte Seenotschlepper „Baltic“ entwickeln und ist damit nach Werft-Angaben der weltweit modernste Schlepper. Das Schiff kann in Notfällen auch die größten zurzeit in Fahrt befindlichen Containerschiffe auf den Haken nehmen und an einen sicheren Ort bringen. Das bis zu 19,6 Knoten (36,1 Kilometer pro Stunde) schnelle Einsatzschiff kann als weltweit erster Notschlepper auch in gefährlichem Umfeld operieren, etwa wenn aus einem havariertem Frachter giftige oder explosive Stoffe ausgetreten sind.

Lesen Sie dazu auch den großen Abendblatt-Bericht:

Die stärkste Hamburgerin

In den Gängen riecht es nach frischem Lack und nach Diesel. Carsten Wibel eilt die schmale Treppe von der Brücke herunter, vorbei an der Mannschaftsmesse zum Heck des mächtigen Schleppers. Zwei riesige Trommeln sind dort im Windenraum eingebaut, beindicke Stahltrossen sind drauf zu sehen. Hier will der 49-Jährige zeigen, warum das Schiff im Hafen bereits den Spitznamen "Die stärkste Hamburgerin" trägt. 200 Tonnen Pfahlzug schafft die Anlage - ein solches Gewicht könnte die Trommel vom Boden anheben. Vergleichbar stark sind nur noch drei andere Notfall-Schlepper auf der Welt. "Mit dieser Kraft können wir auch einen großen, voll beladenen Tanker im Sturm halten, wenn der auf die Küste zutreiben sollte", sagt Wibel. Und für genau solche Schiffskatastrophen wurde die "Nordic" konstruiert, die derzeit an der Hamburger Überseebrücke liegt. Heute wird der Neubau hier von Susanne Ramsauer, Frau des Bundesverkehrsministers, getauft. Am 1. Januar soll die "Nordic" ihren Dienst im Auftrag der Bundesregierung in der Nordsee aufnehmen.

Gebaut wurde das 78 Meter lange Schiff auf der Peene-Werft in Wolgast. "Die meiste Technik hier stammt von deutschen Firmen", sagt Wibel. Bei der Hamburger Bugsier-Reederei ist es der Buchholzer "Projektleiter Küstenschutz", vieles an der "Nordic" hat er mitkonzipiert. Bugsier betreibt den etwa 50 Millionen Euro teuren Schlepper, der Bund wird ihn ab nächstem Jahr für zehn Jahre fest chartern.

Auf ihrer Position bei Norderney soll die "Nordic" die deutsche Nordseeküste schützen. Nach der Erfahrung mit mehreren europäischen Schiffskatastrophen und ölverseuchten Stränden hatten die deutschen Küstenländer in den 90er-Jahren ein neues Schutzsystem gefordert, bei dem besonders starke und spezielle Notfall-Schlepper quasi als eine Art Feuerwehr jederzeit einsatzklar sein müssen. Schwere Notfälle vor der Küste wollte man nicht mehr allein dem freien Markt überlassen. Zu groß erschien die Gefahr, dass einmal ein Schlepper nicht rechtzeitig zur Stelle sein kann, weil woanders auf der Welt gerade ein lukrativerer Auftrag wartet.

1996 charterte die Bundesregierung daher fest als Notfall-Schlepper den großen Bugsier-Schlepper "Oceanic", den die "Nordic" nun ablöst. Die legendäre "Oceanic" geht zunächst an die Pier nach Bremerhaven und soll verkauft werden. "Es gibt da bereits Interessenten, die sie zu einer Luxusyacht umbauen wollen", sagt Wibel.

Die "Nordic" sei nun speziell für den Notfall-Einsatz gebaut worden. "Es musste ein guter Kompromiss aus vielen Anforderungen werden", sagt "Nordic"-Chefingenieur Robert Nüss. Mit nur sechs Meter Tiefgang kann sie auch in den flachen Tidengewässern der Nordsee operieren. Gleichzeitig soll der Schlepper besonders seetüchtig sein. Laut dröhnen die Generatoren, als der hochgewachsene 40-jährige Ingenieur durch den Maschinenraum führt. Warm wie an einem Sonnentag im Hochsommer ist es hier.

Zwei MTU-Motoren mit je 11.500 PS arbeiten dort unten im Schiff, sie können den Schlepper auf fast 20 Knoten Fahrtgeschwindigkeit treiben. Schnelligkeit war eine der vorrangigen Anforderungen an den neuen Schlepper. Und das auch bei schwerem Wetter. Der Bug ist so konstruiert, dass bei voller Fahrt Wellen nicht so geschnitten werden, dass die Wassermassen bei Sturm bis zu den Brückenfenstern hochschlagen könnten: "Wenn die Möwen zu Fuß gehen, müssen wir immer noch mit hohem Tempo fahren können", sagt Wibel. Und die "Nordic" hat eine technische Ausrüstung, die sie weltweit einzigartig als Schlepper macht. Bugsier und die Drägerwerke entwickelten eine Art luftdichte Schutz-Zitadelle. Mindestens acht Stunden kann das Schiff völlig von der Außenluft unabhängig ein havariertes Schiff ziehen - auch wenn es brennt, Rauch oder giftige Gase austreten.

16 Mann arbeiten und wohnen auf der "Nordic". 28 Tage lang bleiben sie auf der Seeposition, warten auf einen Notruf oder begleiten große Tanker durch das gefährliche Küstengewässer. Dann geht es zur Ablösung nach Cuxhaven. Und die nächste Crew wacht draußen auf See 28 Tage lang auf ein Unglück, das eigentlich nie geschehen soll.

Besichtigung: Gegen 11.30 Uhr soll die eigentliche Taufe beginnen, anschließend wird die "Nordic" mit Gästen eine Runde auf der Elbe drehen. Von 15 bis 18 Uhr haben dann alle interessierten Hamburger Gelegenheít, das Schiff zu besichtigen.