Der 44-Jährige gebürtige Friese trägt auch den Beinamen “der Bundesbäcker“. Bei Gaues gibt es nur Handarbeit ohne irgendwelche Zusatzstoffe.
Hoheluft. Nackt hat er sich nicht gefühlt. Er habe schließlich ein weißes Unterhemd getragen. Beim Sommerfest auf Schloss Bellevue, mit 5000 Promis in Abendkleid und Anzug. "Ey Alter, was haben die mich schräg angeguckt", poltert Jochen Gaues kumpelhaft. Bis "die Bettina", treue Kundin aus Hannover und der Öffentlichkeit besser bekannt als First Lady, an seinen Stand getreten sei. "Jochen, ich bin ein großer Fan von dir. Und von deinem Brot natürlich auch", soll Frau Wulff gelobt haben. Das habe ihm für den Rest des Abends nur noch bewundernde Blicke eingebracht. Seitens der Gäste. Und einen "Pferdekuss", einen liebevollen Tritt gegen's Schienbein. Seitens seiner Gattin Betty.
Jochen Gaues, 44, Beiname: "der Bundesbäcker", ist niemand, der sich verstellt. Schon gar nicht in der Backstube. Ja, sein Weizenbaguette sei ungleich grobporig. "Klar, kannst du auch mit einem Traktor Tempo 210 fahren, aber dann ist das Ding frisiert." Was so viel heißen soll wie: Bei Gaues gibt es Handarbeit ohne irgendwelche Zusatzstoffe. Und ja, sein Brot sei sehr dunkel. Aber keineswegs verbrannt, wie konkurrierende Kollegen zuweilen unken. "Die haben wohl noch nix von Röstbitterstoffen gehört! Die bringen den kräftigen Geschmack", sagt der ebenfalls kräftige Typ mit dem wasserstoffblonden Stoppelhaar. Wer die Kruste nicht möge, könne sie ja wegschneiden. Basta.
Offensichtlich mögen ziemlich viele die Backwaren des gebürtigen Friesen. Von den bundesweit neun Restaurants, die der Michelin mit jeweils drei Sternen ausgezeichnet hat, beliefert Gaues vier. Auch die Hamburger Starköche Poletto, Mälzer und Güngörmüs zählen zu seinen Kunden. In Hannover hat er drei Filialen - und heute eröffnet er feierlich seinen 140 Quadratmeter großen Laden an der Hoheluftchaussee, wo sich allein auf 400 Metern schon sechs Bäckereien drängen. "Gut, aber mich gibt es erst jetzt."
Die Konkurrenz, und das sind nach Angaben der Innung hamburgweit 60 Handwerksbäcker mit insgesamt 450 Verkaufsstellen, fürchtet Gaues nicht. "Wenn du Freude am Beruf hast, dann kommt auch der Erfolg." Schon als kleiner Junge habe er nur Backstuben gemalt - so lange, bis Vater Jürgen, Diplom-Chemiker am Wilhelmshavener Max-Planck-Institut, und Mutter Ruthgunde, eine Medizinisch-Technische Assistentin, ihr Kind zum Psychologen schleppten. "Ey, beide Akademiker. Die haben doch gedacht: Mit dem Jungen stimmt was nicht." Doch der Junge machte später eine Bäckerlehre, räumte eine Goldmedaille nach der anderen ab und galt bereits Mitte der 90er-Jahre als "bester Bäcker Deutschlands".
Zu den besten Bäckern Hamburgs zählen vor allem die, die nach "eigenen, oft über Generationen weitergegebenen Rezepten" backen, wie Heinz Essel, Geschäftsführer der Bäckerinnung Hamburg sagt. "Die Produkte werden in der eigenen Backstube hergestellt." Wie bei Tjark Meyer in der Kleinen Konditorei. Täglich kaufen mehr als 3000 Kunden in den beiden Eimsbütteler Läden, vor denen sich sonntags lange Warteschlangen bilden. "Natürlich gibt es Betriebe, die am Tag 35 000 Brötchen raushauen. Bei uns wird dagegen nur der Teig maschinell geknetet, alles andere machen unsere 100 Mitarbeiter von Hand." Mehr Maschinen brächten mehr Profit - aber auch ein Problem: "Man wird austauschbar. Und wir verkaufen so viele Eimsbuscher und Karotten-Brötchen, weil sie geschmacklich hervorstechen."
Jochen Gaues hat sieben verschiedene Teigsorten im Angebot. "Früher hatte ich mal 35 - daran verreckt man." Ist dem Vater von acht Kindern, dessen Söhne Christian, 17, und Jochen jr., 4, nach derzeitigem Bekunden auch gern das Bäckerhandwerk lernen wollen, schon passiert. 2002 ging sein erstes Unternehmen pleite und seine erste Ehe kaputt. "Da hätte ich nicht gedacht, dass ich aus dem Loch noch mal hochkomme." Und auch nicht, dass Queen Elizabeth II. und König Juan Carlos I. mal seine Brötchen verzehren sollten.
Doch es gibt auch Kritik an Gaues. Angeblich mangele es an der Hygiene in der Backstube. "Da geht es sehr speziell zu, berichten meine Kollegen", sagt Peter Becker, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks. Gaues winkt ab. Er spricht lieber über sein sieben Kilogramm schweres Ochsenbrot, seine Spezialität. Und, nicht ganz so gern, über Franzbrötchen. "Die Dinger habe ich nicht, weil ich sie nicht hinkriege. Meine sehen platt aus."