Heinrich-Hertz-Schule kämpft um Bleiberecht einer armenischen Familie, die in Hamburg gut integriert, aber seit 13 Jahren nur geduldet ist.
Winterhude. Wenn Fingernägel etwas über den Gemütszustand aussagen würden, wäre Melania Sarkissian sorgenfrei. Sie trägt diesen grellen roten Nagellack, den gerade sehr viele junge Frauen tragen. Akkurat zurechtgefeilt, wirkt das sehr optimistisch. Wie Melania überhaupt sehr optimistisch wirkt. Dabei hätte die 17-Jährige allen Grund, an ihren lackierten Nägeln nervös zu kauen, das Lächeln vor Sorge zu vergessen. Für sie und ihre Familie bricht gerade eine Welt zusammen. "Ich habe große Angst", sagt sie.
Seit 13 Jahren lebt die junge Frau als geduldete Ausländerin in Hamburg. 1999 reiste sie mit ihrer Familie über Moskau nach Deutschland ein. Sie gilt als bestens integriert, obwohl sie mit Mutter Armine, Bruder Edik und Schwester Anna lange unter schwierigen Bedingungen in einem Asylbewerberheim hauste. Doch die Schule gab ihr Halt. Nach dem Realschulabschluss arbeitet sie nun, in ihrem elften Schuljahr in Hamburg, an der Heinrich-Hertz-Schule auf das Abitur hin. Auch ihre Schwester Anna, 11, hat dort Großes vor. Zumal die Familie im vergangenen Jahr endlich in eine Zweizimmerwohnung ziehen konnte und alles nach dem Aufbruch in ein besseres Leben aussah.
+++ Die Rechtslage im Fall Melania +++
Doch jetzt soll die Familie abgeschoben werden. In ein Land, das Melania und ihre Schwester Anna nie gesehen haben, dessen Sprache sie nicht sprechen, aber aus dem ihre Mutter stammt. Sie sollen nach Armenien.
Die Schule von Melania und Anna will sich aber nicht mit der Abschiebung abfinden. Schulleitung und Schüler der Heinrich-Hertz-Schule setzen sich für die Familie ein. Sie sammelten Geld, demonstrierten und reichten eine Petition beim Eingabeausschuss der Bürgerschaft ein. Darin heißt es: "Wir bitten um den Verbleib und ein Aufenthaltsrecht für unsere Schülerinnen Anna und Melania." Die Familie sei in Hamburg integriert, beide Mädchen verhielten sich vorbildlich, und Melania sei mit dem Erreichen der gymnasialen Oberstufe eine außerordentliche Leistung gelungen. Aber nun werde "ihr schulischer Erfolg durch die angekündigte Maßnahme massiv bedroht", das angestrebte Abitur ist gefährdet. In zwei Wochen will der Eingabeausschuss die Sache verhandeln.
Die Ausländerbehörde rechtfertigt die geplante Abschiebung damit, dass die Familie illegal eingereist sei. Sie sei nur geduldet gewesen. Zudem hat die Familie im Januar aus Angst vor der drohenden Abschiebung Asyl beantragt. "Ein großer Fehler", wie ihr jetziger Anwalt Stefan Knief sagt. "Eigentlich hätte erst die Härtefallkommission eingeschaltet werden müssen." Denn mit dem Asylantrag sei die Familie in die Quotenregelung der Länder gelangt. Nun können sie nach einem Verteilungsschlüssel im Bundesgebiet herumgereicht werden.
Formal sei aktuell Nordrhein-Westfalen zuständig. Bruder Edik sitzt schon in einem Lager in Bielefeld. Diesem Prinzip folgend, stellte Hamburg im März die Zahlungen für die Familie ein. Der Druck wurde erhöht. "Doch wir gehen nicht, auch wenn ich jede Nacht fürchte, dass wir abgeholt werden", sagt Melania. Ihrer Mutter Armine gehe es mit der Situation zunehmend schlechter. "Wir wollen hierbleiben", sagt die 42-Jährige.
In Bielefeld, wo die Familie auf ihre Abschiebung warten soll, wäre ein Schulabschluss der Mädchen kaum möglich. Melanias Klassenlehrerin Silja Augustin sagt, sie verstünde nicht, warum Melania und ihre Familie abgeschoben werden sollen. "Melania ist eine integrierte Schülerin und hilft inzwischen sogar Neuankömmlingen, sich einzufinden. Eine Stadt wie Hamburg sollte jemanden wie sie tragen können." Die Beurteilungen sind durchweg gut. Karin Pilnitz, Abteilungsleiterin der Schule: "Melania besitzt großes soziales Verständnis und ist Teil dieser Schule. Sie und ihre Familie haben eine Chance verdient." Die Schule, an der auch Helmut und Loki Schmidt ihr Rüstzeug fürs Leben erhielten, hat den Standpunkt: Hamburg besitze auch eine moralische Verpflichtung den Mädchen gegenüber.
Rechtlich scheint der Fall indes eindeutig, wobei Stefan Knief, der Anwalt der Familie, versucht, die Ausländerbehörde zum Einlenken zu bewegen. Die Familie werde für einen juristischen Fehler, den vorschnell gestellten Asylantrag, bestraft. Deshalb plädiert er nun für ein Aufenthaltsrecht nach Paragraf 25a des Aufenthaltsgesetzes, der gut integrierten, geduldeten ausländischen Jugendlichen eine Perspektive bieten soll: In Deutschland darf bleiben, wer u. a. älter als 15 Jahre ist und mehr als sechs Jahre eine hiesige Schule besucht hat. "Voraussetzungen, die Melania erfüllt und an denen die Familie partizipieren kann", so Knief. Besonders die Schwester Anna, in Hamburg geboren.
+++ Mamadou: In Hamburg angekommen - doch die Abschiebung droht +++
"Eine moderne Wissensgesellschaft sollte sich keine Minderheiten ohne jede Perspektive leisten, sondern Bildungserfolge belohnen", schrieb Olaf Scholz 2009 als Gastautor in der "Frankfurter Rundschau". Wer in Deutschland einen Schulabschluss gemacht hat, solle aus dem Status der Duldung entlassen werden und eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Erst im November startete Scholz eine Ein-'bürgerungsinitiative. Zitat: "Wer hier schon länger lebt und die Voraussetzungen erfüllt, sollte auch deutscher Staatsbürger werden, weil nur dann alle Möglichkeiten der Teilhabe bestehen."
Melania und ihre Familie wünschen sich genau diese Teilhabe. Der Traum der 17-Jährigen ist es, hier Krankenschwester werden zu können.