Für ein Ehepaar endete ein Rundflug in einem Wasserflugzeug am 22. August 2009 tödlich. Hatte der Angeklagte Warnsignale übersehen?
Neustadt. Besucher des U-Boot-Museums am Fischmarkt winkten der Cessna fröhlich zu, die vor der Kulisse eines malerischen blauen Himmels Kurve um Kurve über dem Hafen flog und dabei immer tiefer sank. Einige wunderten sich, warum das Fahrwerk des Wasserflugzeugs - so kurz vor der Landung im Baakenhafen - noch ausgefahren war.
Plötzlich überschlug sich das Flugzeug, eine riesige Fontäne schoss in die Höhe, dann trieb es kopfüber auf dem Wasser. Der Pilot, der sich aus der Maschine retten konnte, tauchte wieder und wieder nach den in der Kabine eingeschlossenen Passagieren, einem Ehepaar aus der Nähe von Ganderkesee bei Bremen - vergebens. Als Feuerwehrtaucher eine halbe Stunde darauf den 57-jährigen Mann und seine 52-jährige Frau bergen konnten, war es bereits zu spät: Die Eheleute verstarben im Krankenhaus, sie waren ertrunken.
Nikolaj Graf von W., 44, ist ein akkurat gekleideter Mann mit goldenen Manschettenknöpfen am Ärmel, eine Art Bilderbuch-Pilot. Seit Freitag muss er sich vor dem Amtsgericht wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Weil er vergessen habe, das Fahrwerk der Cessna 206 an jenem 22. August 2009 einzufahren, so die Staatsanwaltschaft, trage er die Schuld an dem tödlichen Unfall. Nikolaj von W. bestreitet das, lautet doch der Tenor der Verteidigung vielmehr: Versagt habe nicht der Angeklagte, versagt habe allein die Technik.
+++ Wasserflugzeug verunglückt im Hamburger Hafen +++
+++ Experten-Urteil: Es waren Fehler des Piloten +++
+++ Verunglücktes Wasserflugzeug: Pilot vor Gericht +++
Der 22. August 2009 ist ein schöner Sommertag. Das Ehepaar aus Ganderkesee freut sich auf den Rundflug über der Elbe, vor dem Abflug an der Station des Veranstalters Clipper Aviation gibt es einen Prosecco und die üblichen Sicherheitsbelehrungen. Die Cessna hebt gegen 12.30 Uhr ab, landet kurz darauf für einen Tankstopp auf dem Flughafen Fuhlsbüttel. Alles läuft nach Plan.
Vielleicht setzte dort ein Malheur die Ereignisse, die in der Tragödie mündeten, in Gang, so die Verteidigung. Möglich, dass die beiden Passagiere beim Aus- oder Einsteigen in Fuhlsbüttel einen Hebel touchierten und so das mechanische Sicherheitssystem außer Kraft setzten. Jenes System, das die Position des Fahrwerks durch einen Schwimmer anzeigt. Denkbar auch, dass das akustische Warnsystem den Piloten nicht auf die ausgefahrenen Räder hingewiesen habe. Die Maschine habe, nachdem sie um 12.45 Uhr erneut gestartet war, auf der kurzen Distanz bis zum Hafen vermutlich nicht die nötige Geschwindigkeit zum Auslösen des akustischen Alarms erreicht.
Jeweils vier Kontrollleuchten zeigen zudem an, ob das Fahrwerk ein- oder ausgefahren ist. Vier grüne bedeuten: Räder draußen, vier blaue: Räder drin. "Ich habe die durch die Kontrolllampen angezeigte Position des Fahrwerks als korrekt wahrgenommen", heißt es in der Erklärung des Angeklagten. "Und der Schwimmer stand in der Wasserlandungs-Position." Er habe gar keinen Fehler erkennen können.
Um 12.53 Uhr setzt der Flieger mit 55 Knoten auf dem Wasser auf. Die Räder wirken wie Bremsklötze, die Cessna schießt in die Luft, dreht sich und drückt dann die Insassen unter Wasser. Sofort dringt Wasser in die Kabine ein, Nikolaj von W. kann sich befreien, taucht aber gleich wieder nach seinen Passagieren. Als sein Verteidiger schildert, wie sein Mandant verzweifelt versucht, die Fluggäste zu retten, wie er ein ums andere Mal ins trübe Wasser hinabstößt, wie er kaum etwas sieht, kaum Luft kriegt und nur für einen kurzen Moment einmal ein Bein zu fassen bekommt, bricht der Angeklagte vor Gericht in Tränen aus. Bevor die Feuerwehrtaucher eintreffen, springt auch noch ein Zeuge, der Schlosser Jörg E., 38, ins kühle Hafenwasser. Vergeblich. Drei inzwischen angerückte Polizisten hören, wie Nikolaj von W. jammert: "Das ist alles meine Schuld, ich habe vergessen, das Fahrwerk einzufahren." So erzählen es die drei Beamten übereinstimmend vor Gericht. Als Beweismittel dürfen ihre Aussagen vermutlich nicht verwendet werden - weil sie den Mann in dieser Extremsituation nicht über seine Rechte belehrt hatten.
Zwei Hinterbliebene des Ehepaares treten als Nebenklägerinnen in dem Verfahren auf. Für sie und die anderen Angehörigen der Verstorbenen verliest der Verteidiger einen Brief des Angeklagten vom Herbst 2010. "Der 22. August 2009 ist der traurigste Moment, den ich in meinem Leben erfahren musste", heißt es darin. Die Zeilen sind als Ausdruck des Bedauerns gemeint - nicht als Schuldeingeständnis.
Ein Bericht der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung belastet den 44-Jährigen jedoch schwer. Demnach sei er zwar mit 7100 Flugstunden ein erfahrener Pilot, allerdings sei er gerade mal 34 Stunden mit Wasserflugzeugen geflogen und habe nur 73 Wasserlandungen absolviert. Der Pilot sei vermutlich überlastet gewesen - abgelenkt durch Gespräche mit den Passagieren und dem gleichzeitigen Kontakt mit zwei Funktowern, heißt es in dem 17-seitigen Bericht. Der Verfasser soll am nächsten Verhandlungstag (16. Januar) zu dem Bericht Stellung nehmen, ein Sachverständiger außerdem zur Frage der Haftung. Dessen Ablehnung aus Befangenheit hatte Verteidiger Wolfram Maschke erfolglos beantragt.
Für Nikolaj von W. steht vor allem seine berufliche Zukunft auf dem Spiel. Seine Fluglizenz ist in Deutschland nicht verlängert worden. Ob er hierzulande jemals wieder wird abheben dürfen, hängt entscheidend vom Ausgang des Strafverfahrens ab. Aktuell versucht der Familienvater, sich mit Freelancer-Jobs im Ausland durchzuschlagen. Zuletzt flog er für eine Firma in Sierra Leone. Das Geld dafür habe er bis heute nicht erhalten.