Urteil stärkt die Rechte homosexueller Ehepaare. Doch der Weg zu echter Gleichberechtigung sei noch weit, erzählt ein schwules Paar.
Hamburg. Für eine Stadt wie Hamburg, die sich gern als liberale und weltoffene Metropole präsentiere, sei das aktuelle Urteil des Europäischen Gerichtshofs eine klatschende Backpfeife. "Wir leben im Jahr 2011, hier wurden bundesweit die ersten gleichgeschlechtlichen Ehen geschlossen. Und trotzdem muss ein europäisches Gericht der Stadt sagen, dass sie einen homosexuellen Mitarbeiter nicht diskriminieren oder finanziell schlechter stellen darf. Das ist doch wirklich bedauerlich", sagt Lutz Johannsen. Als der 50-Jährige noch Lutz Kretschmann hieß, war er der erste Bürgerschaftsabgeordnete, der sich offen zu seiner Homosexualität bekannte. Im Jahr 2004 heiratete der Sozialdemokrat seinen heutigen Mann, Uwe Richard Johannsen.
Hamburg, in Deutschland neben Berlin und Köln eine Hochburg der Schwulenbewegung, gilt als Vorbild für die Gleichberechtigung von Homosexuellen. Eigentlich. Denn jetzt wurde eben genau diese Stadt vom Europäischen Gerichtshof für ihre diskriminierende Haltung gegenüber einem Mitarbeiter zurechtgestutzt. Bei der Berechnung der betrieblichen Zusatzversorgung dürfe nicht zwischen heterosexuellen Ehen und eingetragenen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften unterschieden werden, urteilten die Luxemburger Richter.
Hintergrund ist, dass ein schwuler Angestellter der Stadt 1990 nach 40 Jahren wegen Erwerbsunfähigkeit ausgeschieden war und geklagt hatte, weil ihm eine monatlich um 302 Euro höhere Zusatzversorgung verwehrt blieb. Obwohl er 2001 eine Homo-Ehe einging, lehnte die Stadt sein Ansinnen, in Steuerklasse III eingeordnet zu werden, mit der Begründung ab, das sei nur heterosexuellen Ehen vorbehalten. Darin sah der Gerichtshof eine "unzulässige Diskriminierung". Die Stadt sieht sich nun gezwungen, sich ohne Berufungsmöglichkeit an das Urteil zu halten. "Das ist ein ganz wichtiger Schritt für die juristische Gleichberechtigung homosexueller Paare", sagt Lutz Johannsen. Selbst wenn es vorerst nur öffentliche Arbeitgeber betreffe - Johannsen selbst ist Einkaufsleiter, sein Mann selbstständig - sei das Urteil wegweisend. Denn mitnichten seien Ehen von Schwulen und "Heteros" gleichgestellt. "Die Ungerechtigkeit geht doch schon bei der Steuerklasse los", sagt Uwe Richard Johannsen. "Während bei üblichen Ehen die Steuervergünstigung mit der unlogischen Begründung in Kraft tritt, dass die Ehe zum Zweck des Kinderkriegens geschlossen wurde und damit eine finanzielle Entlastung des Paares sinnvoll ist, haben schwule und lesbisch lebende Paare Steuerklasse I." Nach dieser Herleitung müssten auch unverheiratete heterosexuelle Paare mit Kindern steuerlich begünstigt oder Ehen ohne Kinder davon ausgenommen werden. Werden sie aber nicht. Als schwules Ehepaar habe man zwar grundsätzlich die gleichen Pflichten, aber eben nicht die gleichen Rechte wie heterosexuelle Partner.
Die Ungleichheit gehe beim Adoptionsrecht fort. "Dabei belegen Studien, dass schwul-lesbisch lebende Partner nicht schlechter erziehen und als Eltern genauso geeignet sind wie heterosexuelle Paare." Für das Paar aus St. Georg, das seit 19 Jahren zusammen ist, kommen Kinder zwar nicht mehr infrage. "Aber dieser Punkt ist ein weiteres Indiz dafür, dass noch sehr viel bei der Gleichstellung passieren muss." Auch bei homosexuellen Ehen sei es schließlich so, dass man sich zum gegenseitigen Unterhalt verpflichte.
Für Hamburg sei das Urteil indes auch eine Chance, gestärkt aus der Entscheidung hervorzugehen und eine Bundesratsinitiative anzustreben. Immerhin habe sich der Senat - ob rot, schwarz oder grün besetzt - in der Vergangenheit sehr für Homosexuelle und die Stärkung ihrer Rechte eingesetzt. "Umso ärgerlicher ist, dass dieser Präzedenzfall jetzt Hamburg betrifft", sagt Lutz Johannsen, der sich bei der Aids-Hilfe engagiert und im Bürgerverein St. Georg tätig war. "Es zählen die Menschen, nicht die Paragrafen."
"Trotz spürbarer Widerstände aus dem konservativen Lager wird Hamburg seiner Vorbildfunktion für die Gleichstellung von Schwulen prinzipiell gerecht", findet Lutz Johannsen. Im Straßenbild bestätigten Ausnahmen zwar die Regel, längst nicht überall könne man sich "händchenhaltend und knutschend" zeigen. Doch nicht erst seit sich Ex-Bürgermeister Ole von Beust (CDU) zu seiner Homosexualität bekennt, sei Hamburg der "schwulen Normalität" nähergekommen.