Bürgermeister Scholz schlug bei der Mai-Kundgebung der Gewerkschaften scharfe Kritik entgegen
Hamburg. Hat da einer mitgedacht? Oder war es nur ein merkwürdiger Zufall? Zum Auftakt der Mai-Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) plärrte gestern am Besenbinderhof ein Hit der Hamburger Band Die Sterne aus den Boxen: "Was hat dich bloß so ruiniert?" Die Frage muss sich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der an der Kundgebung teilnahm, dieser Tage vermutlich oft anhören - zum Beispiel, wenn er den Gewerkschaften erklärt, dass die Stadt den Tarifabschluss für Beamte nicht in voller Höhe übernehmen kann und ihnen künftig noch weniger Weihnachtsgeld zahlen wird.
Daher dürfte es Scholz - leger in Jeans und kurzärmeligem Hemd mit roter Nelke - gestern besonders wichtig gewesen sein, Solidarität zu demonstrieren. "Es geht am 1. Mai um Arbeit und um die Würde der Arbeit. Wer arbeitet, muss von seiner Arbeit leben können", sagte er am Rande der Kundgebung, an der auch Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeld, Bausenatorin Jutta Blankau und Sozialsenator Detlef Scheele (alle SPD) teilnahmen. "Jetzt geht es darum, auch in Deutschland einen flächendeckenden Mindestlohn einzuführen", sagte Scholz. Das sei "wirklich dringend" angesichts der neuen Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus Ost- und Mitteleuropa. Damit war er sich mit den Gewerkschaftsführern wie dem Bundesvorsitzenden der IG Bau, Klaus Wiesehügel, einig. "Wir werden erleben, dass die Arbeitgeber versuchen, Leiharbeiter aus Osteuropa zu Dumpinglöhnen zu beschäftigen", prophezeite dieser vor 4500 Menschen vor dem Museum der Arbeit in Barmbek und warnte vor einer massiven "Ausweitung ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse in Deutschland".
Ob und wie gut man in Hamburg von seiner Arbeit leben kann, sehen die Gewerkschaften ohnehin äußerst kritisch. "Von den Staatsbediensteten wird immer mehr Leistung bei noch mehr Verantwortung und noch mehr Arbeit verlangt", kritisierte DGB-Chef Uwe Grund. "Wer den Kolleginnen und Kollegen nicht nur die schmale Tariferhöhung verweigert, sondern auch noch das Weihnachtsgeld drastisch kürzen will, der begeht staatlich organisierten Lohnraub."
Hintergrund: Der schwarz-grüne Vorgängersenat hatte beschlossen, den höheren Besoldungsgruppen - sie bekamen bislang 60 Prozent eines Gehalts - das Weihnachtsgeld ganz zu streichen und den unteren - die bislang 66 Prozent bekamen - maximal 840 Euro auszuzahlen. So sollten 100 Millionen Euro pro Jahr gespart werden. Zudem wollten CDU und GAL den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst nicht für die gut 40 000 Hamburger Beamten und mehr als 30 000 Pensionäre übernehmen. Stattdessen sollte es 2011 einmalig ein Prozent und 2012 eine Steigerung um ein Prozent geben. Das hätte weitere 80 Millionen Euro gespart.
Da sich SPD und Schwarz-Grün im Grundsatz einig sind, dass gespart werden muss und die Maßnahmen ohnehin bereits in den Haushalt eingearbeitet wurden, hält der neue Senat teilweise daran fest - wenn auch nicht ganz so drastisch. So soll jeder Beamte einen Festbetrag von 840 Euro Weihnachtsgeld bekommen, aber zusätzlich 300 Euro pro Kind. Diese soziale Staffelung hätte zur Folge, dass zumindest kinderreiche Familien "kleiner" Beamter nicht schlechter gestellt würden. Den Tarifabschluss will die SPD erst ab 2012 (plus 1,9 Prozent) übernehmen, 2011 soll es bei einem Prozent Einmalzahlung bleiben. "Für uns wäre das ein Beutezug in Sachen Schuldenbremse", sagte DGB-Chef Grund mit Blick auf die gesetzliche Vorgabe, von 2020 an ohne Kredite auszukommen. In Sachen Beamtenbesoldung liege man mit dem Senat noch "richtig im Clinch", so Grund.
Er bezeichnete den Tarifabschluss bereits als Kompromiss und weigert sich, "neue Kompromisse über den Tarifkompromiss" zu machen. Da die Senatsvorstellungen aber zunächst so in den Haushaltsentwurf einfließen werden, der morgen Abend stehen soll, rufen die Gewerkschaften für Donnerstag, 5. Mai, zu einer Großdemonstration auf. Am 11. Mai soll es dann erneut ein Treffen mit dem Senat geben. Über Grunds Forderung, die Einnahmen der Stadt zu verbessern, indem mehr Steuerprüfer eingestellt werden und sich der Senat für die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer einsetzt, denken die Sozialdemokraten bereits nach.
Unterdessen hat der Senat die Frage, was oder wer Hamburg so "ruiniert" hat, ganz offiziell beantwortet: Der schwarz-grüne Vorgängersenat soll schuld sein. Dessen Sparpaket beruhte "ganz erheblich" auf "unrealistischen Hoffnungen", antwortet der Senat auf eine Kleine Anfrage der SPD-Finanzexperten Thomas Völsch und Jan Quast (siehe Seite 1). CDU-Haushaltsexperte Roland Heintze kann das nicht nachvollziehen. Zahlen des Bundes zufolge habe Hamburg in den ersten drei Monaten des Jahres 150 Millionen Euro mehr eingenommen und 50 Millionen weniger ausgegeben als geplant. "Das zeigt, dass wir das Defizit in den Griff bekommen hätten."