Neunter Teil der Gesundheitsserie. Naturheilkunde für die Kleinen - Dürfen Kinderkrankheiten mit homöopathischen Mitteln wie Globuli behandelt werden?
Lasse malt mit schniefender Nase, immer wieder von heftigen Hustenanfällen geschüttelt, ein Flugzeug an die Tafel. Ein kleines blondes Mädchen hängt recht apathisch in den Armen seiner Mutter. Lore, eine energische Fünfjährige, lässt zum gefühlt 100. Mal eine Holzkugel eine Spirale hinunterpoltern. Sie ist quietschgesund, sie muss ja nur zur U9. Die beiden anderen Kinder aber sind krank. Willkommen im Wartezimmer eines Kinderarztes.
Lasse hat schon seit einer Woche Husten und Schnupfen - zu lange, findet seine Mutter. "Vielleicht gibt es noch etwas Pflanzliches, was den Husten bessert. Er schläft auch ganz schlecht", erzählt sie. Das kleine Mädchen hat Fieber und Durchfall. "Das Wichtigste ist, dass das Fieber runtergeht", findet die besorgte Mutter.
Kinderzeit ist Infektionszeit. Bis zum Alter von etwa vier Jahren sind fünf Virusinfektionen pro Jahr völlig normal, sogar bis zu zwölf einfache Atemwegsinfekte bei Kleinkindern halten Kinderärzte noch für unbedenklich. Erst bei noch häufigeren Erkältungen, bei Krankheitsphasen, die länger als vier Tage dauern oder ungewöhnlich schwer verlaufen, kann man an eine Infektanfälligkeit denken. Das kindliche Immunsystem muss in den ersten Lebensjahren noch lernen, wirkungsvolle Waffen gegen eindringende Krankheitserreger zu bilden, und wenn es nicht lebensbedrohlich wird, sollte man diesem Training möglichst gelassen zuschauen. "Es kommt vor allen Dingen auf die sichere Diagnose an. Bei gut 90 Prozent der Kinder wird eine Besserung der Beschwerden und eine Heilung auch ohne Therapie zu erwarten sein. Eltern können auf die ausreichenden Selbstheilungskräfte der Kinder vertrauen", sagt Dr. Claus Rieche, Kinderarzt in Eimsbüttel.
Erst aus den Befunden ergibt sich die Entscheidung, welche Therapie sinnvoll und nötig ist. "In der Regel reichen oftmals naturheilkundliche und homöopathische Medikamente aus, um den Kindern ihre Krankheitsbeschwerden zu mildern und zu bessern", sagt Dr. Rieche. Seine Erfahrung: "Einen Virusinfekt kann man nicht wesentlich abkürzen, aber mit den Methoden der Naturheilkunde und der Homöopathie lässt sich eine schnelle und deutliche Besserung des Krankheitsverlaufs erreichen."
Aber reicht es wirklich, mit den Globuli die Selbstheilungskräfte des Körpers zu akivieren? Wie sieht es bei Lungenentzündungen, Mittelohrentzündungen oder Nierenbeckenentzündungen aus? "Bei solchen Krankheiten muss auch ein Kind mit einem Antibiotikum behandelt werden, um den Krankheitsprozess zu stoppen und schwerwiegende Folgeschäden abzuwenden. Hier gibt es ganz klare Grenzen für eine ausschließlich symptomorientierte Therapie."
Die naturheilkundlichen Methoden und die Homöopathie sind gerade bei Kindern sehr wirkungsvoll, nicht zuletzt deshalb, weil sie das kindliche Immunsystem in seinem Lernprozess unterstützen, es jedoch nicht unterdrücken. Und genau das wünschen sich viele Eltern einer Umfrage an zwei Universitätskinderkliniken (Leipzig und München) zufolge. Besonders bei Erkältungskrankheiten und Bauchweh behandeln 85,6 Prozent der befragten Eltern ihre Kinder nach Möglichkeit mit einem pflanzlichen Präparat. Dabei steht der Wunsch nach einer sicheren und nebenwirkungsarmen Behandlung im Vordergrund. Globuli, die kleinen Kügelchen, sind bei Eltern sehr beliebt, weil sie ein "sanftes Image" besitzen und dennoch sehr beeindruckende Ergebnisse hervorbringen. Sie greifen nicht in den Stoffwechsel ein, sondern aktivieren und regulieren die Selbstheilungskräfte des Kindes.
In der klassischen Homöopathie werden auch bakterielle Infektionen wie Bronchitis, Erkrankungen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich oder auch leichte Harnwegsinfekte erfolgreich behandelt. "Zunächst sind die homöopathischen Arzneien durchaus Mittel der ersten Wahl", meint auch Tom Bingert, Kinderarzt und Homöopath in Schenefeld. "Man muss allerdings den Temperaturverlauf genau im Auge behalten. Wenn das Kind bei einer Bakterieninfektion nach einem Tag nicht deutlich entfiebert, muss man doch zu anderen Methoden greifen." Die Grenzen der Homöopathie liegen für Bingert neben den schwersten bakteriellen Infektionen auch bei allem, was in Richtung Intensivmedizin geht, also zum Beispiel Schockzustände.
Kinderzeit ist auch eine Zeit der Anpassung - an die Umwelt, die Anforderungen aus Familie, Freundeskreis und Schule. Viele Gesundheitsstörungen von Kindern wie Allergien, psychische Probleme oder Infektionen können deshalb als Anpassungsschwierigkeiten aufgefasst werden; für den Heilpraktiker Joachim Kudritzki auch bei Kindern mit ADHS. "Ich habe noch keines dieser Kinder kennengelernt, das nicht auch eine versteckte Nahrungsmittelallergie hatte, sei es auf Milcheiweiß, Getreide oder anderes. Die allergischen Reaktionen führen zu permanenten leichten Entzündungen im Darm und zu schlechterer Nährstoffaufnahme." Er hält viele Kinder mit ADHS im Grunde für erschöpft und die besondere Überaktivität für einen Versuch gegenzusteuern. "Es sind meistens intelligente und empfindsame Kinder, die auch von den Medien völlig überfordert sind."
Für Dr. Rieche ist das vertrauensvolle Verhältnis zu Eltern ein wichtiger Bestandteil der Behandlung. "Die Eltern müssen gerade wegen ihrer Ängste um das Kind gut beraten werden. Sie müssen Fragen stellen können, wenn sie die Krankheitsursache oder therapeutische Maßnahmen nicht verstanden haben. Nur so können sie die anstrengenden Tage und Nächte mit ihrem kranken Kind gut bewältigen."